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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Gstpreuszische Skizzen.

Speisen bringt. Vom Backwerk weiß man hier wenig; die feinen wurstartigen
Fleischwaaren, die in manchen Teilen Süddeutschlands eine so große Rolle
spielen, treten hier nur in sehr verkümmerter Gestalt auf; "grüne Kerne" kennt
man uicht. Dagegen ist wieder die "Flecksnppe" etwas spezifisch Ostpreußisches,
und zwar in ihrer Art etwas höchst treffliches. Dieses Gericht, für welches
in Königsberg eigne "Flcckkellcr" in großer Zahl bestehen und welches im übrigen
an gewissen Tagen in vielen, selbst hochfeinen Restaurants zu habe" ist, besteht
aus kleingeschnittenen, mit Wasser, Pfeffer und Salz zu einer dicken Brühe ge¬
kochten Rinder- und Schweinekutteln; sehr gut, wenn es gut ist. Seine "Fleck"
iann der Königsberger Arbeiter auch auf dem Markte von Hökerwcibern kaufen,
und hat dann eine ebenso nahrhafte wie billige warme Speise. Bekannter ge¬
worden sind auch außerhalb Ostpreußens die "Königsberger Klops," die in der
That für viele Königsberger Familien so etwa das sind, was für spezifisch
schwäbische Lehrer- und Pfarrerfamilien die "Spätzle," und die gleichfalls auch
von den Hvkerweibern fertig zubereitet gekauft und ans der Stelle verspeist
werden können. Es liegt auf der Hand, daß alle diese schweren, fetten Gerichte
einen guten Magen voraussetzen, und den muß man allerdings haben, wenn
man die ostpreußische Luft und Lebensweise ertragen will. Einen Hauptmaßstab
hierfür bildet die "Schweinevesper." In vielen, zumal ländlichen Familien
wird zwischen Mittag- und Abendessen (etwa um die Zeit des sächsischen
und rheinischen Nachmittagskaffees, doch eher etwas später) eine kleine Mahl¬
zeit dieses Namens eingeschoben, ans kaltem Aufschnitt bestehend und also
dem zweiten Frühstück ähnelnd; wer nun da noch gehörig einsamen kann
und abends wieder, der wird im allgemeinen seinem Magen einiges zumuten
dürfen. Zweifelhafter steht es mit den Getränken. Man findet wider Er¬
warten viel Rheinwein in Guts- und Wirtshäusern, aber sonderlicher Verlaß
ist im allgemeinen nicht darauf. Ein Urteil über Rheinwein kann dem Ost¬
preußen, schon der so ganz andern Lebensweise wegen, welche das Rheinland
bedingt, nicht zugemutet werdeu, und er hat auch selten eines. Sehr viel bester
schon verhält es sich in>t dem Rotwein. Der große, jedem Ostpreußen bekannte
Mittelpunkt des Notwcinkvnsums in der Provinz ist eine elende, im Schloßhofe zu
Königsberg an das Schloßgebäude angeklebte Baracke, infolge einiger geschichtlichen
Reminiscenzen das "Blutgericht" genannt. Es ist dies nämlich das Geschäfts- sowie
auch das Wirtschnftslokal der altrenommirten Firma Schindelmcißer, keineswegs
der einzigen guten und großen, aber jedenfalls der bekanntesten Weinfirmn in
Ostpreußen. Besonders für den Bezug kleiner, billiger Bordeauxweine dürfte
dies eine der besten Quellen in ganz Deutschland sein; für fünfzehn Groschen
trinkt man im Blutgericht schon einen trefflichen Wein, und selbst der für
eine Mark ist noch sehr trinkbar. Diesen französischen Rotwein versteht der
Ostprcuße zu würdigen -- es ist etwas daran, wenn Bismarck vor langer Zeit
einmal den Bordeaux das "naturgemäße Getränk des Norddeutschen" genannt


Gstpreuszische Skizzen.

Speisen bringt. Vom Backwerk weiß man hier wenig; die feinen wurstartigen
Fleischwaaren, die in manchen Teilen Süddeutschlands eine so große Rolle
spielen, treten hier nur in sehr verkümmerter Gestalt auf; „grüne Kerne" kennt
man uicht. Dagegen ist wieder die „Flecksnppe" etwas spezifisch Ostpreußisches,
und zwar in ihrer Art etwas höchst treffliches. Dieses Gericht, für welches
in Königsberg eigne „Flcckkellcr" in großer Zahl bestehen und welches im übrigen
an gewissen Tagen in vielen, selbst hochfeinen Restaurants zu habe» ist, besteht
aus kleingeschnittenen, mit Wasser, Pfeffer und Salz zu einer dicken Brühe ge¬
kochten Rinder- und Schweinekutteln; sehr gut, wenn es gut ist. Seine „Fleck"
iann der Königsberger Arbeiter auch auf dem Markte von Hökerwcibern kaufen,
und hat dann eine ebenso nahrhafte wie billige warme Speise. Bekannter ge¬
worden sind auch außerhalb Ostpreußens die „Königsberger Klops," die in der
That für viele Königsberger Familien so etwa das sind, was für spezifisch
schwäbische Lehrer- und Pfarrerfamilien die „Spätzle," und die gleichfalls auch
von den Hvkerweibern fertig zubereitet gekauft und ans der Stelle verspeist
werden können. Es liegt auf der Hand, daß alle diese schweren, fetten Gerichte
einen guten Magen voraussetzen, und den muß man allerdings haben, wenn
man die ostpreußische Luft und Lebensweise ertragen will. Einen Hauptmaßstab
hierfür bildet die „Schweinevesper." In vielen, zumal ländlichen Familien
wird zwischen Mittag- und Abendessen (etwa um die Zeit des sächsischen
und rheinischen Nachmittagskaffees, doch eher etwas später) eine kleine Mahl¬
zeit dieses Namens eingeschoben, ans kaltem Aufschnitt bestehend und also
dem zweiten Frühstück ähnelnd; wer nun da noch gehörig einsamen kann
und abends wieder, der wird im allgemeinen seinem Magen einiges zumuten
dürfen. Zweifelhafter steht es mit den Getränken. Man findet wider Er¬
warten viel Rheinwein in Guts- und Wirtshäusern, aber sonderlicher Verlaß
ist im allgemeinen nicht darauf. Ein Urteil über Rheinwein kann dem Ost¬
preußen, schon der so ganz andern Lebensweise wegen, welche das Rheinland
bedingt, nicht zugemutet werdeu, und er hat auch selten eines. Sehr viel bester
schon verhält es sich in>t dem Rotwein. Der große, jedem Ostpreußen bekannte
Mittelpunkt des Notwcinkvnsums in der Provinz ist eine elende, im Schloßhofe zu
Königsberg an das Schloßgebäude angeklebte Baracke, infolge einiger geschichtlichen
Reminiscenzen das „Blutgericht" genannt. Es ist dies nämlich das Geschäfts- sowie
auch das Wirtschnftslokal der altrenommirten Firma Schindelmcißer, keineswegs
der einzigen guten und großen, aber jedenfalls der bekanntesten Weinfirmn in
Ostpreußen. Besonders für den Bezug kleiner, billiger Bordeauxweine dürfte
dies eine der besten Quellen in ganz Deutschland sein; für fünfzehn Groschen
trinkt man im Blutgericht schon einen trefflichen Wein, und selbst der für
eine Mark ist noch sehr trinkbar. Diesen französischen Rotwein versteht der
Ostprcuße zu würdigen — es ist etwas daran, wenn Bismarck vor langer Zeit
einmal den Bordeaux das „naturgemäße Getränk des Norddeutschen" genannt


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[0563] Gstpreuszische Skizzen. Speisen bringt. Vom Backwerk weiß man hier wenig; die feinen wurstartigen Fleischwaaren, die in manchen Teilen Süddeutschlands eine so große Rolle spielen, treten hier nur in sehr verkümmerter Gestalt auf; „grüne Kerne" kennt man uicht. Dagegen ist wieder die „Flecksnppe" etwas spezifisch Ostpreußisches, und zwar in ihrer Art etwas höchst treffliches. Dieses Gericht, für welches in Königsberg eigne „Flcckkellcr" in großer Zahl bestehen und welches im übrigen an gewissen Tagen in vielen, selbst hochfeinen Restaurants zu habe» ist, besteht aus kleingeschnittenen, mit Wasser, Pfeffer und Salz zu einer dicken Brühe ge¬ kochten Rinder- und Schweinekutteln; sehr gut, wenn es gut ist. Seine „Fleck" iann der Königsberger Arbeiter auch auf dem Markte von Hökerwcibern kaufen, und hat dann eine ebenso nahrhafte wie billige warme Speise. Bekannter ge¬ worden sind auch außerhalb Ostpreußens die „Königsberger Klops," die in der That für viele Königsberger Familien so etwa das sind, was für spezifisch schwäbische Lehrer- und Pfarrerfamilien die „Spätzle," und die gleichfalls auch von den Hvkerweibern fertig zubereitet gekauft und ans der Stelle verspeist werden können. Es liegt auf der Hand, daß alle diese schweren, fetten Gerichte einen guten Magen voraussetzen, und den muß man allerdings haben, wenn man die ostpreußische Luft und Lebensweise ertragen will. Einen Hauptmaßstab hierfür bildet die „Schweinevesper." In vielen, zumal ländlichen Familien wird zwischen Mittag- und Abendessen (etwa um die Zeit des sächsischen und rheinischen Nachmittagskaffees, doch eher etwas später) eine kleine Mahl¬ zeit dieses Namens eingeschoben, ans kaltem Aufschnitt bestehend und also dem zweiten Frühstück ähnelnd; wer nun da noch gehörig einsamen kann und abends wieder, der wird im allgemeinen seinem Magen einiges zumuten dürfen. Zweifelhafter steht es mit den Getränken. Man findet wider Er¬ warten viel Rheinwein in Guts- und Wirtshäusern, aber sonderlicher Verlaß ist im allgemeinen nicht darauf. Ein Urteil über Rheinwein kann dem Ost¬ preußen, schon der so ganz andern Lebensweise wegen, welche das Rheinland bedingt, nicht zugemutet werdeu, und er hat auch selten eines. Sehr viel bester schon verhält es sich in>t dem Rotwein. Der große, jedem Ostpreußen bekannte Mittelpunkt des Notwcinkvnsums in der Provinz ist eine elende, im Schloßhofe zu Königsberg an das Schloßgebäude angeklebte Baracke, infolge einiger geschichtlichen Reminiscenzen das „Blutgericht" genannt. Es ist dies nämlich das Geschäfts- sowie auch das Wirtschnftslokal der altrenommirten Firma Schindelmcißer, keineswegs der einzigen guten und großen, aber jedenfalls der bekanntesten Weinfirmn in Ostpreußen. Besonders für den Bezug kleiner, billiger Bordeauxweine dürfte dies eine der besten Quellen in ganz Deutschland sein; für fünfzehn Groschen trinkt man im Blutgericht schon einen trefflichen Wein, und selbst der für eine Mark ist noch sehr trinkbar. Diesen französischen Rotwein versteht der Ostprcuße zu würdigen — es ist etwas daran, wenn Bismarck vor langer Zeit einmal den Bordeaux das „naturgemäße Getränk des Norddeutschen" genannt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/563>, abgerufen am 22.07.2024.