Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.Dstpreußische Skizzen. so gesund und wohlauf gefühlt habe wie in Ostpreußen. Die Luft hat ja ohne Freilich -- alles hat seine Grenzen. In den rauhen Kreis Goldap oder An guter Jagd fehlt es übrigens auch sonst in der Provinz nicht. Von *) Die streng wörtliche Übersetzung ist "Zweig im Wege/' Es ist überaus charakte¬
ristisch, daß der Lithauer auch in diesem Falle sein Gleichnis Dem einer -- Wagenfahrt her¬ nimmt. Dstpreußische Skizzen. so gesund und wohlauf gefühlt habe wie in Ostpreußen. Die Luft hat ja ohne Freilich — alles hat seine Grenzen. In den rauhen Kreis Goldap oder An guter Jagd fehlt es übrigens auch sonst in der Provinz nicht. Von *) Die streng wörtliche Übersetzung ist „Zweig im Wege/' Es ist überaus charakte¬
ristisch, daß der Lithauer auch in diesem Falle sein Gleichnis Dem einer — Wagenfahrt her¬ nimmt. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0561" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/195950"/> <fw type="header" place="top"> Dstpreußische Skizzen.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1999" prev="#ID_1998"> so gesund und wohlauf gefühlt habe wie in Ostpreußen. Die Luft hat ja ohne<lb/> Zweifel eine gewisse Schärfe, die den Stoffwechsel befördert, und wer also<lb/> überhaupt einen energischen Lebensprozeß erträgt, dessen Konstitution kann sehr<lb/> leicht hier einen sehr zuträglichen neuen Anstoß erhalten.</p><lb/> <p xml:id="ID_2000"> Freilich — alles hat seine Grenzen. In den rauhen Kreis Goldap oder<lb/> in die ewig feuchte Niederung wird niemand einen an mildes Klima gewöhnten<lb/> zur Stärkung seiner Gesundheit schicken. In letzterer Gegend dürfte es auch<lb/> selbst dem Anspruchslosesten zu Zeiten mit der Trennung von allem Verkehr<lb/> zu arg werden. Alljährlich wenigstens einmal tritt in diesen Strichen der Zu¬<lb/> stand ein, den der Lithauer „Schacktarp" nennt, zu deutsch etwa „Ich kann<lb/> nicht."*) Das ist die Zeit, wo Schneeschmelze oder anhaltende Regengüsse die<lb/> Wege buchstäblich unbrauchbar gemacht haben, derart, daß die Orte, die sich<lb/> nicht gerade des Besitzes einer Chaussee oder einer Wasserverbindung erfreuen,<lb/> vollständig in der Lage einer belagerten, von jedem Verkehr mit der Außenwelt<lb/> streng abgeschlossenen Festung siud. Dieser Zustand dauert nicht selten wochen¬<lb/> lang und hat hie und da ernste Not zur Folge. Indessen ist derselbe eine Spe¬<lb/> zialität, die mit dem geringen Niveau-Unterschiede zwischen dem kurischen Haff<lb/> und dem bezeichneten Landstriche nud dem zu Zeiten aus ersterm eintretenden<lb/> Rückstau zusammenhängt; zu solchen Zeiten weiß man dann nicht, wo das<lb/> Land aufhört und das Wasser anfängt, und das Mittelding zwischen beiden<lb/> ist eben der „Schacktarp." In diesem Zustande befindet sich allerdings in<lb/> unserm Klima nur ein Tier wohl, nämlich das Elenn. Gerade in den Wäldern,<lb/> welche sich zur Zeit des Schacktarp in Sumpfwälder verwandeln, gedeiht der<lb/> bekanntlich aufs sorgfältigste gepflegte Nest dieser Überbleibsel einer unterge¬<lb/> gangenen Tierfamilie. Aber so interessant es sein mag, an einer Elennjagd<lb/> teilzunehmen, selbst Exzellenz Stephan, welcher in den letzten Jahren mehrmals<lb/> dieses Vergnügens teilhaftig wurde, dürfte für einen längern Aufenthalt in<lb/> den Oberförstereien Alt-Sternberg oder Nemvnien danken.</p><lb/> <p xml:id="ID_2001" next="#ID_2002"> An guter Jagd fehlt es übrigens auch sonst in der Provinz nicht. Von<lb/> Wölfen hört man wohl hie und da einmal, Bären giebts schon lange nicht<lb/> mehr. Aber Wildschweine sind in manchen Teilen des Landes noch recht zahl¬<lb/> reich, Hirsche und Damwild sind wenigstens keine Seltenheit, der Rchstand ist<lb/> fast überall ein guter. Da spielt denn begreiflicherweise im Leben des Guts¬<lb/> herrn die Jagd noch eine große Rolle. Jagdbesuche durch die ganze Provinz<lb/> hindurch sind etwas Alltägliches, und wenn auch die früher herrschend gewesene,<lb/> an polnische Zustünde erinnernde Sitte, wonach eine Jagdgesellschaft von einem<lb/> Gute zum andern zog und auf diese Weise fortwährend anschwoll, so ziemlich</p><lb/> <note xml:id="FID_71" place="foot"> *) Die streng wörtliche Übersetzung ist „Zweig im Wege/' Es ist überaus charakte¬<lb/> ristisch, daß der Lithauer auch in diesem Falle sein Gleichnis Dem einer — Wagenfahrt her¬<lb/> nimmt.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0561]
Dstpreußische Skizzen.
so gesund und wohlauf gefühlt habe wie in Ostpreußen. Die Luft hat ja ohne
Zweifel eine gewisse Schärfe, die den Stoffwechsel befördert, und wer also
überhaupt einen energischen Lebensprozeß erträgt, dessen Konstitution kann sehr
leicht hier einen sehr zuträglichen neuen Anstoß erhalten.
Freilich — alles hat seine Grenzen. In den rauhen Kreis Goldap oder
in die ewig feuchte Niederung wird niemand einen an mildes Klima gewöhnten
zur Stärkung seiner Gesundheit schicken. In letzterer Gegend dürfte es auch
selbst dem Anspruchslosesten zu Zeiten mit der Trennung von allem Verkehr
zu arg werden. Alljährlich wenigstens einmal tritt in diesen Strichen der Zu¬
stand ein, den der Lithauer „Schacktarp" nennt, zu deutsch etwa „Ich kann
nicht."*) Das ist die Zeit, wo Schneeschmelze oder anhaltende Regengüsse die
Wege buchstäblich unbrauchbar gemacht haben, derart, daß die Orte, die sich
nicht gerade des Besitzes einer Chaussee oder einer Wasserverbindung erfreuen,
vollständig in der Lage einer belagerten, von jedem Verkehr mit der Außenwelt
streng abgeschlossenen Festung siud. Dieser Zustand dauert nicht selten wochen¬
lang und hat hie und da ernste Not zur Folge. Indessen ist derselbe eine Spe¬
zialität, die mit dem geringen Niveau-Unterschiede zwischen dem kurischen Haff
und dem bezeichneten Landstriche nud dem zu Zeiten aus ersterm eintretenden
Rückstau zusammenhängt; zu solchen Zeiten weiß man dann nicht, wo das
Land aufhört und das Wasser anfängt, und das Mittelding zwischen beiden
ist eben der „Schacktarp." In diesem Zustande befindet sich allerdings in
unserm Klima nur ein Tier wohl, nämlich das Elenn. Gerade in den Wäldern,
welche sich zur Zeit des Schacktarp in Sumpfwälder verwandeln, gedeiht der
bekanntlich aufs sorgfältigste gepflegte Nest dieser Überbleibsel einer unterge¬
gangenen Tierfamilie. Aber so interessant es sein mag, an einer Elennjagd
teilzunehmen, selbst Exzellenz Stephan, welcher in den letzten Jahren mehrmals
dieses Vergnügens teilhaftig wurde, dürfte für einen längern Aufenthalt in
den Oberförstereien Alt-Sternberg oder Nemvnien danken.
An guter Jagd fehlt es übrigens auch sonst in der Provinz nicht. Von
Wölfen hört man wohl hie und da einmal, Bären giebts schon lange nicht
mehr. Aber Wildschweine sind in manchen Teilen des Landes noch recht zahl¬
reich, Hirsche und Damwild sind wenigstens keine Seltenheit, der Rchstand ist
fast überall ein guter. Da spielt denn begreiflicherweise im Leben des Guts¬
herrn die Jagd noch eine große Rolle. Jagdbesuche durch die ganze Provinz
hindurch sind etwas Alltägliches, und wenn auch die früher herrschend gewesene,
an polnische Zustünde erinnernde Sitte, wonach eine Jagdgesellschaft von einem
Gute zum andern zog und auf diese Weise fortwährend anschwoll, so ziemlich
*) Die streng wörtliche Übersetzung ist „Zweig im Wege/' Es ist überaus charakte¬
ristisch, daß der Lithauer auch in diesem Falle sein Gleichnis Dem einer — Wagenfahrt her¬
nimmt.
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