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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Literatur.

Urteil über sein Verfahren fest. Er konnte dein Kitzel nicht widerstehen, die
ultramontau-demokratischen Freunde des Reichstages lachen zu machen, und gab
ihnen darum als erstes Opfer deu alten Freund preis, obschon er wissen mußte,
daß er diesem damit Unrecht zufügte. Er erreichte damit zugleich deu Zweck, die
"Entrüstungsbewegung" in Schwaben in ein schiefes Licht zu rücken, und das that
dem Manne umso wohler, als er in allen Knochen spürte, daß das Parlament im
Begriff war, sich vor dieser "gemachten" Entrüstung zu beugen. Einem solchen
Verfahren gegenüber haben wir ein zweitesmal keine andre Antwort als den Zuruf
der Germanen an Papers Zunftgenossen: Höre auf zu zischen!




Literatur.

Grundlegung zur Reform der Philosophie. Vereinfachte und erweiterte Darstellung
von Jiunmnucl Knuts Kritik der reinen Verminst. Veni Dr. Heinrich Romundt, Berlin,
Nicolnische Verlagsbuchhandlung, 1385.

Dmi strebsamen, fleißigen Verfasser sind wir schon früher begegnet in seinem
Buche "Antäus," und mußten schon damals seiner lebhaften Schreibweise eine
Reihe von Vorzügen zugestehen. Damals hatte er uoch die Lehre von Raum und
Zeit für zu schwer gehalten, um sie Populär und zugleich korrekt darzustellen. Jetzt
ist ihm dies in ausgezeichneter Weise gelungen. Seine Kritik der uachkantischen
Idealisten und Monisten ist zwar äußerst scharf und schneidig, aber wir haben mit
dem besten Willen nichts dagegen einzuwenden, selbst nicht bei den ergötzlichen Be¬
merkungen über Kuno Fischer, dessen Vorlesungen Kant selbst, wie er meint, ge¬
schwänzt haben würde. Das Ziel des Buches ist vor allem, den Naturwissen¬
schaften wie den Geisteswissenschaften ihr vollständig berechtigtes Gebiet anzuweisen
und zwar aus den gemeinsamen Prinzipien der Kantischen Kritik, ohne daß sie
irgendwie in Widerspruch geraten. Das geht natürlich nur unter der Bedingung
an, daß dnrch die Lehre von Raum und Zeit allen Spekulationen, die auf Ma¬
terialismus hinauslaufen, der Grund und Boden vollständig genommen wird, und
daß die Gegenstände der Naturwissenschaft in metaphysischen Sinne nur Er-
scheinungen sind, während sie von den Empirikern freilich immer als Dinge an
sich betrachtet werden. Dadurch wird für die unentbehrliche Lehre von der Freiheit
des Geistes und des Willens Raum geschaffen, und die vollständige Berechtigung
für die höchsten Güter des Lebens, die Ideen von Gott, Freiheit und Unsterblichkeit
nachgewiesen.

Nun aber kommt ein Punkt, in dem wir mit dem Verfasser nicht ganz einer
Meinung sind. Er scheint zu glauben, daß die Grundlage, die Kant im Gebiete
der praktischen Vernunft geschaffen hat, schon genügend sei, um darauf in demselben
Sinne, wie Kant es in seinen religiösen Schriften versucht hat, eine neue
theologische Wissenschaft aufzubauen. Aber eine Wissenschaft ist eine zusammen¬
hängende Reihe vou Erkenntnissen, und Erkenntnisse werden nun einmal nur durch
die Prinzipien der theoretischen Vernunft gewonnen; und in der Kritik der reinen
Vernunft wird bewiesen, daß die Prinzipien der theoretischen nur auf Erscheinungen


Literatur.

Urteil über sein Verfahren fest. Er konnte dein Kitzel nicht widerstehen, die
ultramontau-demokratischen Freunde des Reichstages lachen zu machen, und gab
ihnen darum als erstes Opfer deu alten Freund preis, obschon er wissen mußte,
daß er diesem damit Unrecht zufügte. Er erreichte damit zugleich deu Zweck, die
„Entrüstungsbewegung" in Schwaben in ein schiefes Licht zu rücken, und das that
dem Manne umso wohler, als er in allen Knochen spürte, daß das Parlament im
Begriff war, sich vor dieser „gemachten" Entrüstung zu beugen. Einem solchen
Verfahren gegenüber haben wir ein zweitesmal keine andre Antwort als den Zuruf
der Germanen an Papers Zunftgenossen: Höre auf zu zischen!




Literatur.

Grundlegung zur Reform der Philosophie. Vereinfachte und erweiterte Darstellung
von Jiunmnucl Knuts Kritik der reinen Verminst. Veni Dr. Heinrich Romundt, Berlin,
Nicolnische Verlagsbuchhandlung, 1385.

Dmi strebsamen, fleißigen Verfasser sind wir schon früher begegnet in seinem
Buche „Antäus," und mußten schon damals seiner lebhaften Schreibweise eine
Reihe von Vorzügen zugestehen. Damals hatte er uoch die Lehre von Raum und
Zeit für zu schwer gehalten, um sie Populär und zugleich korrekt darzustellen. Jetzt
ist ihm dies in ausgezeichneter Weise gelungen. Seine Kritik der uachkantischen
Idealisten und Monisten ist zwar äußerst scharf und schneidig, aber wir haben mit
dem besten Willen nichts dagegen einzuwenden, selbst nicht bei den ergötzlichen Be¬
merkungen über Kuno Fischer, dessen Vorlesungen Kant selbst, wie er meint, ge¬
schwänzt haben würde. Das Ziel des Buches ist vor allem, den Naturwissen¬
schaften wie den Geisteswissenschaften ihr vollständig berechtigtes Gebiet anzuweisen
und zwar aus den gemeinsamen Prinzipien der Kantischen Kritik, ohne daß sie
irgendwie in Widerspruch geraten. Das geht natürlich nur unter der Bedingung
an, daß dnrch die Lehre von Raum und Zeit allen Spekulationen, die auf Ma¬
terialismus hinauslaufen, der Grund und Boden vollständig genommen wird, und
daß die Gegenstände der Naturwissenschaft in metaphysischen Sinne nur Er-
scheinungen sind, während sie von den Empirikern freilich immer als Dinge an
sich betrachtet werden. Dadurch wird für die unentbehrliche Lehre von der Freiheit
des Geistes und des Willens Raum geschaffen, und die vollständige Berechtigung
für die höchsten Güter des Lebens, die Ideen von Gott, Freiheit und Unsterblichkeit
nachgewiesen.

Nun aber kommt ein Punkt, in dem wir mit dem Verfasser nicht ganz einer
Meinung sind. Er scheint zu glauben, daß die Grundlage, die Kant im Gebiete
der praktischen Vernunft geschaffen hat, schon genügend sei, um darauf in demselben
Sinne, wie Kant es in seinen religiösen Schriften versucht hat, eine neue
theologische Wissenschaft aufzubauen. Aber eine Wissenschaft ist eine zusammen¬
hängende Reihe vou Erkenntnissen, und Erkenntnisse werden nun einmal nur durch
die Prinzipien der theoretischen Vernunft gewonnen; und in der Kritik der reinen
Vernunft wird bewiesen, daß die Prinzipien der theoretischen nur auf Erscheinungen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/276>, abgerufen am 22.07.2024.