Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Um eine perle.

Serivano, als er eben die Feder neu eintauchte, um den Namen in Fraktur-
schrift darunterzusetzen.

Gebt her, stotterte Florida, der die Schrift vor den Augen schwamm.

Er reichte dem Fräulein mit einer um Entschuldigung bittenden Hand¬
bewegung die tropfende Gänsefeder, und sie versuchte zu schreiben.

Aber vor Aufregung verspritzte sie nur den Tinteninhalt der Feder über
das ganze Papier.

schreibet statt meiner, rief sie.

Auf dieses beschmutzte und schier unleserliehe Blatt? lehnte der Serivano
mit amtswürdigem Kopfschütteln ab; unmöglich, Signora!

Und er zerriß das Geschriebene, um gleich ein neues Papier aus seiner
ledernen Schreibunterlage hervorzuziehen.

Setzt Euch, bat er; ich überteure Euch nicht. Mir war der erste große
Anfangsbuchstabe ohnehin schlecht geraten. Setzt Euch. Dem Schaden ist bald
abgeholfen.

Es warm zum Niedersitzen nur die in der Mittagssonne glühenden Treppen¬
stufen des alten Palazzo Berlotti zur Hand. Aber Florida setzte sich. Laßt
Euch Zeit, Vater, sagte sie und stützte die Ellbogen ans die Kniee und das
Gesicht in die Hände.

Mitleidig schüttelte der Alte den Kopf und schielte über seine Brille seit¬
wärts nach der wunderlich in ihrem Tempo wechselnden Kundin hinüber. Umso-
besser, Signora, stimmte er bei; in meinen Jahren läßt man sich nicht gern
übereilen; es passirt einem sonst zu leicht, daß man sich verschreibt.

Ja, mit dem Übereilen und dem Verschreiben! fuhr er langsam fort, indem
er uach dem zerrissenen Konzepte den Widerruf in schonen Haar- und Schatten¬
strichen von neuem zu Papier zu bringen begann; es ist wahr, in der Jugend
geht einem nichts rasch genug, aber mit dein Hasten läuft denn anch gar manches
junge Blut dem Teufel in den Nachen. Habe ich Recht oder Unrecht, beste
Signora? Ihr verzeiht, unterbrach er sich und sah sich nach einem frischen
Bogen Papier um, aber die Gänse haben jetzt Federn, die weit leichter kleckse",
als dies noch vor zehn, zwanzig Jahren der Fall war; ich muß wahrhaftig
noch einmal von neuem anfangen.

Florida war mit ihren Gedanken weit weg. Laßt Euch Zeit, wiederholte
sie nur.

Ihr seid die Herzensgüte in Person, dankte der alte Schreiber und hielt
eine neue Feder, um ihren Spalt zu prüfen, gegen den Tag, zog sie dann be¬
friedigt durch den Mund, tauchte sie ein und begann, indem er sich den Text
des Diktats leise vorsprach, noch einmal: Signor Andrea . . .

Während er darauf ohne weitem Unfall seine Kunst walten ließ, griff er
mit allerlei Zwischenreden wieder auf die Jugend und ihre Übereilungen zurück
und wußte ohne Mühe den Übergang zu dem gewöhnlichen Thema seiner Unter-


Um eine perle.

Serivano, als er eben die Feder neu eintauchte, um den Namen in Fraktur-
schrift darunterzusetzen.

Gebt her, stotterte Florida, der die Schrift vor den Augen schwamm.

Er reichte dem Fräulein mit einer um Entschuldigung bittenden Hand¬
bewegung die tropfende Gänsefeder, und sie versuchte zu schreiben.

Aber vor Aufregung verspritzte sie nur den Tinteninhalt der Feder über
das ganze Papier.

schreibet statt meiner, rief sie.

Auf dieses beschmutzte und schier unleserliehe Blatt? lehnte der Serivano
mit amtswürdigem Kopfschütteln ab; unmöglich, Signora!

Und er zerriß das Geschriebene, um gleich ein neues Papier aus seiner
ledernen Schreibunterlage hervorzuziehen.

Setzt Euch, bat er; ich überteure Euch nicht. Mir war der erste große
Anfangsbuchstabe ohnehin schlecht geraten. Setzt Euch. Dem Schaden ist bald
abgeholfen.

Es warm zum Niedersitzen nur die in der Mittagssonne glühenden Treppen¬
stufen des alten Palazzo Berlotti zur Hand. Aber Florida setzte sich. Laßt
Euch Zeit, Vater, sagte sie und stützte die Ellbogen ans die Kniee und das
Gesicht in die Hände.

Mitleidig schüttelte der Alte den Kopf und schielte über seine Brille seit¬
wärts nach der wunderlich in ihrem Tempo wechselnden Kundin hinüber. Umso-
besser, Signora, stimmte er bei; in meinen Jahren läßt man sich nicht gern
übereilen; es passirt einem sonst zu leicht, daß man sich verschreibt.

Ja, mit dem Übereilen und dem Verschreiben! fuhr er langsam fort, indem
er uach dem zerrissenen Konzepte den Widerruf in schonen Haar- und Schatten¬
strichen von neuem zu Papier zu bringen begann; es ist wahr, in der Jugend
geht einem nichts rasch genug, aber mit dein Hasten läuft denn anch gar manches
junge Blut dem Teufel in den Nachen. Habe ich Recht oder Unrecht, beste
Signora? Ihr verzeiht, unterbrach er sich und sah sich nach einem frischen
Bogen Papier um, aber die Gänse haben jetzt Federn, die weit leichter kleckse»,
als dies noch vor zehn, zwanzig Jahren der Fall war; ich muß wahrhaftig
noch einmal von neuem anfangen.

Florida war mit ihren Gedanken weit weg. Laßt Euch Zeit, wiederholte
sie nur.

Ihr seid die Herzensgüte in Person, dankte der alte Schreiber und hielt
eine neue Feder, um ihren Spalt zu prüfen, gegen den Tag, zog sie dann be¬
friedigt durch den Mund, tauchte sie ein und begann, indem er sich den Text
des Diktats leise vorsprach, noch einmal: Signor Andrea . . .

Während er darauf ohne weitem Unfall seine Kunst walten ließ, griff er
mit allerlei Zwischenreden wieder auf die Jugend und ihre Übereilungen zurück
und wußte ohne Mühe den Übergang zu dem gewöhnlichen Thema seiner Unter-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0383" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/195772"/>
            <fw type="header" place="top"> Um eine perle.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1324" prev="#ID_1323"> Serivano, als er eben die Feder neu eintauchte, um den Namen in Fraktur-<lb/>
schrift darunterzusetzen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1325"> Gebt her, stotterte Florida, der die Schrift vor den Augen schwamm.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1326"> Er reichte dem Fräulein mit einer um Entschuldigung bittenden Hand¬<lb/>
bewegung die tropfende Gänsefeder, und sie versuchte zu schreiben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1327"> Aber vor Aufregung verspritzte sie nur den Tinteninhalt der Feder über<lb/>
das ganze Papier.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1328"> schreibet statt meiner, rief sie.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1329"> Auf dieses beschmutzte und schier unleserliehe Blatt? lehnte der Serivano<lb/>
mit amtswürdigem Kopfschütteln ab; unmöglich, Signora!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1330"> Und er zerriß das Geschriebene, um gleich ein neues Papier aus seiner<lb/>
ledernen Schreibunterlage hervorzuziehen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1331"> Setzt Euch, bat er; ich überteure Euch nicht. Mir war der erste große<lb/>
Anfangsbuchstabe ohnehin schlecht geraten. Setzt Euch. Dem Schaden ist bald<lb/>
abgeholfen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1332"> Es warm zum Niedersitzen nur die in der Mittagssonne glühenden Treppen¬<lb/>
stufen des alten Palazzo Berlotti zur Hand. Aber Florida setzte sich. Laßt<lb/>
Euch Zeit, Vater, sagte sie und stützte die Ellbogen ans die Kniee und das<lb/>
Gesicht in die Hände.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1333"> Mitleidig schüttelte der Alte den Kopf und schielte über seine Brille seit¬<lb/>
wärts nach der wunderlich in ihrem Tempo wechselnden Kundin hinüber. Umso-<lb/>
besser, Signora, stimmte er bei; in meinen Jahren läßt man sich nicht gern<lb/>
übereilen; es passirt einem sonst zu leicht, daß man sich verschreibt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1334"> Ja, mit dem Übereilen und dem Verschreiben! fuhr er langsam fort, indem<lb/>
er uach dem zerrissenen Konzepte den Widerruf in schonen Haar- und Schatten¬<lb/>
strichen von neuem zu Papier zu bringen begann; es ist wahr, in der Jugend<lb/>
geht einem nichts rasch genug, aber mit dein Hasten läuft denn anch gar manches<lb/>
junge Blut dem Teufel in den Nachen. Habe ich Recht oder Unrecht, beste<lb/>
Signora? Ihr verzeiht, unterbrach er sich und sah sich nach einem frischen<lb/>
Bogen Papier um, aber die Gänse haben jetzt Federn, die weit leichter kleckse»,<lb/>
als dies noch vor zehn, zwanzig Jahren der Fall war; ich muß wahrhaftig<lb/>
noch einmal von neuem anfangen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1335"> Florida war mit ihren Gedanken weit weg. Laßt Euch Zeit, wiederholte<lb/>
sie nur.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1336"> Ihr seid die Herzensgüte in Person, dankte der alte Schreiber und hielt<lb/>
eine neue Feder, um ihren Spalt zu prüfen, gegen den Tag, zog sie dann be¬<lb/>
friedigt durch den Mund, tauchte sie ein und begann, indem er sich den Text<lb/>
des Diktats leise vorsprach, noch einmal: Signor Andrea . . .</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1337" next="#ID_1338"> Während er darauf ohne weitem Unfall seine Kunst walten ließ, griff er<lb/>
mit allerlei Zwischenreden wieder auf die Jugend und ihre Übereilungen zurück<lb/>
und wußte ohne Mühe den Übergang zu dem gewöhnlichen Thema seiner Unter-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0383] Um eine perle. Serivano, als er eben die Feder neu eintauchte, um den Namen in Fraktur- schrift darunterzusetzen. Gebt her, stotterte Florida, der die Schrift vor den Augen schwamm. Er reichte dem Fräulein mit einer um Entschuldigung bittenden Hand¬ bewegung die tropfende Gänsefeder, und sie versuchte zu schreiben. Aber vor Aufregung verspritzte sie nur den Tinteninhalt der Feder über das ganze Papier. schreibet statt meiner, rief sie. Auf dieses beschmutzte und schier unleserliehe Blatt? lehnte der Serivano mit amtswürdigem Kopfschütteln ab; unmöglich, Signora! Und er zerriß das Geschriebene, um gleich ein neues Papier aus seiner ledernen Schreibunterlage hervorzuziehen. Setzt Euch, bat er; ich überteure Euch nicht. Mir war der erste große Anfangsbuchstabe ohnehin schlecht geraten. Setzt Euch. Dem Schaden ist bald abgeholfen. Es warm zum Niedersitzen nur die in der Mittagssonne glühenden Treppen¬ stufen des alten Palazzo Berlotti zur Hand. Aber Florida setzte sich. Laßt Euch Zeit, Vater, sagte sie und stützte die Ellbogen ans die Kniee und das Gesicht in die Hände. Mitleidig schüttelte der Alte den Kopf und schielte über seine Brille seit¬ wärts nach der wunderlich in ihrem Tempo wechselnden Kundin hinüber. Umso- besser, Signora, stimmte er bei; in meinen Jahren läßt man sich nicht gern übereilen; es passirt einem sonst zu leicht, daß man sich verschreibt. Ja, mit dem Übereilen und dem Verschreiben! fuhr er langsam fort, indem er uach dem zerrissenen Konzepte den Widerruf in schonen Haar- und Schatten¬ strichen von neuem zu Papier zu bringen begann; es ist wahr, in der Jugend geht einem nichts rasch genug, aber mit dein Hasten läuft denn anch gar manches junge Blut dem Teufel in den Nachen. Habe ich Recht oder Unrecht, beste Signora? Ihr verzeiht, unterbrach er sich und sah sich nach einem frischen Bogen Papier um, aber die Gänse haben jetzt Federn, die weit leichter kleckse», als dies noch vor zehn, zwanzig Jahren der Fall war; ich muß wahrhaftig noch einmal von neuem anfangen. Florida war mit ihren Gedanken weit weg. Laßt Euch Zeit, wiederholte sie nur. Ihr seid die Herzensgüte in Person, dankte der alte Schreiber und hielt eine neue Feder, um ihren Spalt zu prüfen, gegen den Tag, zog sie dann be¬ friedigt durch den Mund, tauchte sie ein und begann, indem er sich den Text des Diktats leise vorsprach, noch einmal: Signor Andrea . . . Während er darauf ohne weitem Unfall seine Kunst walten ließ, griff er mit allerlei Zwischenreden wieder auf die Jugend und ihre Übereilungen zurück und wußte ohne Mühe den Übergang zu dem gewöhnlichen Thema seiner Unter-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/383
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/383>, abgerufen am 22.07.2024.