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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Sie dramatische 7<unse E. von ZVildenbrnchs.

unternimmt, ein Gebilde der Kunst aus der Welt seiner Gedanken zu schaffen,
fühlt etwas in sich von jenem mythischen Vater der Menschheit, Aber wenn
er damit sagen will, daß mit ihm das neue Gestirn aufgegangen sei, welches
aus dem unvermittelter Verkehr mit der ursprünglichen Quelle sein Licht em¬
pfängt, um es leuchtend wiederzugeben auf die Pfade, die wir von um an in
ungemessene Zukunft weiterwandern sollen, so können wir dem nicht beistimmen.
Nicht daß eS Wildenbruch an dichterischer Ursprünglichkeit fehlte; die hat in
höherm oder geringerm Grade jeder, der poetisch empfindet. Aber wem ist
es gegeben, sich dem Banne zu entziehen, den um einmal Meister wie Shake¬
speare, Goethe, Schiller und andre auf uns gelegt haben? Das Licht, welches
in den Tragödien Wildenbruchs leuchtet und wärmt, ist vorzugsweise dem
Feucrwagen entnommen, mit welchem der englische Altmeister das Weltall durch¬
glüht. Das wird einem sofort klar, wenn man nur ein paar Seiten seiner
Dichtungen liest.

Was ist es, das uns vor allem an den Dramen Shakespeares entzückt?
Da ist zunächst die gedankenschwere epigrammatische Kürze, die unübertroffene
Kunst, die Menge der Einzelerscheinungen im Sinnspruche zusammenzufassen
und wie mit dem Strahl des plötzlich aufleuchtenden Lichtes das In- und
Durcheinander unsrer Vorstellungen zu entwirren. Da ist ferner jene Fülle
von Bildern und Vergleichungen, die trotz ihres Reichtums deshalb niemals
den Eindruck des Überladenen und Geschraubten machen, weil sie mit selbst-
eigncr Kraft empfunden und gleichsam ans dem unmittelbaren Erleben heraus
genau der Ausdruck dessen sind, was gesagt werden soll. Da ist die Sprache,
in welcher mit elementarer Gewalt der Vorgang aus der Seele des Dichters
hervorbrechend sich ans diejenige des Hörers wirft und sie in dieselbe Schwingung
versetzt. Da ist endlich all das andre Material und Handwerkszeug, womit
der Dichter auf uns einwirkt. In diesen Dingen, und es ist nichts, was man
davon aufnehmen könnte, steht Wildenbruch im Lichte der shakespearischer
Sonne. Man könnte sagen, daß die aus ihnen sich ergebende Gestaltung der
Gedanken bei allen Dichtern zu finden sei, und in der That keiner derselben
wird ohne sie fertig, gerade durch sie ist er, was er ist. Aber hier kommt es
auf etwas andres an. Auch Schiller und Goethe und andre haben, wie
Shakespeare, in färben- und bilderreicher Sprache gedichtet, aber sie haben es
in der ihnen angebornen, gleichsam göttlichen Eigenart gethan, die keine Ver¬
mittlung kennt zwischeu ihrem Denken und Fühlen auf der einen und ihrem
Handeln, das heißt ihrem poetischen Schaffen, auf der andern Seite. Das sind
die Heroen des Geistes, die mit dem Scheitel die Gestirne berühren und mit
starkem Fuße auf der Erde stehen. In ihren Worten spricht erhabene, himm¬
lische Begeisterung, wie der Erdgeruch und der naive Ausdruck des Volksliedes.
Noch einmal verwahren wir uns dagegen, als ob es darauf abgesehen wäre,
Wildenbruch die Unabhängigkeit dichterischen Empfindens abzusprechen. Das


Sie dramatische 7<unse E. von ZVildenbrnchs.

unternimmt, ein Gebilde der Kunst aus der Welt seiner Gedanken zu schaffen,
fühlt etwas in sich von jenem mythischen Vater der Menschheit, Aber wenn
er damit sagen will, daß mit ihm das neue Gestirn aufgegangen sei, welches
aus dem unvermittelter Verkehr mit der ursprünglichen Quelle sein Licht em¬
pfängt, um es leuchtend wiederzugeben auf die Pfade, die wir von um an in
ungemessene Zukunft weiterwandern sollen, so können wir dem nicht beistimmen.
Nicht daß eS Wildenbruch an dichterischer Ursprünglichkeit fehlte; die hat in
höherm oder geringerm Grade jeder, der poetisch empfindet. Aber wem ist
es gegeben, sich dem Banne zu entziehen, den um einmal Meister wie Shake¬
speare, Goethe, Schiller und andre auf uns gelegt haben? Das Licht, welches
in den Tragödien Wildenbruchs leuchtet und wärmt, ist vorzugsweise dem
Feucrwagen entnommen, mit welchem der englische Altmeister das Weltall durch¬
glüht. Das wird einem sofort klar, wenn man nur ein paar Seiten seiner
Dichtungen liest.

Was ist es, das uns vor allem an den Dramen Shakespeares entzückt?
Da ist zunächst die gedankenschwere epigrammatische Kürze, die unübertroffene
Kunst, die Menge der Einzelerscheinungen im Sinnspruche zusammenzufassen
und wie mit dem Strahl des plötzlich aufleuchtenden Lichtes das In- und
Durcheinander unsrer Vorstellungen zu entwirren. Da ist ferner jene Fülle
von Bildern und Vergleichungen, die trotz ihres Reichtums deshalb niemals
den Eindruck des Überladenen und Geschraubten machen, weil sie mit selbst-
eigncr Kraft empfunden und gleichsam ans dem unmittelbaren Erleben heraus
genau der Ausdruck dessen sind, was gesagt werden soll. Da ist die Sprache,
in welcher mit elementarer Gewalt der Vorgang aus der Seele des Dichters
hervorbrechend sich ans diejenige des Hörers wirft und sie in dieselbe Schwingung
versetzt. Da ist endlich all das andre Material und Handwerkszeug, womit
der Dichter auf uns einwirkt. In diesen Dingen, und es ist nichts, was man
davon aufnehmen könnte, steht Wildenbruch im Lichte der shakespearischer
Sonne. Man könnte sagen, daß die aus ihnen sich ergebende Gestaltung der
Gedanken bei allen Dichtern zu finden sei, und in der That keiner derselben
wird ohne sie fertig, gerade durch sie ist er, was er ist. Aber hier kommt es
auf etwas andres an. Auch Schiller und Goethe und andre haben, wie
Shakespeare, in färben- und bilderreicher Sprache gedichtet, aber sie haben es
in der ihnen angebornen, gleichsam göttlichen Eigenart gethan, die keine Ver¬
mittlung kennt zwischeu ihrem Denken und Fühlen auf der einen und ihrem
Handeln, das heißt ihrem poetischen Schaffen, auf der andern Seite. Das sind
die Heroen des Geistes, die mit dem Scheitel die Gestirne berühren und mit
starkem Fuße auf der Erde stehen. In ihren Worten spricht erhabene, himm¬
lische Begeisterung, wie der Erdgeruch und der naive Ausdruck des Volksliedes.
Noch einmal verwahren wir uns dagegen, als ob es darauf abgesehen wäre,
Wildenbruch die Unabhängigkeit dichterischen Empfindens abzusprechen. Das


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[0517] Sie dramatische 7<unse E. von ZVildenbrnchs. unternimmt, ein Gebilde der Kunst aus der Welt seiner Gedanken zu schaffen, fühlt etwas in sich von jenem mythischen Vater der Menschheit, Aber wenn er damit sagen will, daß mit ihm das neue Gestirn aufgegangen sei, welches aus dem unvermittelter Verkehr mit der ursprünglichen Quelle sein Licht em¬ pfängt, um es leuchtend wiederzugeben auf die Pfade, die wir von um an in ungemessene Zukunft weiterwandern sollen, so können wir dem nicht beistimmen. Nicht daß eS Wildenbruch an dichterischer Ursprünglichkeit fehlte; die hat in höherm oder geringerm Grade jeder, der poetisch empfindet. Aber wem ist es gegeben, sich dem Banne zu entziehen, den um einmal Meister wie Shake¬ speare, Goethe, Schiller und andre auf uns gelegt haben? Das Licht, welches in den Tragödien Wildenbruchs leuchtet und wärmt, ist vorzugsweise dem Feucrwagen entnommen, mit welchem der englische Altmeister das Weltall durch¬ glüht. Das wird einem sofort klar, wenn man nur ein paar Seiten seiner Dichtungen liest. Was ist es, das uns vor allem an den Dramen Shakespeares entzückt? Da ist zunächst die gedankenschwere epigrammatische Kürze, die unübertroffene Kunst, die Menge der Einzelerscheinungen im Sinnspruche zusammenzufassen und wie mit dem Strahl des plötzlich aufleuchtenden Lichtes das In- und Durcheinander unsrer Vorstellungen zu entwirren. Da ist ferner jene Fülle von Bildern und Vergleichungen, die trotz ihres Reichtums deshalb niemals den Eindruck des Überladenen und Geschraubten machen, weil sie mit selbst- eigncr Kraft empfunden und gleichsam ans dem unmittelbaren Erleben heraus genau der Ausdruck dessen sind, was gesagt werden soll. Da ist die Sprache, in welcher mit elementarer Gewalt der Vorgang aus der Seele des Dichters hervorbrechend sich ans diejenige des Hörers wirft und sie in dieselbe Schwingung versetzt. Da ist endlich all das andre Material und Handwerkszeug, womit der Dichter auf uns einwirkt. In diesen Dingen, und es ist nichts, was man davon aufnehmen könnte, steht Wildenbruch im Lichte der shakespearischer Sonne. Man könnte sagen, daß die aus ihnen sich ergebende Gestaltung der Gedanken bei allen Dichtern zu finden sei, und in der That keiner derselben wird ohne sie fertig, gerade durch sie ist er, was er ist. Aber hier kommt es auf etwas andres an. Auch Schiller und Goethe und andre haben, wie Shakespeare, in färben- und bilderreicher Sprache gedichtet, aber sie haben es in der ihnen angebornen, gleichsam göttlichen Eigenart gethan, die keine Ver¬ mittlung kennt zwischeu ihrem Denken und Fühlen auf der einen und ihrem Handeln, das heißt ihrem poetischen Schaffen, auf der andern Seite. Das sind die Heroen des Geistes, die mit dem Scheitel die Gestirne berühren und mit starkem Fuße auf der Erde stehen. In ihren Worten spricht erhabene, himm¬ lische Begeisterung, wie der Erdgeruch und der naive Ausdruck des Volksliedes. Noch einmal verwahren wir uns dagegen, als ob es darauf abgesehen wäre, Wildenbruch die Unabhängigkeit dichterischen Empfindens abzusprechen. Das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/517>, abgerufen am 22.07.2024.