Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.?le Ausdrucksmittel der Baukunst. Innerhalb des allgemeinen Stilcharakters, der für die Architektur aus dem Die obenerwähnten Entwürfe für das Neichsgerichtsgebäudc, die im ganzen ?le Ausdrucksmittel der Baukunst. Innerhalb des allgemeinen Stilcharakters, der für die Architektur aus dem Die obenerwähnten Entwürfe für das Neichsgerichtsgebäudc, die im ganzen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0370" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/195759"/> <fw type="header" place="top"> ?le Ausdrucksmittel der Baukunst.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1265"> Innerhalb des allgemeinen Stilcharakters, der für die Architektur aus dem<lb/> Gesamtleben einer Zeit erwächst, modifizirt sich ihr Ausdruck zunächst und vor¬<lb/> nehmlich nach der Verschiedenheit der Zwecke, denen sie dient; innerhalb der¬<lb/> selben Stilformen gewinnt der Tempel, die Kirche ein andres Aussehen als der<lb/> Palast, der für Zwecke des Staates oder der engern bürgerlichen Gemeinde<lb/> bestimmte Ban ein andres als das Wohnhaus. Diese Zwecke, die sehr be¬<lb/> stimmte „praktische" Aufgaben enthalten, werden zugleich maßgebend für die<lb/> künstlerische Gestaltung; in der äußern Erscheinung des Gebäudes soll der<lb/> Charakter seiner Bestimmung sich ankündige», die innern Räume sollen für das,<lb/> was sie umschließen, was in ihnen vorgeht, als Wohnstätte oder Schauplatz,<lb/> einen künstlerisch angemessenen und bedeutsamen Ausdruck erhalten. Im ganzen<lb/> künstlerischen Charakter soll die Architektur dein gegebenen Zwecke entsprechen —<lb/> ihn auszusprechen, den Zweck mit seinem bestimmte,? individuellen Inhalt künst¬<lb/> lerisch auszudrücken, ist sie unvermögend. Der Zweck bleibt immer etwas,<lb/> auf das sie nur hinweisen, das sie nicht darstellen kann. Wieder ist es nur<lb/> ein Allgemeines, ein Stimmungselement, das sie vom Inhalt des konkreten<lb/> Zweckes ablöst und zum Ausdrucke bringt. Sie kann in ihren Formen feierlich<lb/> und erhaben, festlich und prächtig, ernst und anmutig erscheinen; die Idee des<lb/> Gottes, der in deu Räumen eines Tempels, einer Kirche verehrt werden soll,<lb/> oder die Idee der religiösen Gemeinde, die sich hier vereinigt, vermag sie<lb/> ebensowenig auszudrücken wie deu Zweck, zu welchem sich die Abgeordneten<lb/> eines Volkes im Parlamentshause versammeln. Gewissermaßen nur einen<lb/> Wiederschein von dem Charakter des religiösen oder politischen Zustandes, aus<lb/> welchen: die Idee, der Zweck hervorgeht, vermag die architektonische Phantasie<lb/> aufzufangen und in ihren Kunstformen abzuspiegeln. Dabei wird es wesentlich<lb/> darauf ankommen, in welchem Sinne ein Zeitalter, ein Volk, eine Gemeinde<lb/> den Zweck des Bauwerkes auffaßt. Die Eigentümlichkeit dieser Auffassungs-<lb/> weise wird natürlich ein wesentliches Moment im Charakter der architektonischen<lb/> Forme:, ausmachen. So gab am Ausgange des Mittelalters, als das Selbst¬<lb/> gefühl der städtischen Gemeinden mächtig erwachte, die Würde und der Reichtum<lb/> städtischer Bauten von diesem Selbstgefühl beredtes Zeugnis, so gewann der<lb/> italienische Kirchenbau, als der weltliche Renaissancegeist die ganze Kultur<lb/> Italiens beherrschte, einen Charakter, der mit dem prächtigen Palaststil dieser<lb/> Epoche nicht unwesentliche Züge gemein hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_1266" next="#ID_1267"> Die obenerwähnten Entwürfe für das Neichsgerichtsgebäudc, die im ganzen<lb/> das baukünstlerische Vermögen unsrer Zeit in so erfreulichem, ja in glänzendem<lb/> Lichte zeigten, waren in mehr als einer Beziehung lehrreich, auch in negativem<lb/> Sinne, auch in dem, worin sie nicht gelungen erschienen. Bei manchen derselben<lb/> und zwar zum Teil bei solche», die sich besonders durch phantasievolle Erfin¬<lb/> dung auszeichneten, war es auffällig, wie sehr sich der Architekt in bezug auf<lb/> den Gesamtcharakter vergriffen hatte. Einige dieser Projekte erschienen in ihren</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0370]
?le Ausdrucksmittel der Baukunst.
Innerhalb des allgemeinen Stilcharakters, der für die Architektur aus dem
Gesamtleben einer Zeit erwächst, modifizirt sich ihr Ausdruck zunächst und vor¬
nehmlich nach der Verschiedenheit der Zwecke, denen sie dient; innerhalb der¬
selben Stilformen gewinnt der Tempel, die Kirche ein andres Aussehen als der
Palast, der für Zwecke des Staates oder der engern bürgerlichen Gemeinde
bestimmte Ban ein andres als das Wohnhaus. Diese Zwecke, die sehr be¬
stimmte „praktische" Aufgaben enthalten, werden zugleich maßgebend für die
künstlerische Gestaltung; in der äußern Erscheinung des Gebäudes soll der
Charakter seiner Bestimmung sich ankündige», die innern Räume sollen für das,
was sie umschließen, was in ihnen vorgeht, als Wohnstätte oder Schauplatz,
einen künstlerisch angemessenen und bedeutsamen Ausdruck erhalten. Im ganzen
künstlerischen Charakter soll die Architektur dein gegebenen Zwecke entsprechen —
ihn auszusprechen, den Zweck mit seinem bestimmte,? individuellen Inhalt künst¬
lerisch auszudrücken, ist sie unvermögend. Der Zweck bleibt immer etwas,
auf das sie nur hinweisen, das sie nicht darstellen kann. Wieder ist es nur
ein Allgemeines, ein Stimmungselement, das sie vom Inhalt des konkreten
Zweckes ablöst und zum Ausdrucke bringt. Sie kann in ihren Formen feierlich
und erhaben, festlich und prächtig, ernst und anmutig erscheinen; die Idee des
Gottes, der in deu Räumen eines Tempels, einer Kirche verehrt werden soll,
oder die Idee der religiösen Gemeinde, die sich hier vereinigt, vermag sie
ebensowenig auszudrücken wie deu Zweck, zu welchem sich die Abgeordneten
eines Volkes im Parlamentshause versammeln. Gewissermaßen nur einen
Wiederschein von dem Charakter des religiösen oder politischen Zustandes, aus
welchen: die Idee, der Zweck hervorgeht, vermag die architektonische Phantasie
aufzufangen und in ihren Kunstformen abzuspiegeln. Dabei wird es wesentlich
darauf ankommen, in welchem Sinne ein Zeitalter, ein Volk, eine Gemeinde
den Zweck des Bauwerkes auffaßt. Die Eigentümlichkeit dieser Auffassungs-
weise wird natürlich ein wesentliches Moment im Charakter der architektonischen
Forme:, ausmachen. So gab am Ausgange des Mittelalters, als das Selbst¬
gefühl der städtischen Gemeinden mächtig erwachte, die Würde und der Reichtum
städtischer Bauten von diesem Selbstgefühl beredtes Zeugnis, so gewann der
italienische Kirchenbau, als der weltliche Renaissancegeist die ganze Kultur
Italiens beherrschte, einen Charakter, der mit dem prächtigen Palaststil dieser
Epoche nicht unwesentliche Züge gemein hat.
Die obenerwähnten Entwürfe für das Neichsgerichtsgebäudc, die im ganzen
das baukünstlerische Vermögen unsrer Zeit in so erfreulichem, ja in glänzendem
Lichte zeigten, waren in mehr als einer Beziehung lehrreich, auch in negativem
Sinne, auch in dem, worin sie nicht gelungen erschienen. Bei manchen derselben
und zwar zum Teil bei solche», die sich besonders durch phantasievolle Erfin¬
dung auszeichneten, war es auffällig, wie sehr sich der Architekt in bezug auf
den Gesamtcharakter vergriffen hatte. Einige dieser Projekte erschienen in ihren
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