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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Das französische Deportationsgesetz.

lebenslängliche Verbannung erkannt wird; aber die Zustände haben sich, wie
schon bemerkt, in einer Weise verschlimmert, daß ein energisches Eingreifen ab¬
solut notwendig geworden war; daß dies der Fall ist, geht am deutlichsten aus
der Thatsache hervor, daß selbst viele Mitglieder der äußersten Linken nicht
gegen das Gesetz zu stimmen wagten. Die Besserungstheorie hat das Gesetz
allerdings verlassen oder wenigstens nicht mehr als Hauptzweck der verhängten
Strafe aufgefaßt, sondern den Grundsatz an die Spitze gestellt, daß das gemein¬
schädliche Individuum zum Wohle des Staates und der Gesellschaft beseitigt
werden müsse. Wenn auch dieser Grundsatz gegen die Prinzipien mancher
Humanitätsthevretiker verstößt, so ist er doch in der Praxis nicht zu entbehren,
und die geordnete Bevölkerung ist dein Urheber des Gesetzes, dem frühern
Minister Waldeck-Rousseau, sehr dankbar dafür, daß er ihr eine Waffe ge¬
schaffen hat, mit welcher sie sich gegen ihre unverbesserlichen Feinde erfolgreich
wehren kann.

Hauptsächlich hat die Verbrecherklasse der Zuhälter dazu mitgewirkt, die
Notwendigkeit eines solchen Gesetzes zu beweise", nud mit deren rücksichtsloser
Unterdrückung wird ein gutes Stück derjenigen Elemente aus der Gesellschaft
verschwinden, welche zu frecher Auflehnung gegen Gesetz und Ordnung jederzeit
bereit sind. Gegen diese Verbrccherklasse aber haben wir ganz denselben Anlaß
mit aller Strenge einzuschreiten, wie dies jetzt in Frankreich geschieht, und dies
ist mit unsern bestehenden Strafgesetzen nicht in genügendem Maße möglich.
Wenn mich in unserm Strafgesetzbuchs die (einfache) Kuppelei mit Gefängnis¬
strafe bis zu fünf Jahre" bedroht und in einem reichsgerichtlichen Urteile (vom
17. Oktober 1884) die Anwendbarkeit dieser gesetzlichen Bestimmung auf die ge¬
wöhnliche Thätigkeit des Zuhälters ausdrücklich bestätigt ist, so ist doch er¬
fahrungsgemäß die Überführung eines "Louis" eine schwierige und demgemäß seine
Heranziehung zur Strafe eine verhältnismäßig seltene; sodann ist die augedrohte
Strafe gegenüber seiner gemeinschädlichem, gefährlichen und verächtlichen Thätig¬
keit nicht genügend und nicht sachgemäß; es sollte vielmehr, solange wir keine
andre Strafe zu verhängen in der Lage sind, wenigstens auf Zuchthaus erkannt
werden Wurm. Vielleicht ermöglichen uns unsre Kolonien einmal künftig ein
ähnliches Gesetz gegen diese und andre unverbesserliche Verbrecher, wie es jetzt
in Frankreich zur Annahme gelangt ist; bis dahin aber brauchen wir ein Gesetz,
das uns wenigstens die Möglichkeit giebt, im Heimatlande uns energischer, als
es bisher geschehen konnte, gegen diese Leute zu wehren.




Das französische Deportationsgesetz.

lebenslängliche Verbannung erkannt wird; aber die Zustände haben sich, wie
schon bemerkt, in einer Weise verschlimmert, daß ein energisches Eingreifen ab¬
solut notwendig geworden war; daß dies der Fall ist, geht am deutlichsten aus
der Thatsache hervor, daß selbst viele Mitglieder der äußersten Linken nicht
gegen das Gesetz zu stimmen wagten. Die Besserungstheorie hat das Gesetz
allerdings verlassen oder wenigstens nicht mehr als Hauptzweck der verhängten
Strafe aufgefaßt, sondern den Grundsatz an die Spitze gestellt, daß das gemein¬
schädliche Individuum zum Wohle des Staates und der Gesellschaft beseitigt
werden müsse. Wenn auch dieser Grundsatz gegen die Prinzipien mancher
Humanitätsthevretiker verstößt, so ist er doch in der Praxis nicht zu entbehren,
und die geordnete Bevölkerung ist dein Urheber des Gesetzes, dem frühern
Minister Waldeck-Rousseau, sehr dankbar dafür, daß er ihr eine Waffe ge¬
schaffen hat, mit welcher sie sich gegen ihre unverbesserlichen Feinde erfolgreich
wehren kann.

Hauptsächlich hat die Verbrecherklasse der Zuhälter dazu mitgewirkt, die
Notwendigkeit eines solchen Gesetzes zu beweise», nud mit deren rücksichtsloser
Unterdrückung wird ein gutes Stück derjenigen Elemente aus der Gesellschaft
verschwinden, welche zu frecher Auflehnung gegen Gesetz und Ordnung jederzeit
bereit sind. Gegen diese Verbrccherklasse aber haben wir ganz denselben Anlaß
mit aller Strenge einzuschreiten, wie dies jetzt in Frankreich geschieht, und dies
ist mit unsern bestehenden Strafgesetzen nicht in genügendem Maße möglich.
Wenn mich in unserm Strafgesetzbuchs die (einfache) Kuppelei mit Gefängnis¬
strafe bis zu fünf Jahre» bedroht und in einem reichsgerichtlichen Urteile (vom
17. Oktober 1884) die Anwendbarkeit dieser gesetzlichen Bestimmung auf die ge¬
wöhnliche Thätigkeit des Zuhälters ausdrücklich bestätigt ist, so ist doch er¬
fahrungsgemäß die Überführung eines „Louis" eine schwierige und demgemäß seine
Heranziehung zur Strafe eine verhältnismäßig seltene; sodann ist die augedrohte
Strafe gegenüber seiner gemeinschädlichem, gefährlichen und verächtlichen Thätig¬
keit nicht genügend und nicht sachgemäß; es sollte vielmehr, solange wir keine
andre Strafe zu verhängen in der Lage sind, wenigstens auf Zuchthaus erkannt
werden Wurm. Vielleicht ermöglichen uns unsre Kolonien einmal künftig ein
ähnliches Gesetz gegen diese und andre unverbesserliche Verbrecher, wie es jetzt
in Frankreich zur Annahme gelangt ist; bis dahin aber brauchen wir ein Gesetz,
das uns wenigstens die Möglichkeit giebt, im Heimatlande uns energischer, als
es bisher geschehen konnte, gegen diese Leute zu wehren.




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[0559] Das französische Deportationsgesetz. lebenslängliche Verbannung erkannt wird; aber die Zustände haben sich, wie schon bemerkt, in einer Weise verschlimmert, daß ein energisches Eingreifen ab¬ solut notwendig geworden war; daß dies der Fall ist, geht am deutlichsten aus der Thatsache hervor, daß selbst viele Mitglieder der äußersten Linken nicht gegen das Gesetz zu stimmen wagten. Die Besserungstheorie hat das Gesetz allerdings verlassen oder wenigstens nicht mehr als Hauptzweck der verhängten Strafe aufgefaßt, sondern den Grundsatz an die Spitze gestellt, daß das gemein¬ schädliche Individuum zum Wohle des Staates und der Gesellschaft beseitigt werden müsse. Wenn auch dieser Grundsatz gegen die Prinzipien mancher Humanitätsthevretiker verstößt, so ist er doch in der Praxis nicht zu entbehren, und die geordnete Bevölkerung ist dein Urheber des Gesetzes, dem frühern Minister Waldeck-Rousseau, sehr dankbar dafür, daß er ihr eine Waffe ge¬ schaffen hat, mit welcher sie sich gegen ihre unverbesserlichen Feinde erfolgreich wehren kann. Hauptsächlich hat die Verbrecherklasse der Zuhälter dazu mitgewirkt, die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes zu beweise», nud mit deren rücksichtsloser Unterdrückung wird ein gutes Stück derjenigen Elemente aus der Gesellschaft verschwinden, welche zu frecher Auflehnung gegen Gesetz und Ordnung jederzeit bereit sind. Gegen diese Verbrccherklasse aber haben wir ganz denselben Anlaß mit aller Strenge einzuschreiten, wie dies jetzt in Frankreich geschieht, und dies ist mit unsern bestehenden Strafgesetzen nicht in genügendem Maße möglich. Wenn mich in unserm Strafgesetzbuchs die (einfache) Kuppelei mit Gefängnis¬ strafe bis zu fünf Jahre» bedroht und in einem reichsgerichtlichen Urteile (vom 17. Oktober 1884) die Anwendbarkeit dieser gesetzlichen Bestimmung auf die ge¬ wöhnliche Thätigkeit des Zuhälters ausdrücklich bestätigt ist, so ist doch er¬ fahrungsgemäß die Überführung eines „Louis" eine schwierige und demgemäß seine Heranziehung zur Strafe eine verhältnismäßig seltene; sodann ist die augedrohte Strafe gegenüber seiner gemeinschädlichem, gefährlichen und verächtlichen Thätig¬ keit nicht genügend und nicht sachgemäß; es sollte vielmehr, solange wir keine andre Strafe zu verhängen in der Lage sind, wenigstens auf Zuchthaus erkannt werden Wurm. Vielleicht ermöglichen uns unsre Kolonien einmal künftig ein ähnliches Gesetz gegen diese und andre unverbesserliche Verbrecher, wie es jetzt in Frankreich zur Annahme gelangt ist; bis dahin aber brauchen wir ein Gesetz, das uns wenigstens die Möglichkeit giebt, im Heimatlande uns energischer, als es bisher geschehen konnte, gegen diese Leute zu wehren.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/559>, abgerufen am 22.07.2024.