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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Neue Erzählungen von A. E. Franzos.

Verbitterung die That unumwunden ein, sie will um jeden Preis sterben; zum
Unglück wenden sich auch die Zeugenaussagen durch den Einfluß jener Gräfin,
in deren Dienst sie gestanden hat, aufs niederträchtigste gegen die Angeklagte.
So wird sie dem? zum Tode durch den Strang verurteilt. Es ist ein Justiz¬
mord! schreit der Verteidiger, jammert der ungekannte väterliche Präsident, und
in der That würde ein heutiges Gericht oder gar ein Schwurgericht der An¬
geklagten die denkbar mildeste Strafe zuerkennen. Aber selbst die Appellation
beim obersten Gerichtshof ist erfolglos und ändert nicht das Urteil, sodaß kein
andrer Weg übrigbleibt, als beim Kaiser um Gnade zu bitten, sich ihm ganz
zu entdecken. Kein Zweifel, daß der jugendliche Monarch dem so verdienten
Manne Gnade für sein Kind schenken würde. Kann aber der Richter Gnade
und ungerechte Bevorzugung seiner selbst fordern, der sein Leben lang für das
Recht, und zwar für das humane Recht, gestritten hat? Und selbst im Falle
der Begnadigung wird das schwache Geschöpf, das inzwischen seinen Vater
kennen gelernt hat, von ihm mit Lebenshoffnung erfüllt worden ist, den Jammer
langjähriger Kerkerstrafe überleben? Und doch entschließt sich der Präsident
auf das dringliche Zureden seines Freundes, des Verteidigers, dazu, nach Wien
zu gehen und sich dem Monarchen zu entdecken. Aber da kommt er gerade
an dein Tage jenes abscheulichen Attentates auf das Leben des Kaisers in
Wien an. Die ganze Stadt ist in Bewegung, der Fürst ist hier mehrere
Wochen verhindert, Audienzen zu erteilen, niemand sonst kann ihn für den
Gnadensncher ersetzen, und in den nächsten drei Tagen soll das Urteil an
seiner Tochter vollzogen werden. In dieser furchtbaren Not bleibt ihm
nichts andres übrig als eine früher geplante That auszuführen: seine Tochter
durch Flucht dein Henker zu entziehen und selbst alle Ämter und Würden
niederzulegen, um ihr im Auslande ein Beschützer zu bleiben. Ein Verbrechen
kann er nur durch ein andres verhindern: den Justizmord durch deu unerhörten
eignen Mißbrauch seines Amtes. In derselben Nacht, da der Freiherr von
Sendungen durch Fackelzug und Bankett von der Bürgerschaft gefeiert wird,
entflieht seine Tochter ins Ausland, er eilt ihr nach. Spurlos verschwinden
beide. Nach mehreren Jahren erscheint ein Buch über die juristische Behandlung
des Kiudesmordes, über die Zurechnungsfähigkeit bei der That; wenige be¬
sonders in der juristischen Literatur Eingeweihte erkennen den Stil des Präsi¬
denten von Sendungen. Das Buch sührt in der That eine Änderung in der
Gesetzgebung herbei. Nach Verlauf uoch einiger Jahre erscheint der Präsident
beim Justizminister in Wien, erzählt seine That -- die Tochter hat inzwischen
einen holländischen Militär geheiratet und ist mit ihm nach Java übergesiedelt --
und verlangt seine Verhaftung, dringt ans seine Bestrafung. Doch der er¬
schütterte Minister lehnt all dies Ansinnen ab, will den großen Juristen viel¬
mehr neu in deu Dienst des Landes ziehen. Indes hält es der bisher so fein¬
sinnige Kopf, der stets gegen die Parole: Alat MMW, xoreat nmnäns die


Neue Erzählungen von A. E. Franzos.

Verbitterung die That unumwunden ein, sie will um jeden Preis sterben; zum
Unglück wenden sich auch die Zeugenaussagen durch den Einfluß jener Gräfin,
in deren Dienst sie gestanden hat, aufs niederträchtigste gegen die Angeklagte.
So wird sie dem? zum Tode durch den Strang verurteilt. Es ist ein Justiz¬
mord! schreit der Verteidiger, jammert der ungekannte väterliche Präsident, und
in der That würde ein heutiges Gericht oder gar ein Schwurgericht der An¬
geklagten die denkbar mildeste Strafe zuerkennen. Aber selbst die Appellation
beim obersten Gerichtshof ist erfolglos und ändert nicht das Urteil, sodaß kein
andrer Weg übrigbleibt, als beim Kaiser um Gnade zu bitten, sich ihm ganz
zu entdecken. Kein Zweifel, daß der jugendliche Monarch dem so verdienten
Manne Gnade für sein Kind schenken würde. Kann aber der Richter Gnade
und ungerechte Bevorzugung seiner selbst fordern, der sein Leben lang für das
Recht, und zwar für das humane Recht, gestritten hat? Und selbst im Falle
der Begnadigung wird das schwache Geschöpf, das inzwischen seinen Vater
kennen gelernt hat, von ihm mit Lebenshoffnung erfüllt worden ist, den Jammer
langjähriger Kerkerstrafe überleben? Und doch entschließt sich der Präsident
auf das dringliche Zureden seines Freundes, des Verteidigers, dazu, nach Wien
zu gehen und sich dem Monarchen zu entdecken. Aber da kommt er gerade
an dein Tage jenes abscheulichen Attentates auf das Leben des Kaisers in
Wien an. Die ganze Stadt ist in Bewegung, der Fürst ist hier mehrere
Wochen verhindert, Audienzen zu erteilen, niemand sonst kann ihn für den
Gnadensncher ersetzen, und in den nächsten drei Tagen soll das Urteil an
seiner Tochter vollzogen werden. In dieser furchtbaren Not bleibt ihm
nichts andres übrig als eine früher geplante That auszuführen: seine Tochter
durch Flucht dein Henker zu entziehen und selbst alle Ämter und Würden
niederzulegen, um ihr im Auslande ein Beschützer zu bleiben. Ein Verbrechen
kann er nur durch ein andres verhindern: den Justizmord durch deu unerhörten
eignen Mißbrauch seines Amtes. In derselben Nacht, da der Freiherr von
Sendungen durch Fackelzug und Bankett von der Bürgerschaft gefeiert wird,
entflieht seine Tochter ins Ausland, er eilt ihr nach. Spurlos verschwinden
beide. Nach mehreren Jahren erscheint ein Buch über die juristische Behandlung
des Kiudesmordes, über die Zurechnungsfähigkeit bei der That; wenige be¬
sonders in der juristischen Literatur Eingeweihte erkennen den Stil des Präsi¬
denten von Sendungen. Das Buch sührt in der That eine Änderung in der
Gesetzgebung herbei. Nach Verlauf uoch einiger Jahre erscheint der Präsident
beim Justizminister in Wien, erzählt seine That — die Tochter hat inzwischen
einen holländischen Militär geheiratet und ist mit ihm nach Java übergesiedelt —
und verlangt seine Verhaftung, dringt ans seine Bestrafung. Doch der er¬
schütterte Minister lehnt all dies Ansinnen ab, will den großen Juristen viel¬
mehr neu in deu Dienst des Landes ziehen. Indes hält es der bisher so fein¬
sinnige Kopf, der stets gegen die Parole: Alat MMW, xoreat nmnäns die


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[0314] Neue Erzählungen von A. E. Franzos. Verbitterung die That unumwunden ein, sie will um jeden Preis sterben; zum Unglück wenden sich auch die Zeugenaussagen durch den Einfluß jener Gräfin, in deren Dienst sie gestanden hat, aufs niederträchtigste gegen die Angeklagte. So wird sie dem? zum Tode durch den Strang verurteilt. Es ist ein Justiz¬ mord! schreit der Verteidiger, jammert der ungekannte väterliche Präsident, und in der That würde ein heutiges Gericht oder gar ein Schwurgericht der An¬ geklagten die denkbar mildeste Strafe zuerkennen. Aber selbst die Appellation beim obersten Gerichtshof ist erfolglos und ändert nicht das Urteil, sodaß kein andrer Weg übrigbleibt, als beim Kaiser um Gnade zu bitten, sich ihm ganz zu entdecken. Kein Zweifel, daß der jugendliche Monarch dem so verdienten Manne Gnade für sein Kind schenken würde. Kann aber der Richter Gnade und ungerechte Bevorzugung seiner selbst fordern, der sein Leben lang für das Recht, und zwar für das humane Recht, gestritten hat? Und selbst im Falle der Begnadigung wird das schwache Geschöpf, das inzwischen seinen Vater kennen gelernt hat, von ihm mit Lebenshoffnung erfüllt worden ist, den Jammer langjähriger Kerkerstrafe überleben? Und doch entschließt sich der Präsident auf das dringliche Zureden seines Freundes, des Verteidigers, dazu, nach Wien zu gehen und sich dem Monarchen zu entdecken. Aber da kommt er gerade an dein Tage jenes abscheulichen Attentates auf das Leben des Kaisers in Wien an. Die ganze Stadt ist in Bewegung, der Fürst ist hier mehrere Wochen verhindert, Audienzen zu erteilen, niemand sonst kann ihn für den Gnadensncher ersetzen, und in den nächsten drei Tagen soll das Urteil an seiner Tochter vollzogen werden. In dieser furchtbaren Not bleibt ihm nichts andres übrig als eine früher geplante That auszuführen: seine Tochter durch Flucht dein Henker zu entziehen und selbst alle Ämter und Würden niederzulegen, um ihr im Auslande ein Beschützer zu bleiben. Ein Verbrechen kann er nur durch ein andres verhindern: den Justizmord durch deu unerhörten eignen Mißbrauch seines Amtes. In derselben Nacht, da der Freiherr von Sendungen durch Fackelzug und Bankett von der Bürgerschaft gefeiert wird, entflieht seine Tochter ins Ausland, er eilt ihr nach. Spurlos verschwinden beide. Nach mehreren Jahren erscheint ein Buch über die juristische Behandlung des Kiudesmordes, über die Zurechnungsfähigkeit bei der That; wenige be¬ sonders in der juristischen Literatur Eingeweihte erkennen den Stil des Präsi¬ denten von Sendungen. Das Buch sührt in der That eine Änderung in der Gesetzgebung herbei. Nach Verlauf uoch einiger Jahre erscheint der Präsident beim Justizminister in Wien, erzählt seine That — die Tochter hat inzwischen einen holländischen Militär geheiratet und ist mit ihm nach Java übergesiedelt — und verlangt seine Verhaftung, dringt ans seine Bestrafung. Doch der er¬ schütterte Minister lehnt all dies Ansinnen ab, will den großen Juristen viel¬ mehr neu in deu Dienst des Landes ziehen. Indes hält es der bisher so fein¬ sinnige Kopf, der stets gegen die Parole: Alat MMW, xoreat nmnäns die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/314>, abgerufen am 22.07.2024.