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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Friede bis auf weiteres.

richtig ausgelegt worden; das Kriegsministerium habe Komaroff verpflichten
müssen, sich von dem Augenblicke an, wo ihm befohlen worden sei, vor der Hand
in der Defensive zu verharren, von jedem Angriffe auf die Afghanen abzusehen.
Nach dem Gesagten war dies am 30. März unmöglich. Der Übergang der
Afghanen auf das rechte Ufer des Knschk schloß eine Gefahr für die Russen
ein, die erstem, nicht die letztern begannen die dnrch jenes Abkommen unter¬
sagte Offensive, und der Angriff auf die Afghanen war nur Abwehr, nur Wah¬
rung des Abkommens. Diese Auffassung der Sache Vonseiten der russischen Re¬
gierung wurde von der englischen nicht geteilt, von jener aber begreiflicherweise
festgehalten, und da man auch in London bei seiner Ansicht bleiben zu müssen
meinte, die Lösung der Grenzfrage aber dringend erschien, so einigten sich
schließlich beide Kabinette, die zwischen ihnen bestehende Meinungsverschiedenheit
"nötigenfalls -- so sagt der russische "Regierungsauzeiger" etwas unklar, wenn
er damit nicht meint, England werde ohne Hilfe eines Dritten doch noch auf
andre Meinung kommen -- dem Urteil eines Schiedsrichters zu unterbreiten,
welcher eine der Würde und Ehre beider Staaten entsprechende Lösung der
Frage vorschlagen solle." Wohlzubemerken, nur der Frage wegen der Koma-
roffschen Instruktionen gegenüber dem erwähnten Abkommen. Gleichzeitig kamen
die beiden Regierungen überein, die Unterhandlungen über die Regulirung der
afghanischen Nordwestgrenze ans den früheren Grundlagen wieder aufzunehmen,
jedoch mit dem Unterschiede, daß jetzt die Hauptpunkte der Grenzlinie dnrch
vorläufigen Meinungsaustausch von Kabinet zu Kabinet festgestellt werden sollten,
wobei daran zu erinnern ist, daß England bisher als solche Hauptpunkte Sarachs
am Herirnd, östlich davon Jrolan, weiter im Osten Imam Bachsch am Margab
und zuletzt Kodscha Salis ansah, Nußland dagegen anfangs das Land bis zu
einer südlicher zu ziehenden Linie beanspruchte, welche dnrch die Punkte Pull
Chatun, Gumesli, Ak Tape, Pendschdeh und Kodscha Salis bezeichnet wird,
und daß später vou einer Grenze die Rede war, welche von Zalfikar östlich
durch Ak Robat nach Baka Margab und von da in nordöstlicher Richtung über
Meruschak nach Kodscha Salis laufen würde. Die genauere Absteckung einer
dieser Linien -- wir haben Grund zu der Vermutung, daß es mit Ausnahme
Zalfikars die letzte sein wird -- sollte Kommissären überlassen werden, die von
beiden Regierungen zu bevollmächtigen sein würden. Um deren Arbeiten zu er¬
leichtern, sollten die russischen und afghanischen Vorposten -- so sagt, wieder
nicht recht verstündlich, der offizielle "Reichsanzeiger" -- "sich erst nach An¬
kunft der Grenzregnlirungskommissiou und je nach der Richtung der Grenzlinie
zurückziehen. Die betreffenden Punkte werden alsdann durch die Truppen beider
Parteien besetzt, und es wird nun Aufgabe jeden Teils derselben sein, in dem
ihm zugewiesenen Gebiete die Ruhe und Sicherheit aufrecht zu erhalten."

Die von England vorgeschlagene schiedsrichterliche Vermittlung wurde von
Nußland am 3. Mai angenommen, und tags darauf erfolgte Lumsdens Ab-


Grenzboten II. 1LLS. 47
Friede bis auf weiteres.

richtig ausgelegt worden; das Kriegsministerium habe Komaroff verpflichten
müssen, sich von dem Augenblicke an, wo ihm befohlen worden sei, vor der Hand
in der Defensive zu verharren, von jedem Angriffe auf die Afghanen abzusehen.
Nach dem Gesagten war dies am 30. März unmöglich. Der Übergang der
Afghanen auf das rechte Ufer des Knschk schloß eine Gefahr für die Russen
ein, die erstem, nicht die letztern begannen die dnrch jenes Abkommen unter¬
sagte Offensive, und der Angriff auf die Afghanen war nur Abwehr, nur Wah¬
rung des Abkommens. Diese Auffassung der Sache Vonseiten der russischen Re¬
gierung wurde von der englischen nicht geteilt, von jener aber begreiflicherweise
festgehalten, und da man auch in London bei seiner Ansicht bleiben zu müssen
meinte, die Lösung der Grenzfrage aber dringend erschien, so einigten sich
schließlich beide Kabinette, die zwischen ihnen bestehende Meinungsverschiedenheit
„nötigenfalls — so sagt der russische »Regierungsauzeiger« etwas unklar, wenn
er damit nicht meint, England werde ohne Hilfe eines Dritten doch noch auf
andre Meinung kommen — dem Urteil eines Schiedsrichters zu unterbreiten,
welcher eine der Würde und Ehre beider Staaten entsprechende Lösung der
Frage vorschlagen solle." Wohlzubemerken, nur der Frage wegen der Koma-
roffschen Instruktionen gegenüber dem erwähnten Abkommen. Gleichzeitig kamen
die beiden Regierungen überein, die Unterhandlungen über die Regulirung der
afghanischen Nordwestgrenze ans den früheren Grundlagen wieder aufzunehmen,
jedoch mit dem Unterschiede, daß jetzt die Hauptpunkte der Grenzlinie dnrch
vorläufigen Meinungsaustausch von Kabinet zu Kabinet festgestellt werden sollten,
wobei daran zu erinnern ist, daß England bisher als solche Hauptpunkte Sarachs
am Herirnd, östlich davon Jrolan, weiter im Osten Imam Bachsch am Margab
und zuletzt Kodscha Salis ansah, Nußland dagegen anfangs das Land bis zu
einer südlicher zu ziehenden Linie beanspruchte, welche dnrch die Punkte Pull
Chatun, Gumesli, Ak Tape, Pendschdeh und Kodscha Salis bezeichnet wird,
und daß später vou einer Grenze die Rede war, welche von Zalfikar östlich
durch Ak Robat nach Baka Margab und von da in nordöstlicher Richtung über
Meruschak nach Kodscha Salis laufen würde. Die genauere Absteckung einer
dieser Linien — wir haben Grund zu der Vermutung, daß es mit Ausnahme
Zalfikars die letzte sein wird — sollte Kommissären überlassen werden, die von
beiden Regierungen zu bevollmächtigen sein würden. Um deren Arbeiten zu er¬
leichtern, sollten die russischen und afghanischen Vorposten — so sagt, wieder
nicht recht verstündlich, der offizielle „Reichsanzeiger" — „sich erst nach An¬
kunft der Grenzregnlirungskommissiou und je nach der Richtung der Grenzlinie
zurückziehen. Die betreffenden Punkte werden alsdann durch die Truppen beider
Parteien besetzt, und es wird nun Aufgabe jeden Teils derselben sein, in dem
ihm zugewiesenen Gebiete die Ruhe und Sicherheit aufrecht zu erhalten."

Die von England vorgeschlagene schiedsrichterliche Vermittlung wurde von
Nußland am 3. Mai angenommen, und tags darauf erfolgte Lumsdens Ab-


Grenzboten II. 1LLS. 47
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[0374] Friede bis auf weiteres. richtig ausgelegt worden; das Kriegsministerium habe Komaroff verpflichten müssen, sich von dem Augenblicke an, wo ihm befohlen worden sei, vor der Hand in der Defensive zu verharren, von jedem Angriffe auf die Afghanen abzusehen. Nach dem Gesagten war dies am 30. März unmöglich. Der Übergang der Afghanen auf das rechte Ufer des Knschk schloß eine Gefahr für die Russen ein, die erstem, nicht die letztern begannen die dnrch jenes Abkommen unter¬ sagte Offensive, und der Angriff auf die Afghanen war nur Abwehr, nur Wah¬ rung des Abkommens. Diese Auffassung der Sache Vonseiten der russischen Re¬ gierung wurde von der englischen nicht geteilt, von jener aber begreiflicherweise festgehalten, und da man auch in London bei seiner Ansicht bleiben zu müssen meinte, die Lösung der Grenzfrage aber dringend erschien, so einigten sich schließlich beide Kabinette, die zwischen ihnen bestehende Meinungsverschiedenheit „nötigenfalls — so sagt der russische »Regierungsauzeiger« etwas unklar, wenn er damit nicht meint, England werde ohne Hilfe eines Dritten doch noch auf andre Meinung kommen — dem Urteil eines Schiedsrichters zu unterbreiten, welcher eine der Würde und Ehre beider Staaten entsprechende Lösung der Frage vorschlagen solle." Wohlzubemerken, nur der Frage wegen der Koma- roffschen Instruktionen gegenüber dem erwähnten Abkommen. Gleichzeitig kamen die beiden Regierungen überein, die Unterhandlungen über die Regulirung der afghanischen Nordwestgrenze ans den früheren Grundlagen wieder aufzunehmen, jedoch mit dem Unterschiede, daß jetzt die Hauptpunkte der Grenzlinie dnrch vorläufigen Meinungsaustausch von Kabinet zu Kabinet festgestellt werden sollten, wobei daran zu erinnern ist, daß England bisher als solche Hauptpunkte Sarachs am Herirnd, östlich davon Jrolan, weiter im Osten Imam Bachsch am Margab und zuletzt Kodscha Salis ansah, Nußland dagegen anfangs das Land bis zu einer südlicher zu ziehenden Linie beanspruchte, welche dnrch die Punkte Pull Chatun, Gumesli, Ak Tape, Pendschdeh und Kodscha Salis bezeichnet wird, und daß später vou einer Grenze die Rede war, welche von Zalfikar östlich durch Ak Robat nach Baka Margab und von da in nordöstlicher Richtung über Meruschak nach Kodscha Salis laufen würde. Die genauere Absteckung einer dieser Linien — wir haben Grund zu der Vermutung, daß es mit Ausnahme Zalfikars die letzte sein wird — sollte Kommissären überlassen werden, die von beiden Regierungen zu bevollmächtigen sein würden. Um deren Arbeiten zu er¬ leichtern, sollten die russischen und afghanischen Vorposten — so sagt, wieder nicht recht verstündlich, der offizielle „Reichsanzeiger" — „sich erst nach An¬ kunft der Grenzregnlirungskommissiou und je nach der Richtung der Grenzlinie zurückziehen. Die betreffenden Punkte werden alsdann durch die Truppen beider Parteien besetzt, und es wird nun Aufgabe jeden Teils derselben sein, in dem ihm zugewiesenen Gebiete die Ruhe und Sicherheit aufrecht zu erhalten." Die von England vorgeschlagene schiedsrichterliche Vermittlung wurde von Nußland am 3. Mai angenommen, und tags darauf erfolgte Lumsdens Ab- Grenzboten II. 1LLS. 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/374>, abgerufen am 22.07.2024.