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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Inzwischen hatte sich auch die Entsendung von Neichskvmmissareu nach
Berlin, Dresden, Hannover und München, welche die Zentralgewalt nach
den Beschlüssen vom 26. April verfügt hatte, als fruchtlos erwiesen, und
in der Sitzung des 2. Mui wurde die Note der preußischen Regierung vom
28. April verlesen, welche unter Hinweis auf die in der beschlossenen Form
der Reichsverfassung enthaltenen bedenklichen Bestimmungen erklärte, der König
habe die Kaiserwürde abgelehnt, gleichzeitig aber seine Bereitwilligkeit versicherte,
auf dem Wege der Vereinbarung zwischen den Regierungen und dem Parlament
die nötigen Modifikationen vorzunehmen. Trotz dieser Zusicherung und trotz
des sehr maßvollen Tones der Note betrachtete doch die große Mehrheit des
Hauses sie als einen Absagebrief, und das war sie insofern, als sie seinem An¬
sprüche, die beschlossene Verfassung als unverbrüchliches Grundgesetz durchzuführen,
schroff entgegentrat. Jedenfalls ist nicht der mindeste Versuch vonseiten des Pa"
laments gemacht worden, in die angedeuteten Bahnen einzulenken, und ob ein
solcher zu einen: Resultate geführt haben würde, muß nach den traurigen Er¬
fahrungen der nächsten Monate doch anch sehr zweifelhaft erscheinen. "Das
preußische Ministerium hat uns deu Fehdehandschuh vor die Füße geworfen;
die Frage ist jetzt nur: Heben wir ihn auf?" so äußert sich N. am 5. Mai
über die Lage. Er sah das Schlimmste kommen. "Wir stehen am Vorabend
einer neuen Revolution, Ganze Massen von Adressen laufe" bei der National¬
versammlung ein, auf allen Punkten tritt das Volk in hellen Haufen, zu tau¬
fenden zusammen und erklärt, sür die Verfassung alles wagen zu wollen; die
Bürgerwehr bietet weit und breit die Waffen dar zum Kampfe für die bedrohte
Freiheit." Aber er erwartete nichts davon: "Wir sind in einem Zeitalter der
Auflösung. Der Messias unsers Volkes kann noch nicht kommen!"

Wohin war man doch in vier kurzen Wochen geraten! Alle gesetzlichen
Mittel, auf dem eingeschlagenen Wege vorwärtszukommen, die Verfassung
zu verwirklichen, hatten sich erschöpft; es blieb dafür in der That nur noch die
Revolution. Aber die ehrlich für die Reichsverfassung waren, wollten jene
nicht, nud die jene wollten, denen war es um ganz andre Dinge zu thun, als
um die Reichsverfassung.

Mit Mühe erwehrte sich das Parlament in der stürmischen Sitzung des
4. Mai des ungestümen Andringeus der revolutionären Linken. Über den An¬
trag Vogts, sofort zur Wahl eines Neichsstatthalters zu schreiten, alle Truppen
und Bürgerwehren für die Reichsverfassung in Pflicht zu nehmen, die aufge¬
lösten Landtage zu eigenmächtigen Zusammentritt aufzufordern, gegen den Ein¬
marsch russischer Truppen in Deutsch-Österreich (ans dein Wege nach Ungarn)
zu Protestiren und den Reichskrieg an Rußland und die "verräterische Negie¬
rung Österreichs" zu erklären, behielt nur nach leidenschaftlichem Kampfe,
in den auch Gagern mehrmals eingriff, und in den Hauptpunkten nur mit
knapper Majorität (190 gegen 188 Stimmen) das Mehrheitsgutachten des


Inzwischen hatte sich auch die Entsendung von Neichskvmmissareu nach
Berlin, Dresden, Hannover und München, welche die Zentralgewalt nach
den Beschlüssen vom 26. April verfügt hatte, als fruchtlos erwiesen, und
in der Sitzung des 2. Mui wurde die Note der preußischen Regierung vom
28. April verlesen, welche unter Hinweis auf die in der beschlossenen Form
der Reichsverfassung enthaltenen bedenklichen Bestimmungen erklärte, der König
habe die Kaiserwürde abgelehnt, gleichzeitig aber seine Bereitwilligkeit versicherte,
auf dem Wege der Vereinbarung zwischen den Regierungen und dem Parlament
die nötigen Modifikationen vorzunehmen. Trotz dieser Zusicherung und trotz
des sehr maßvollen Tones der Note betrachtete doch die große Mehrheit des
Hauses sie als einen Absagebrief, und das war sie insofern, als sie seinem An¬
sprüche, die beschlossene Verfassung als unverbrüchliches Grundgesetz durchzuführen,
schroff entgegentrat. Jedenfalls ist nicht der mindeste Versuch vonseiten des Pa»
laments gemacht worden, in die angedeuteten Bahnen einzulenken, und ob ein
solcher zu einen: Resultate geführt haben würde, muß nach den traurigen Er¬
fahrungen der nächsten Monate doch anch sehr zweifelhaft erscheinen. „Das
preußische Ministerium hat uns deu Fehdehandschuh vor die Füße geworfen;
die Frage ist jetzt nur: Heben wir ihn auf?" so äußert sich N. am 5. Mai
über die Lage. Er sah das Schlimmste kommen. „Wir stehen am Vorabend
einer neuen Revolution, Ganze Massen von Adressen laufe» bei der National¬
versammlung ein, auf allen Punkten tritt das Volk in hellen Haufen, zu tau¬
fenden zusammen und erklärt, sür die Verfassung alles wagen zu wollen; die
Bürgerwehr bietet weit und breit die Waffen dar zum Kampfe für die bedrohte
Freiheit." Aber er erwartete nichts davon: „Wir sind in einem Zeitalter der
Auflösung. Der Messias unsers Volkes kann noch nicht kommen!"

Wohin war man doch in vier kurzen Wochen geraten! Alle gesetzlichen
Mittel, auf dem eingeschlagenen Wege vorwärtszukommen, die Verfassung
zu verwirklichen, hatten sich erschöpft; es blieb dafür in der That nur noch die
Revolution. Aber die ehrlich für die Reichsverfassung waren, wollten jene
nicht, nud die jene wollten, denen war es um ganz andre Dinge zu thun, als
um die Reichsverfassung.

Mit Mühe erwehrte sich das Parlament in der stürmischen Sitzung des
4. Mai des ungestümen Andringeus der revolutionären Linken. Über den An¬
trag Vogts, sofort zur Wahl eines Neichsstatthalters zu schreiten, alle Truppen
und Bürgerwehren für die Reichsverfassung in Pflicht zu nehmen, die aufge¬
lösten Landtage zu eigenmächtigen Zusammentritt aufzufordern, gegen den Ein¬
marsch russischer Truppen in Deutsch-Österreich (ans dein Wege nach Ungarn)
zu Protestiren und den Reichskrieg an Rußland und die „verräterische Negie¬
rung Österreichs" zu erklären, behielt nur nach leidenschaftlichem Kampfe,
in den auch Gagern mehrmals eingriff, und in den Hauptpunkten nur mit
knapper Majorität (190 gegen 188 Stimmen) das Mehrheitsgutachten des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/299>, abgerufen am 22.07.2024.