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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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aus der vorliegenden Korrespondenz umso entschiedener hervor, als dieselbe
uns der Feder des gereiften Mannes fließt, der für unklare Jngendempfindungen
keinen Ausdruck mehr hat.

In seinen persönlichen Beziehungen war Turgenjew schonend und teilnahms¬
voll. Seine Freunde hatten über ihn nicht zu klagen, er war mit Rat und
That immer zur Hand. Polonski sandte ihm viele Jahre lang seine Gedichte
vor dem Abdruck zur Beurteilung ein, und Turgenjew wird nicht müde, jedes
einzelne der eingesandten Stücke bis in die Details hinein zu kritisiren. Dem¬
selben Lyriker erweist er sich auch noch auf andre Weise nützlich: er stellt ihm
seine Börse zu einer Erholungsreise und seinen Landsitz als Sommerfrische für
die ganze Familie zur Verfügung. Die Liebenswürdigkeit, mit welcher Tur¬
genjew auf alle Angelegenheiten der Familie Polonski eingeht, ist in der That
bewuudcruswert; sie könnte fast sentimental erscheinen, wenn wir in ihr nicht
vielmehr einen Reflex Polvnskischer Sttßlichkeit entdeckten. Turgenjew weiß sich
überhaupt in seinen Briefen seinen Korrespondenten trefflich anzupassen. Er
schreibt tief und gedankenvoll an den tief angelegten Leon Tolstoj, behaglich
breit an den schulmeisternden Grigvrvwitsch, scharf und pointirt an den sati¬
rischen Schtschedrin. Seine Nachgiebigkeit gegen die Polonslis wird stellenweise
sogar lästig; Turgenjew hätte sich sicherlich dagegen gesträubt, daß diese ganze
Wagenladung von Briefen über wenig interessante Dinge an wenig interessante
Menschen so ohne Kritik veröffentlicht würde. Ob Herr Polonski sich als Maler
oder Frau Polonskaja sich als Bildhauerin versucht, ob ihre Kinder an einer
Drüsengeschwulst oder an den Würmern leiden, muß selbst dem russischen Pu¬
blikum ziemlich gleichgiltig sein. Unangenehm berührt auch die offenbare Mi߬
gunst, mit welcher Polouskis die Beziehungen des Dichters zur Familie Viardvt
und sein Verweilen in Paris betrachten; umsomehr müssen wir bisweilen Tur¬
genjews Geduld bewundern, die wirklich auf harte Proben gestellt wird. So
will Frau Polonskaja während ihres Aufenthaltes in Spaßlvje dem Dichter
durchaus eine Sendung eingemachter Früchte nach Paris schicken, und in vier
Briefen hintereinander muß Turgenjew dieses sonderbare Anerbieten dankend
ablehnen.

Für Notleidende hatte Turgenjew immer eine offene Hand. Die in Paris
lebenden jungen Russen waren nicht in Verlegenheit, wohin sie sich zu wenden
hatten, wenn der Rubel sie verließ. Dabei wußte Iwan Scrgejcwitsch seine
Wohlthaten mit vielem Zartgefühl anzubringen, das bei denjenigen, welche seine
Hilfe in Anspruch nahmen, nicht selten fehlte. Bezeichnend ist der folgende, in
einem Briefe Turgenjews an den Herausgeber der RuLickaju. mitgeteilte
Fall. "Ich habe, heißt es in demselben, eine Bitte an Sie, lieber Jnrgew.
Sie werden in den nächsten Tagen eine, im übrigen gar nicht üble Übersetzung
von Paul Heyses Novelle "Geteilte Herzen" erhalten. Wenn Ihnen die Arbeit
nicht gefällt, brauchen Sie dieselbe nicht abzudrucken. Schreiben Sie mir jedoch


aus der vorliegenden Korrespondenz umso entschiedener hervor, als dieselbe
uns der Feder des gereiften Mannes fließt, der für unklare Jngendempfindungen
keinen Ausdruck mehr hat.

In seinen persönlichen Beziehungen war Turgenjew schonend und teilnahms¬
voll. Seine Freunde hatten über ihn nicht zu klagen, er war mit Rat und
That immer zur Hand. Polonski sandte ihm viele Jahre lang seine Gedichte
vor dem Abdruck zur Beurteilung ein, und Turgenjew wird nicht müde, jedes
einzelne der eingesandten Stücke bis in die Details hinein zu kritisiren. Dem¬
selben Lyriker erweist er sich auch noch auf andre Weise nützlich: er stellt ihm
seine Börse zu einer Erholungsreise und seinen Landsitz als Sommerfrische für
die ganze Familie zur Verfügung. Die Liebenswürdigkeit, mit welcher Tur¬
genjew auf alle Angelegenheiten der Familie Polonski eingeht, ist in der That
bewuudcruswert; sie könnte fast sentimental erscheinen, wenn wir in ihr nicht
vielmehr einen Reflex Polvnskischer Sttßlichkeit entdeckten. Turgenjew weiß sich
überhaupt in seinen Briefen seinen Korrespondenten trefflich anzupassen. Er
schreibt tief und gedankenvoll an den tief angelegten Leon Tolstoj, behaglich
breit an den schulmeisternden Grigvrvwitsch, scharf und pointirt an den sati¬
rischen Schtschedrin. Seine Nachgiebigkeit gegen die Polonslis wird stellenweise
sogar lästig; Turgenjew hätte sich sicherlich dagegen gesträubt, daß diese ganze
Wagenladung von Briefen über wenig interessante Dinge an wenig interessante
Menschen so ohne Kritik veröffentlicht würde. Ob Herr Polonski sich als Maler
oder Frau Polonskaja sich als Bildhauerin versucht, ob ihre Kinder an einer
Drüsengeschwulst oder an den Würmern leiden, muß selbst dem russischen Pu¬
blikum ziemlich gleichgiltig sein. Unangenehm berührt auch die offenbare Mi߬
gunst, mit welcher Polouskis die Beziehungen des Dichters zur Familie Viardvt
und sein Verweilen in Paris betrachten; umsomehr müssen wir bisweilen Tur¬
genjews Geduld bewundern, die wirklich auf harte Proben gestellt wird. So
will Frau Polonskaja während ihres Aufenthaltes in Spaßlvje dem Dichter
durchaus eine Sendung eingemachter Früchte nach Paris schicken, und in vier
Briefen hintereinander muß Turgenjew dieses sonderbare Anerbieten dankend
ablehnen.

Für Notleidende hatte Turgenjew immer eine offene Hand. Die in Paris
lebenden jungen Russen waren nicht in Verlegenheit, wohin sie sich zu wenden
hatten, wenn der Rubel sie verließ. Dabei wußte Iwan Scrgejcwitsch seine
Wohlthaten mit vielem Zartgefühl anzubringen, das bei denjenigen, welche seine
Hilfe in Anspruch nahmen, nicht selten fehlte. Bezeichnend ist der folgende, in
einem Briefe Turgenjews an den Herausgeber der RuLickaju. mitgeteilte
Fall. „Ich habe, heißt es in demselben, eine Bitte an Sie, lieber Jnrgew.
Sie werden in den nächsten Tagen eine, im übrigen gar nicht üble Übersetzung
von Paul Heyses Novelle „Geteilte Herzen" erhalten. Wenn Ihnen die Arbeit
nicht gefällt, brauchen Sie dieselbe nicht abzudrucken. Schreiben Sie mir jedoch


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[0360] aus der vorliegenden Korrespondenz umso entschiedener hervor, als dieselbe uns der Feder des gereiften Mannes fließt, der für unklare Jngendempfindungen keinen Ausdruck mehr hat. In seinen persönlichen Beziehungen war Turgenjew schonend und teilnahms¬ voll. Seine Freunde hatten über ihn nicht zu klagen, er war mit Rat und That immer zur Hand. Polonski sandte ihm viele Jahre lang seine Gedichte vor dem Abdruck zur Beurteilung ein, und Turgenjew wird nicht müde, jedes einzelne der eingesandten Stücke bis in die Details hinein zu kritisiren. Dem¬ selben Lyriker erweist er sich auch noch auf andre Weise nützlich: er stellt ihm seine Börse zu einer Erholungsreise und seinen Landsitz als Sommerfrische für die ganze Familie zur Verfügung. Die Liebenswürdigkeit, mit welcher Tur¬ genjew auf alle Angelegenheiten der Familie Polonski eingeht, ist in der That bewuudcruswert; sie könnte fast sentimental erscheinen, wenn wir in ihr nicht vielmehr einen Reflex Polvnskischer Sttßlichkeit entdeckten. Turgenjew weiß sich überhaupt in seinen Briefen seinen Korrespondenten trefflich anzupassen. Er schreibt tief und gedankenvoll an den tief angelegten Leon Tolstoj, behaglich breit an den schulmeisternden Grigvrvwitsch, scharf und pointirt an den sati¬ rischen Schtschedrin. Seine Nachgiebigkeit gegen die Polonslis wird stellenweise sogar lästig; Turgenjew hätte sich sicherlich dagegen gesträubt, daß diese ganze Wagenladung von Briefen über wenig interessante Dinge an wenig interessante Menschen so ohne Kritik veröffentlicht würde. Ob Herr Polonski sich als Maler oder Frau Polonskaja sich als Bildhauerin versucht, ob ihre Kinder an einer Drüsengeschwulst oder an den Würmern leiden, muß selbst dem russischen Pu¬ blikum ziemlich gleichgiltig sein. Unangenehm berührt auch die offenbare Mi߬ gunst, mit welcher Polouskis die Beziehungen des Dichters zur Familie Viardvt und sein Verweilen in Paris betrachten; umsomehr müssen wir bisweilen Tur¬ genjews Geduld bewundern, die wirklich auf harte Proben gestellt wird. So will Frau Polonskaja während ihres Aufenthaltes in Spaßlvje dem Dichter durchaus eine Sendung eingemachter Früchte nach Paris schicken, und in vier Briefen hintereinander muß Turgenjew dieses sonderbare Anerbieten dankend ablehnen. Für Notleidende hatte Turgenjew immer eine offene Hand. Die in Paris lebenden jungen Russen waren nicht in Verlegenheit, wohin sie sich zu wenden hatten, wenn der Rubel sie verließ. Dabei wußte Iwan Scrgejcwitsch seine Wohlthaten mit vielem Zartgefühl anzubringen, das bei denjenigen, welche seine Hilfe in Anspruch nahmen, nicht selten fehlte. Bezeichnend ist der folgende, in einem Briefe Turgenjews an den Herausgeber der RuLickaju. mitgeteilte Fall. „Ich habe, heißt es in demselben, eine Bitte an Sie, lieber Jnrgew. Sie werden in den nächsten Tagen eine, im übrigen gar nicht üble Übersetzung von Paul Heyses Novelle „Geteilte Herzen" erhalten. Wenn Ihnen die Arbeit nicht gefällt, brauchen Sie dieselbe nicht abzudrucken. Schreiben Sie mir jedoch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/360>, abgerufen am 22.07.2024.