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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Das französische Deportationsgesetz.

le Zustände in Frankreich, insbesondre die in der Hauptstadt deö
Landes, haben im Laufe der letzten vierzehn Jahre unter der
dritten Republik in Beziehung auf die Vermehrung der Verbrechen
und die öffentliche Unsicherheit einen so bedenklichen Grad erreicht,
daß ein Gesetz zur Notwendigkeit geworden ist, dessen Annahme
in den letzten Tagen trotz des erbitterten Kampfes der radikalen Presse und
eines Teils der Deputirten der äußersten Linken gegen dasselbe erfolgte: das
Gesetz über die Deportation der rückfälligen Verbrecher.

Die unter dem zweiten Kaiserreiche herrschende verhältnismäßig sehr hohe
Sicherheit des Aufenthalts namentlich in Paris, welche z, B. dein Fremden
ermöglichte, zu jeder Tages- und Nachtzeit selbst in den verrufensten Gegenden
der Stadt unbehelligt zu verkehren, hat alsbald nach dem Sturze des Kaiser¬
reichs einem Zustande der Gefahr Platz gemacht, welcher einen erheblichen Rück¬
gang des Fremdcnzuflusses zur Folge hatte, und ist neuerdings auf einen Zu¬
stand der Unsicherheit gestiegen, welcher zur öffentlichen Warnung der Fremden
vor dem Besuche der Hauptstadt führte. Es haben sich starke Verbrecherbanden
gebildet, welche komplvttmäßige schwere Diebstähle und Naubanfälle beinahe all¬
nächtlich verüben, harmlose Personen werden in belebten Gegenden überfallen
und schwer mißhandelt, in einzelnen Stadtvierteln vergeht keine Woche, in welcher
nicht ein bis zwei Menschen totgeschlagen werden. Die Polizei, deren Macht
der radikale Gemeindercit bei jeder Gelegenheit zu schwächen sucht, ist gegenüber
der kolossalen Vermehrung der Verbrecher nicht mehr imstande, mit Erfolg ein-
zuschreiten, sie wird, wenn sie Hilfe zu leisten versucht, von ganzen Banden
angegriffen, und die Folge ist, daß eine Masse von Verbrechen gegen Eigentum,
Leib und Leben keine Sühne mehr findet. Einen Hauptbestandteil dieser orga-
nisirten Verbrecherbanden bilden die Zuhälter (Louis), deren Zahl sich auf eine
wahrhaft erschreckende Weise vermehrt. Gegen dieses nrbcitsschenc, verächtliche,
zu jedem Verbrechen bereite Gesinde! war die Polizei bisher völlig machtlos,
dasselbe konnte sein Gewerbe unter den Augen der Obrigkeit mit der scham¬
losesten Frechheit ausüben, ohne daß es möglich gewesen wäre, dem Treiben
entgegenzutreten.

Es ist nun als ein besonders glücklicher Griff zu bezeichnen, daß das oben
angeführte neu angenommene Deportationsgefetz auch die Zuhälter unter die¬
jenigen Verbrechergattungen aufgenommen hat, gegen welche Deportation zu-


Das französische Deportationsgesetz.

le Zustände in Frankreich, insbesondre die in der Hauptstadt deö
Landes, haben im Laufe der letzten vierzehn Jahre unter der
dritten Republik in Beziehung auf die Vermehrung der Verbrechen
und die öffentliche Unsicherheit einen so bedenklichen Grad erreicht,
daß ein Gesetz zur Notwendigkeit geworden ist, dessen Annahme
in den letzten Tagen trotz des erbitterten Kampfes der radikalen Presse und
eines Teils der Deputirten der äußersten Linken gegen dasselbe erfolgte: das
Gesetz über die Deportation der rückfälligen Verbrecher.

Die unter dem zweiten Kaiserreiche herrschende verhältnismäßig sehr hohe
Sicherheit des Aufenthalts namentlich in Paris, welche z, B. dein Fremden
ermöglichte, zu jeder Tages- und Nachtzeit selbst in den verrufensten Gegenden
der Stadt unbehelligt zu verkehren, hat alsbald nach dem Sturze des Kaiser¬
reichs einem Zustande der Gefahr Platz gemacht, welcher einen erheblichen Rück¬
gang des Fremdcnzuflusses zur Folge hatte, und ist neuerdings auf einen Zu¬
stand der Unsicherheit gestiegen, welcher zur öffentlichen Warnung der Fremden
vor dem Besuche der Hauptstadt führte. Es haben sich starke Verbrecherbanden
gebildet, welche komplvttmäßige schwere Diebstähle und Naubanfälle beinahe all¬
nächtlich verüben, harmlose Personen werden in belebten Gegenden überfallen
und schwer mißhandelt, in einzelnen Stadtvierteln vergeht keine Woche, in welcher
nicht ein bis zwei Menschen totgeschlagen werden. Die Polizei, deren Macht
der radikale Gemeindercit bei jeder Gelegenheit zu schwächen sucht, ist gegenüber
der kolossalen Vermehrung der Verbrecher nicht mehr imstande, mit Erfolg ein-
zuschreiten, sie wird, wenn sie Hilfe zu leisten versucht, von ganzen Banden
angegriffen, und die Folge ist, daß eine Masse von Verbrechen gegen Eigentum,
Leib und Leben keine Sühne mehr findet. Einen Hauptbestandteil dieser orga-
nisirten Verbrecherbanden bilden die Zuhälter (Louis), deren Zahl sich auf eine
wahrhaft erschreckende Weise vermehrt. Gegen dieses nrbcitsschenc, verächtliche,
zu jedem Verbrechen bereite Gesinde! war die Polizei bisher völlig machtlos,
dasselbe konnte sein Gewerbe unter den Augen der Obrigkeit mit der scham¬
losesten Frechheit ausüben, ohne daß es möglich gewesen wäre, dem Treiben
entgegenzutreten.

Es ist nun als ein besonders glücklicher Griff zu bezeichnen, daß das oben
angeführte neu angenommene Deportationsgefetz auch die Zuhälter unter die¬
jenigen Verbrechergattungen aufgenommen hat, gegen welche Deportation zu-


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[0557] Das französische Deportationsgesetz. le Zustände in Frankreich, insbesondre die in der Hauptstadt deö Landes, haben im Laufe der letzten vierzehn Jahre unter der dritten Republik in Beziehung auf die Vermehrung der Verbrechen und die öffentliche Unsicherheit einen so bedenklichen Grad erreicht, daß ein Gesetz zur Notwendigkeit geworden ist, dessen Annahme in den letzten Tagen trotz des erbitterten Kampfes der radikalen Presse und eines Teils der Deputirten der äußersten Linken gegen dasselbe erfolgte: das Gesetz über die Deportation der rückfälligen Verbrecher. Die unter dem zweiten Kaiserreiche herrschende verhältnismäßig sehr hohe Sicherheit des Aufenthalts namentlich in Paris, welche z, B. dein Fremden ermöglichte, zu jeder Tages- und Nachtzeit selbst in den verrufensten Gegenden der Stadt unbehelligt zu verkehren, hat alsbald nach dem Sturze des Kaiser¬ reichs einem Zustande der Gefahr Platz gemacht, welcher einen erheblichen Rück¬ gang des Fremdcnzuflusses zur Folge hatte, und ist neuerdings auf einen Zu¬ stand der Unsicherheit gestiegen, welcher zur öffentlichen Warnung der Fremden vor dem Besuche der Hauptstadt führte. Es haben sich starke Verbrecherbanden gebildet, welche komplvttmäßige schwere Diebstähle und Naubanfälle beinahe all¬ nächtlich verüben, harmlose Personen werden in belebten Gegenden überfallen und schwer mißhandelt, in einzelnen Stadtvierteln vergeht keine Woche, in welcher nicht ein bis zwei Menschen totgeschlagen werden. Die Polizei, deren Macht der radikale Gemeindercit bei jeder Gelegenheit zu schwächen sucht, ist gegenüber der kolossalen Vermehrung der Verbrecher nicht mehr imstande, mit Erfolg ein- zuschreiten, sie wird, wenn sie Hilfe zu leisten versucht, von ganzen Banden angegriffen, und die Folge ist, daß eine Masse von Verbrechen gegen Eigentum, Leib und Leben keine Sühne mehr findet. Einen Hauptbestandteil dieser orga- nisirten Verbrecherbanden bilden die Zuhälter (Louis), deren Zahl sich auf eine wahrhaft erschreckende Weise vermehrt. Gegen dieses nrbcitsschenc, verächtliche, zu jedem Verbrechen bereite Gesinde! war die Polizei bisher völlig machtlos, dasselbe konnte sein Gewerbe unter den Augen der Obrigkeit mit der scham¬ losesten Frechheit ausüben, ohne daß es möglich gewesen wäre, dem Treiben entgegenzutreten. Es ist nun als ein besonders glücklicher Griff zu bezeichnen, daß das oben angeführte neu angenommene Deportationsgefetz auch die Zuhälter unter die¬ jenigen Verbrechergattungen aufgenommen hat, gegen welche Deportation zu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/557>, abgerufen am 22.07.2024.