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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Nicht dort. Hier links lag es. Nehmt die Scheere hier und haltet den Docht
oben. Inzwischen wird sich's finden.

In der That fand sich's; aber der alte Anwalt hatte so viele Zeit ver¬
loren, ehe er in respektvoller Ferne sein Barett aus der Hand legte und war
dann mit dem Hantiren der etwas ungewöhnlich geformten Scheere solange un¬
beholfen verfahren, bis im Augenblicke, als der Herzog das Siegeln vornehmen
wollte, der Docht erlosch.

Der Herzog stampfte mit dem Fuße. Angeführt! brummte er in sich
hinein; aber warte nur! Es war ihm ein Auskunftsmittel eingefallen.




Achtmidzwanzigstes Aapitel.

Man hatte zu jener Zeit bekanntlich noch keine Zündhölzer zur Hand.
Dafür brannte immer in erreichbarer Nähe eine ewige Lampe.

Francesco sah sich im Zimmer um. Unter dem Bilde des heiligen Alohsins
flammte ein Helles Lämpchen.

Dort geht's ebensogut, sagte er, nehme das Pergament, ich träufte das
Wachs darauf. Wir siud ja unter uns.

Wie meint Ihr, Altezza? fragte der Anwalt, als habe er nicht recht ver¬
standen.

Francesco hielt inne. Er merkte, was sich hinter der Frage verbarg, und
wagte nicht, es auf einen Widerspruch des Alten ankommen zu lassen. Der
abermalige siebentägige Aufschub war also Vonseiten des schlauen Advokaten
erreicht. Er hatte im Interesse seines Klienten den Herzog überlistet. Fran¬
cesco sagte sich nach Niederkämpfung seines Ärgers, umso wichtiger sei es jetzt
die eingesponnenen Freundschaftsfäden nicht anch noch preiszugeben. Ein so
gefährlicher Widersacher mußte wirklich gewonnen werden. Francesco fuhr mit
der Hand über die Augen, als schäme er sich seiner Rührung. Dann sagte er:
Ihr habt mir soeben einen großen Dienst erwiesen, Messer Andrea. In meiner
Sorge um die möglichste Abkürzung einer Leidenszeit, die ich mir schlimmer
vorstelle, als den Tod selbst, hatte ich das Mitleid zu sehr über mich Gewalt
gewinnen lassen. Eure Frage rief mich zur Besinnung zurück. Er legte Wachs
und Petschaft beiseite. Also siebzehn weitere Tage, fuhr er fort, wird der
unglückliche Greis uuter dem Nichtschwerte verleben, siebzehn weitere Nächte
wird er in angstvollen Träumen die eisige Schneide desselben in seinem Nacken
suhlen. Aber es geht nicht anders. Sei's drum!

Er seufzte und faltete die Hände, indem er nach dem heiligen Alohsius
hinüberblickte. Vergieb mir, ehrwürdiger Schutzpatron unsers schönen Mantua,
sagte er, ich weiß, du warst nie grausamen Gemüts und dieses Hinausschieben
eines unvermeidlich blutigen Abschlusses widerspricht deinem milden Sinn, der
nie zugegeben hätte, daß die Leiden irgend einer Kreatur freventlich verlängert
worden wären. Aber dein unwürdiger Nachkomme hat vor allem das Gesetz


Nicht dort. Hier links lag es. Nehmt die Scheere hier und haltet den Docht
oben. Inzwischen wird sich's finden.

In der That fand sich's; aber der alte Anwalt hatte so viele Zeit ver¬
loren, ehe er in respektvoller Ferne sein Barett aus der Hand legte und war
dann mit dem Hantiren der etwas ungewöhnlich geformten Scheere solange un¬
beholfen verfahren, bis im Augenblicke, als der Herzog das Siegeln vornehmen
wollte, der Docht erlosch.

Der Herzog stampfte mit dem Fuße. Angeführt! brummte er in sich
hinein; aber warte nur! Es war ihm ein Auskunftsmittel eingefallen.




Achtmidzwanzigstes Aapitel.

Man hatte zu jener Zeit bekanntlich noch keine Zündhölzer zur Hand.
Dafür brannte immer in erreichbarer Nähe eine ewige Lampe.

Francesco sah sich im Zimmer um. Unter dem Bilde des heiligen Alohsins
flammte ein Helles Lämpchen.

Dort geht's ebensogut, sagte er, nehme das Pergament, ich träufte das
Wachs darauf. Wir siud ja unter uns.

Wie meint Ihr, Altezza? fragte der Anwalt, als habe er nicht recht ver¬
standen.

Francesco hielt inne. Er merkte, was sich hinter der Frage verbarg, und
wagte nicht, es auf einen Widerspruch des Alten ankommen zu lassen. Der
abermalige siebentägige Aufschub war also Vonseiten des schlauen Advokaten
erreicht. Er hatte im Interesse seines Klienten den Herzog überlistet. Fran¬
cesco sagte sich nach Niederkämpfung seines Ärgers, umso wichtiger sei es jetzt
die eingesponnenen Freundschaftsfäden nicht anch noch preiszugeben. Ein so
gefährlicher Widersacher mußte wirklich gewonnen werden. Francesco fuhr mit
der Hand über die Augen, als schäme er sich seiner Rührung. Dann sagte er:
Ihr habt mir soeben einen großen Dienst erwiesen, Messer Andrea. In meiner
Sorge um die möglichste Abkürzung einer Leidenszeit, die ich mir schlimmer
vorstelle, als den Tod selbst, hatte ich das Mitleid zu sehr über mich Gewalt
gewinnen lassen. Eure Frage rief mich zur Besinnung zurück. Er legte Wachs
und Petschaft beiseite. Also siebzehn weitere Tage, fuhr er fort, wird der
unglückliche Greis uuter dem Nichtschwerte verleben, siebzehn weitere Nächte
wird er in angstvollen Träumen die eisige Schneide desselben in seinem Nacken
suhlen. Aber es geht nicht anders. Sei's drum!

Er seufzte und faltete die Hände, indem er nach dem heiligen Alohsius
hinüberblickte. Vergieb mir, ehrwürdiger Schutzpatron unsers schönen Mantua,
sagte er, ich weiß, du warst nie grausamen Gemüts und dieses Hinausschieben
eines unvermeidlich blutigen Abschlusses widerspricht deinem milden Sinn, der
nie zugegeben hätte, daß die Leiden irgend einer Kreatur freventlich verlängert
worden wären. Aber dein unwürdiger Nachkomme hat vor allem das Gesetz


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/588>, abgerufen am 22.07.2024.