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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Gin Veilchen auf der Wiese stand.


Abgesehen von den verschiednen Ton- und Tciktartcn -- welche Mannich-
faltigkeit der Behandlung! Der eine schreibt eine gedehnte, mit Zierraten
überladene Arie, ein zweiter eine lustige Tanzweise, ein dritter gar einen steif¬
beinigen Marsch; die Art, wie Reichardt (in seiner zweiten Melodie) mitten in
den Achteln plötzlich auf Vierteln kleben bleibt, erinnert fast an ein Schulpferd
im Zirkus. Große Not hat den meisten das "Daher! daher!" gemacht. Daß
diese Zeile ein vierfüßiger Jambus ist, so gut wie die übrigen, nur mit zwei
unterdrückten Füßen (Daher, daher, haben sie garnicht gefühlt, und
das wollten Musiker sein! Kayser trottet ohne jede Pause in seinen Marsch-
Vierteln weiter, andre machen denselben Fehler, nur verschleiert durch den Drei¬
viertel- oder Dreiachteltakt, zu dem sie ihre Zuflucht genommen haben. Aber auch
die, bei denen alles Äußerliche korrekt und annehmbar erscheint -- haben sie
musikalisch auch mir entfernt etwas gegeben, was der Goethischen Dichtung
würdig wäre? Himmelhoch erhebt sich Mozart über den ganzen Troß.

Mozart hat das Lied mit Enfaltung größten harmonischen Reichtums
"durchkvmponirt," während alle seine Vorgänger -- mit Ausnahme Seckendorffs,
der wenigstens die dritte Strophe (in Moll) abweichend gestaltet hat -- es ein¬
fach strophisch behandelt haben; er hat jeden Zug mit dramatischer Lebendigkeit
vorgeführt, ohne doch deshalb irgendwo in aufdringliche Malerei zu geraten, und
während die andern trotz all ihrer "zärtlich" und "lieblich" und "herzig," die
sie darübergeschrieben, doch nur einen gewöhnlichen Singsang bieten, kommt bei
ihm die ganze Innigkeit der Dichtung zum tiefsten, wahrsten und edelsten Ausdruck.
Auf den liebenswürdigen, echt mozartischen Zug am Schlüsse, wo er dem
Veilchen gleichsam seine persönliche Teilnahme ausspricht und damit zugleich
aus der dramatischen Detailschildcrung in die lyrische Grundstimmung des Ganzen
zurücklenkt, ist oft hingewiesen worden. Was mag wohl Goethe zu diesem
kleinen Epilog gesagt haben?


G. W.


Gin Veilchen auf der Wiese stand.


Abgesehen von den verschiednen Ton- und Tciktartcn — welche Mannich-
faltigkeit der Behandlung! Der eine schreibt eine gedehnte, mit Zierraten
überladene Arie, ein zweiter eine lustige Tanzweise, ein dritter gar einen steif¬
beinigen Marsch; die Art, wie Reichardt (in seiner zweiten Melodie) mitten in
den Achteln plötzlich auf Vierteln kleben bleibt, erinnert fast an ein Schulpferd
im Zirkus. Große Not hat den meisten das „Daher! daher!" gemacht. Daß
diese Zeile ein vierfüßiger Jambus ist, so gut wie die übrigen, nur mit zwei
unterdrückten Füßen (Daher, daher, haben sie garnicht gefühlt, und
das wollten Musiker sein! Kayser trottet ohne jede Pause in seinen Marsch-
Vierteln weiter, andre machen denselben Fehler, nur verschleiert durch den Drei¬
viertel- oder Dreiachteltakt, zu dem sie ihre Zuflucht genommen haben. Aber auch
die, bei denen alles Äußerliche korrekt und annehmbar erscheint — haben sie
musikalisch auch mir entfernt etwas gegeben, was der Goethischen Dichtung
würdig wäre? Himmelhoch erhebt sich Mozart über den ganzen Troß.

Mozart hat das Lied mit Enfaltung größten harmonischen Reichtums
„durchkvmponirt," während alle seine Vorgänger — mit Ausnahme Seckendorffs,
der wenigstens die dritte Strophe (in Moll) abweichend gestaltet hat — es ein¬
fach strophisch behandelt haben; er hat jeden Zug mit dramatischer Lebendigkeit
vorgeführt, ohne doch deshalb irgendwo in aufdringliche Malerei zu geraten, und
während die andern trotz all ihrer „zärtlich" und „lieblich" und „herzig," die
sie darübergeschrieben, doch nur einen gewöhnlichen Singsang bieten, kommt bei
ihm die ganze Innigkeit der Dichtung zum tiefsten, wahrsten und edelsten Ausdruck.
Auf den liebenswürdigen, echt mozartischen Zug am Schlüsse, wo er dem
Veilchen gleichsam seine persönliche Teilnahme ausspricht und damit zugleich
aus der dramatischen Detailschildcrung in die lyrische Grundstimmung des Ganzen
zurücklenkt, ist oft hingewiesen worden. Was mag wohl Goethe zu diesem
kleinen Epilog gesagt haben?


G. W.


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[0536] Gin Veilchen auf der Wiese stand. [Abbildung] Abgesehen von den verschiednen Ton- und Tciktartcn — welche Mannich- faltigkeit der Behandlung! Der eine schreibt eine gedehnte, mit Zierraten überladene Arie, ein zweiter eine lustige Tanzweise, ein dritter gar einen steif¬ beinigen Marsch; die Art, wie Reichardt (in seiner zweiten Melodie) mitten in den Achteln plötzlich auf Vierteln kleben bleibt, erinnert fast an ein Schulpferd im Zirkus. Große Not hat den meisten das „Daher! daher!" gemacht. Daß diese Zeile ein vierfüßiger Jambus ist, so gut wie die übrigen, nur mit zwei unterdrückten Füßen (Daher, daher, haben sie garnicht gefühlt, und das wollten Musiker sein! Kayser trottet ohne jede Pause in seinen Marsch- Vierteln weiter, andre machen denselben Fehler, nur verschleiert durch den Drei¬ viertel- oder Dreiachteltakt, zu dem sie ihre Zuflucht genommen haben. Aber auch die, bei denen alles Äußerliche korrekt und annehmbar erscheint — haben sie musikalisch auch mir entfernt etwas gegeben, was der Goethischen Dichtung würdig wäre? Himmelhoch erhebt sich Mozart über den ganzen Troß. Mozart hat das Lied mit Enfaltung größten harmonischen Reichtums „durchkvmponirt," während alle seine Vorgänger — mit Ausnahme Seckendorffs, der wenigstens die dritte Strophe (in Moll) abweichend gestaltet hat — es ein¬ fach strophisch behandelt haben; er hat jeden Zug mit dramatischer Lebendigkeit vorgeführt, ohne doch deshalb irgendwo in aufdringliche Malerei zu geraten, und während die andern trotz all ihrer „zärtlich" und „lieblich" und „herzig," die sie darübergeschrieben, doch nur einen gewöhnlichen Singsang bieten, kommt bei ihm die ganze Innigkeit der Dichtung zum tiefsten, wahrsten und edelsten Ausdruck. Auf den liebenswürdigen, echt mozartischen Zug am Schlüsse, wo er dem Veilchen gleichsam seine persönliche Teilnahme ausspricht und damit zugleich aus der dramatischen Detailschildcrung in die lyrische Grundstimmung des Ganzen zurücklenkt, ist oft hingewiesen worden. Was mag wohl Goethe zu diesem kleinen Epilog gesagt haben? G. W.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/536>, abgerufen am 22.07.2024.