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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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des Ausbruchs und in der Sorge, daß der Gast auf dem Wege zu dem schlüpf¬
rigen Stege ausglcite und Schaden nehme, kam es uicht dazu. Sie leuchtete
und bat, behutsam zu sei", und redete von der Tiefe des Wassers -- darüber
fand sie uicht die schicklichen Worte,

So verließ Florida die Mühle des heiligen Petrus, und so gelangte sie
über den schwankenden Steg wieder auf den Mühlendamm zurück.

Dort blieb sie stehen und blickte zu dem wolkenlosen Blaugrau des Him¬
mels empor. Wenige Sterne uur erst blickten silbern herab und spiegelten sich
auf der finstern Wasserfläche. Sie schüttelte den Kopf, als ihr Auge in der
Ferne die Stelle wiedererkannte, wo sie ans dem Punkte gewesen war, das
Leben von sich zu werfen.

Wenn in jener Gemütsverfassung das Hinstarren auf ihr zu Boden ge¬
tretenes Glück sie nahezu um ihren Verstand gebracht hatte, so gedachte sie jetzt
der armen, am gebrochenen Herzen im Kloster gestorbenen Cesarina, und ihr
eignes Loos dünkte ihr nur noch eine Heimsuchung unter vielen, unter unzäh¬
ligen, die sämtlich als den Erdgeborenen auferlegte Prüfungen mit Geduld ge¬
tragen sein wollen.

Ja, unter unzähligen! rief sie, indem sie wieder gen Himmel blickte, wo
immer mehr Sterne aus dem Dunkel hervorträte,,. Und ich verwöhntes Kind
verlange von dem Regierer dieser Mhriaden von Welten, er solle mich vor allen
den übrigen bevorzugen, er solle, meiner Ungeduld zu Gefallen, von einem Tage
zum andern in Erfüllung gehen lassen, wessen ich mich vielleicht erst durch
jahrelanges demütiges Ausharren würdig zu erweisen habe! Ich werde alles
über mich ergehen lassen und werde ausharre".

Sie wollte mit einem letzten Umschauen von der Mühle des heiligen
Petrus Abschied nehmen; da war es ihr, als ob von der Seite des Wassers
her eine Erscheinung sichtbar werde und mit blitzartiger Geschwindigkeit wieder
verschwinde, jene selbe von blendend weißem Lichtschimmer umflossene Gestalt
mit geschlossenen, langbcwimpertcn Angen, jene nämliche himmlische Erscheinung,
die ihr im Traume eine Vorahnung tiefen Friedens ins Herz geflößt hatte.

Die von einem freudigen Schreck durchzuckte war unwillkürlich auf die
Kniee gesunken, und es dauerte eine Weile, ehe sie ihrer Sinne wieder völlig
mächtig werden konnte. Dann sagte sie sich mit glutüberströmten Wangen, aber
ohne sich ihrer freudigen Erregung zu schämen: Es war ja nur Gervasio! Es
war ja nnr der mehlbestäubte blinde Sohn der guten Müllerin, den ihre hell-
brennende Lampe auf einen kurzen Augenblick beleuchtete; es war keine himm¬
lische Vision; dort klappert das Mühlrad, dort kam und verschwand die Er¬
scheinung. Es konnte, es durste noch nicht der Bote meines armen Giuseppe
sein, es war der blinde Mühlknappe des heiligen Petrus. (Fortsetzung folgt.)




Mir die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunvw in Leipzig.
Verlag von Fr. Will). Grunvw in Leipzig, -- Druck von Carl Mnrauart in Leipzig.
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des Ausbruchs und in der Sorge, daß der Gast auf dem Wege zu dem schlüpf¬
rigen Stege ausglcite und Schaden nehme, kam es uicht dazu. Sie leuchtete
und bat, behutsam zu sei», und redete von der Tiefe des Wassers — darüber
fand sie uicht die schicklichen Worte,

So verließ Florida die Mühle des heiligen Petrus, und so gelangte sie
über den schwankenden Steg wieder auf den Mühlendamm zurück.

Dort blieb sie stehen und blickte zu dem wolkenlosen Blaugrau des Him¬
mels empor. Wenige Sterne uur erst blickten silbern herab und spiegelten sich
auf der finstern Wasserfläche. Sie schüttelte den Kopf, als ihr Auge in der
Ferne die Stelle wiedererkannte, wo sie ans dem Punkte gewesen war, das
Leben von sich zu werfen.

Wenn in jener Gemütsverfassung das Hinstarren auf ihr zu Boden ge¬
tretenes Glück sie nahezu um ihren Verstand gebracht hatte, so gedachte sie jetzt
der armen, am gebrochenen Herzen im Kloster gestorbenen Cesarina, und ihr
eignes Loos dünkte ihr nur noch eine Heimsuchung unter vielen, unter unzäh¬
ligen, die sämtlich als den Erdgeborenen auferlegte Prüfungen mit Geduld ge¬
tragen sein wollen.

Ja, unter unzähligen! rief sie, indem sie wieder gen Himmel blickte, wo
immer mehr Sterne aus dem Dunkel hervorträte,,. Und ich verwöhntes Kind
verlange von dem Regierer dieser Mhriaden von Welten, er solle mich vor allen
den übrigen bevorzugen, er solle, meiner Ungeduld zu Gefallen, von einem Tage
zum andern in Erfüllung gehen lassen, wessen ich mich vielleicht erst durch
jahrelanges demütiges Ausharren würdig zu erweisen habe! Ich werde alles
über mich ergehen lassen und werde ausharre».

Sie wollte mit einem letzten Umschauen von der Mühle des heiligen
Petrus Abschied nehmen; da war es ihr, als ob von der Seite des Wassers
her eine Erscheinung sichtbar werde und mit blitzartiger Geschwindigkeit wieder
verschwinde, jene selbe von blendend weißem Lichtschimmer umflossene Gestalt
mit geschlossenen, langbcwimpertcn Angen, jene nämliche himmlische Erscheinung,
die ihr im Traume eine Vorahnung tiefen Friedens ins Herz geflößt hatte.

Die von einem freudigen Schreck durchzuckte war unwillkürlich auf die
Kniee gesunken, und es dauerte eine Weile, ehe sie ihrer Sinne wieder völlig
mächtig werden konnte. Dann sagte sie sich mit glutüberströmten Wangen, aber
ohne sich ihrer freudigen Erregung zu schämen: Es war ja nur Gervasio! Es
war ja nnr der mehlbestäubte blinde Sohn der guten Müllerin, den ihre hell-
brennende Lampe auf einen kurzen Augenblick beleuchtete; es war keine himm¬
lische Vision; dort klappert das Mühlrad, dort kam und verschwand die Er¬
scheinung. Es konnte, es durste noch nicht der Bote meines armen Giuseppe
sein, es war der blinde Mühlknappe des heiligen Petrus. (Fortsetzung folgt.)




Mir die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunvw in Leipzig.
Verlag von Fr. Will). Grunvw in Leipzig, — Druck von Carl Mnrauart in Leipzig.
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[0493] N>» eine Perl?, des Ausbruchs und in der Sorge, daß der Gast auf dem Wege zu dem schlüpf¬ rigen Stege ausglcite und Schaden nehme, kam es uicht dazu. Sie leuchtete und bat, behutsam zu sei», und redete von der Tiefe des Wassers — darüber fand sie uicht die schicklichen Worte, So verließ Florida die Mühle des heiligen Petrus, und so gelangte sie über den schwankenden Steg wieder auf den Mühlendamm zurück. Dort blieb sie stehen und blickte zu dem wolkenlosen Blaugrau des Him¬ mels empor. Wenige Sterne uur erst blickten silbern herab und spiegelten sich auf der finstern Wasserfläche. Sie schüttelte den Kopf, als ihr Auge in der Ferne die Stelle wiedererkannte, wo sie ans dem Punkte gewesen war, das Leben von sich zu werfen. Wenn in jener Gemütsverfassung das Hinstarren auf ihr zu Boden ge¬ tretenes Glück sie nahezu um ihren Verstand gebracht hatte, so gedachte sie jetzt der armen, am gebrochenen Herzen im Kloster gestorbenen Cesarina, und ihr eignes Loos dünkte ihr nur noch eine Heimsuchung unter vielen, unter unzäh¬ ligen, die sämtlich als den Erdgeborenen auferlegte Prüfungen mit Geduld ge¬ tragen sein wollen. Ja, unter unzähligen! rief sie, indem sie wieder gen Himmel blickte, wo immer mehr Sterne aus dem Dunkel hervorträte,,. Und ich verwöhntes Kind verlange von dem Regierer dieser Mhriaden von Welten, er solle mich vor allen den übrigen bevorzugen, er solle, meiner Ungeduld zu Gefallen, von einem Tage zum andern in Erfüllung gehen lassen, wessen ich mich vielleicht erst durch jahrelanges demütiges Ausharren würdig zu erweisen habe! Ich werde alles über mich ergehen lassen und werde ausharre». Sie wollte mit einem letzten Umschauen von der Mühle des heiligen Petrus Abschied nehmen; da war es ihr, als ob von der Seite des Wassers her eine Erscheinung sichtbar werde und mit blitzartiger Geschwindigkeit wieder verschwinde, jene selbe von blendend weißem Lichtschimmer umflossene Gestalt mit geschlossenen, langbcwimpertcn Angen, jene nämliche himmlische Erscheinung, die ihr im Traume eine Vorahnung tiefen Friedens ins Herz geflößt hatte. Die von einem freudigen Schreck durchzuckte war unwillkürlich auf die Kniee gesunken, und es dauerte eine Weile, ehe sie ihrer Sinne wieder völlig mächtig werden konnte. Dann sagte sie sich mit glutüberströmten Wangen, aber ohne sich ihrer freudigen Erregung zu schämen: Es war ja nur Gervasio! Es war ja nnr der mehlbestäubte blinde Sohn der guten Müllerin, den ihre hell- brennende Lampe auf einen kurzen Augenblick beleuchtete; es war keine himm¬ lische Vision; dort klappert das Mühlrad, dort kam und verschwand die Er¬ scheinung. Es konnte, es durste noch nicht der Bote meines armen Giuseppe sein, es war der blinde Mühlknappe des heiligen Petrus. (Fortsetzung folgt.) Mir die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunvw in Leipzig. Verlag von Fr. Will). Grunvw in Leipzig, — Druck von Carl Mnrauart in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/493>, abgerufen am 22.07.2024.