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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Gstpreußische Skizzen.

Dorfkirchen mit gewaltigen, als förmliche Landmarken dienenden Türmen nicht
ganz selten. Eigentliche Holzkirchen giebt es in der Provinz nicht. Auch das
Ermland ist jetzt ganz durchsetzt mit protestantischen Gemeinden; keine Stadt
ist gegenwärtig mehr ohne eine solche, und jetzt giebt es sogar schon eine pro¬
testantische Dorfgemeinde im Ermlande. Am stärksten ist das protestantische
Element im Kreise Braunsberg, wo die Stadt Braunsberg sogar im Besitze
eines eignen protestantischen Krankenhauses ist.

Sind die Kirchen selten, so sind, wie schon früher angeführt, die "Schlösser"
noch viel, viel seltner. Die meisten Gutshüuser, selbst diejenigen der stattlichsten
Besitzungen und der bestsituirten Familien, sind sehr einfach. Man kann einen
Typus des ostpreußischen Gutshauses aufstellen: langes, weißgetünchtes Gebäude,
mit zur Veranda ausgestatteten Eingange in der Mitte (an den sich ein oft
als Speisezimmer dienender Flur anschließt, und dem bei reicherer Ausstattung
an der Hinterseite eine Gartenveranda entspricht), darüber ein sogenannter
Zwergstock. Man sieht leicht, daß diese Anlage die verschiedensten Größen¬
verhältnisse sowie auch mannichfciltige Erweiterungen und Ausgestaltungen von
selbst an die Hand giebt, und in der That ist hiervon auch reichlicher Gebrauch
gemacht; aber es wird nicht übertrieben sein, zu sagen, daß mehr als drei Viertel
aller ostpreußischen Gutsgebäude dieser Grundform entsprechen oder sich ihr
doch annähern. In den weitaus meisten Fällen steht das Gutshaus in un¬
mittelbarster Nähe der Wirtschaftsgebäude, fast immer wenigstens in Blick- und
Rufweite; nur sehr wenige haben sich vornehm separirt. Daß der gesell¬
schaftliche Abstand zwischen den Bewohnern des Gutshauses und dem Guts¬
personal ein sehr großer ist, ein größerer als in West- und Mitteldeutschland,
soll allerdings nicht in Abrede gestellt werden. Es ist dies nicht nur in wirt¬
schaftlichen, sondern auch in sozialen und selbst ethnographischen Verhältnissen
begründet. Die Gutsarbeter sind keine besitzenden rheinischen Tagelöhner, die
ein volles Bewußtsein sozialer Gleichberechtigung haben, und der ostpreußische
Krug (den übrigens auch der Gutsarbeiter nur sehr selten besticht) ist im all¬
gemeinen keine Stelle, wo man dem Gutsherrn zumuten könnte, mit seinen
Leuten zusammenzutreffen; es würde dies auch der Landessitte aufs gröblichste
widersprechen. So ist denn allerdings eine Kluft vorhanden zwischen Gutsherr
und Gutsarbeiter, und es kann leider nicht geleugnet werden, daß neuerdings
manches zur Erweiterung und Vertiefung derselben geschehen ist. Die alten
"Jnstleute" waren in bescheidener, vielleicht knapper, aber doch gesicherter und
immerhin nicht schlechter Lage. Der baare Geldlohn, wie er diesen Leuten und
nach Bedarf auch ihren Familiengliedern sowie den noch zu stellenden "Schar-
werkern" gezahlt wurde, war allerdings klein: je nach Jahreszeit, Geschlecht und
Alter von fünfzehn bis zu vierzig Pfennigen täglich; aber dabei hatte jede solche
Familie Wohnung, Garten und Stallung, durfte ans Gutsland eine Kuh und
ein Schwein halten, bekam einen Drescherlohn, der je nach Umständen bis auf


Gstpreußische Skizzen.

Dorfkirchen mit gewaltigen, als förmliche Landmarken dienenden Türmen nicht
ganz selten. Eigentliche Holzkirchen giebt es in der Provinz nicht. Auch das
Ermland ist jetzt ganz durchsetzt mit protestantischen Gemeinden; keine Stadt
ist gegenwärtig mehr ohne eine solche, und jetzt giebt es sogar schon eine pro¬
testantische Dorfgemeinde im Ermlande. Am stärksten ist das protestantische
Element im Kreise Braunsberg, wo die Stadt Braunsberg sogar im Besitze
eines eignen protestantischen Krankenhauses ist.

Sind die Kirchen selten, so sind, wie schon früher angeführt, die „Schlösser"
noch viel, viel seltner. Die meisten Gutshüuser, selbst diejenigen der stattlichsten
Besitzungen und der bestsituirten Familien, sind sehr einfach. Man kann einen
Typus des ostpreußischen Gutshauses aufstellen: langes, weißgetünchtes Gebäude,
mit zur Veranda ausgestatteten Eingange in der Mitte (an den sich ein oft
als Speisezimmer dienender Flur anschließt, und dem bei reicherer Ausstattung
an der Hinterseite eine Gartenveranda entspricht), darüber ein sogenannter
Zwergstock. Man sieht leicht, daß diese Anlage die verschiedensten Größen¬
verhältnisse sowie auch mannichfciltige Erweiterungen und Ausgestaltungen von
selbst an die Hand giebt, und in der That ist hiervon auch reichlicher Gebrauch
gemacht; aber es wird nicht übertrieben sein, zu sagen, daß mehr als drei Viertel
aller ostpreußischen Gutsgebäude dieser Grundform entsprechen oder sich ihr
doch annähern. In den weitaus meisten Fällen steht das Gutshaus in un¬
mittelbarster Nähe der Wirtschaftsgebäude, fast immer wenigstens in Blick- und
Rufweite; nur sehr wenige haben sich vornehm separirt. Daß der gesell¬
schaftliche Abstand zwischen den Bewohnern des Gutshauses und dem Guts¬
personal ein sehr großer ist, ein größerer als in West- und Mitteldeutschland,
soll allerdings nicht in Abrede gestellt werden. Es ist dies nicht nur in wirt¬
schaftlichen, sondern auch in sozialen und selbst ethnographischen Verhältnissen
begründet. Die Gutsarbeter sind keine besitzenden rheinischen Tagelöhner, die
ein volles Bewußtsein sozialer Gleichberechtigung haben, und der ostpreußische
Krug (den übrigens auch der Gutsarbeiter nur sehr selten besticht) ist im all¬
gemeinen keine Stelle, wo man dem Gutsherrn zumuten könnte, mit seinen
Leuten zusammenzutreffen; es würde dies auch der Landessitte aufs gröblichste
widersprechen. So ist denn allerdings eine Kluft vorhanden zwischen Gutsherr
und Gutsarbeiter, und es kann leider nicht geleugnet werden, daß neuerdings
manches zur Erweiterung und Vertiefung derselben geschehen ist. Die alten
„Jnstleute" waren in bescheidener, vielleicht knapper, aber doch gesicherter und
immerhin nicht schlechter Lage. Der baare Geldlohn, wie er diesen Leuten und
nach Bedarf auch ihren Familiengliedern sowie den noch zu stellenden „Schar-
werkern" gezahlt wurde, war allerdings klein: je nach Jahreszeit, Geschlecht und
Alter von fünfzehn bis zu vierzig Pfennigen täglich; aber dabei hatte jede solche
Familie Wohnung, Garten und Stallung, durfte ans Gutsland eine Kuh und
ein Schwein halten, bekam einen Drescherlohn, der je nach Umständen bis auf


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[0345] Gstpreußische Skizzen. Dorfkirchen mit gewaltigen, als förmliche Landmarken dienenden Türmen nicht ganz selten. Eigentliche Holzkirchen giebt es in der Provinz nicht. Auch das Ermland ist jetzt ganz durchsetzt mit protestantischen Gemeinden; keine Stadt ist gegenwärtig mehr ohne eine solche, und jetzt giebt es sogar schon eine pro¬ testantische Dorfgemeinde im Ermlande. Am stärksten ist das protestantische Element im Kreise Braunsberg, wo die Stadt Braunsberg sogar im Besitze eines eignen protestantischen Krankenhauses ist. Sind die Kirchen selten, so sind, wie schon früher angeführt, die „Schlösser" noch viel, viel seltner. Die meisten Gutshüuser, selbst diejenigen der stattlichsten Besitzungen und der bestsituirten Familien, sind sehr einfach. Man kann einen Typus des ostpreußischen Gutshauses aufstellen: langes, weißgetünchtes Gebäude, mit zur Veranda ausgestatteten Eingange in der Mitte (an den sich ein oft als Speisezimmer dienender Flur anschließt, und dem bei reicherer Ausstattung an der Hinterseite eine Gartenveranda entspricht), darüber ein sogenannter Zwergstock. Man sieht leicht, daß diese Anlage die verschiedensten Größen¬ verhältnisse sowie auch mannichfciltige Erweiterungen und Ausgestaltungen von selbst an die Hand giebt, und in der That ist hiervon auch reichlicher Gebrauch gemacht; aber es wird nicht übertrieben sein, zu sagen, daß mehr als drei Viertel aller ostpreußischen Gutsgebäude dieser Grundform entsprechen oder sich ihr doch annähern. In den weitaus meisten Fällen steht das Gutshaus in un¬ mittelbarster Nähe der Wirtschaftsgebäude, fast immer wenigstens in Blick- und Rufweite; nur sehr wenige haben sich vornehm separirt. Daß der gesell¬ schaftliche Abstand zwischen den Bewohnern des Gutshauses und dem Guts¬ personal ein sehr großer ist, ein größerer als in West- und Mitteldeutschland, soll allerdings nicht in Abrede gestellt werden. Es ist dies nicht nur in wirt¬ schaftlichen, sondern auch in sozialen und selbst ethnographischen Verhältnissen begründet. Die Gutsarbeter sind keine besitzenden rheinischen Tagelöhner, die ein volles Bewußtsein sozialer Gleichberechtigung haben, und der ostpreußische Krug (den übrigens auch der Gutsarbeiter nur sehr selten besticht) ist im all¬ gemeinen keine Stelle, wo man dem Gutsherrn zumuten könnte, mit seinen Leuten zusammenzutreffen; es würde dies auch der Landessitte aufs gröblichste widersprechen. So ist denn allerdings eine Kluft vorhanden zwischen Gutsherr und Gutsarbeiter, und es kann leider nicht geleugnet werden, daß neuerdings manches zur Erweiterung und Vertiefung derselben geschehen ist. Die alten „Jnstleute" waren in bescheidener, vielleicht knapper, aber doch gesicherter und immerhin nicht schlechter Lage. Der baare Geldlohn, wie er diesen Leuten und nach Bedarf auch ihren Familiengliedern sowie den noch zu stellenden „Schar- werkern" gezahlt wurde, war allerdings klein: je nach Jahreszeit, Geschlecht und Alter von fünfzehn bis zu vierzig Pfennigen täglich; aber dabei hatte jede solche Familie Wohnung, Garten und Stallung, durfte ans Gutsland eine Kuh und ein Schwein halten, bekam einen Drescherlohn, der je nach Umständen bis auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/345>, abgerufen am 22.07.2024.