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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Um eine Perle.

den schlaffen Adern eines siechen Organismus eingeflößte Blutstropfen werden
können, der, nach der damals vielbcredeten Entdeckung eines Arztes von der
medizinischen Fakultät zu Bologna, den Kranken wieder mit verjüngenden Kräften
erfüllen sollte. So hätte, sagte er zu sich, der Verlauf sein müssen, wenn mir
Zeit gelassen worden wäre, meine Pläne zur Reife zu bringen. Es hat nicht
sein sollen. Was wird jetzt das Ende sein?

Das erste Treppchen war erstiegen. Man befand sich in dem Stockwerk
der fürstlichen Prachträume. Seit den lustigen Tagen der Veltlinerin mochten
hier keine Kronleuchter angezündet worden sein. Eufemia, die sich allmählich
in das Unvermeidliche gefunden hatte, glaubte, während ihr finster blickender Be¬
gleiter einen Augenblick Atem schöpfte, auf eine mit schwarzem Flor verhängte
Flügelthür deuten zu sollen. I^a inackrs, flüsterte sie. Es war das Zimmer,
in welchem die toten Buoncieolsis, bevor man sie nach San Stefano in die
dem einstigen Regentcngeschlecht noch verbliebene Familiengruft schaffte, in Pa¬
rade ausgestellt wurden, und der Trauerflor rührte von der letzten Zeremonie
her, von der Paradcausstellung der Mutter Floridas.

Giuseppe lüftete seinen Hut. Die weiße Straußfeder desselben siel auf
den Estrich. Eufemia hob sie auf. Beide bekreuzigten sich; Eufemia als wolle
sie sagen: Eine üble Vorbedeutung! Lasset ab!

Giuseppe steckte die Feder wieder fest, und schweigend ging es das zweite
Treppchen hinan. Zögernd nahte sich Giuseppe dem Ziele desselben, dem oberen
Korridor. Hier waren an den Wänden einige wenige Lampen angezündet; sie
ließen die Stelle, wo Giuseppe und die Friaulerin standen, in vollständigem
Dunkel. Der spärliche Verkehr, welcher in dem Palazzo Passerino stattfand,
spiegelte sich hier ab.

Auf der vorletzten Stufe des Treppchens hatte Giuseppe Halt gemacht,
den Finger auf dem Munde, damit Eufemia nicht etwa zu reden beginne.
Hinter ihm stand sie. Nie im Leben hatte sie ihrer auf wortreiches Aussprechen
angelegten Natur so sehr Gewalt anthun müssen. Endlich durfte sie wenigstens
flüstern, wenn auch nur einzelne Worte und nur auf die jedesmalige fragende Ge¬
berde des unheimlichen Mannes mit dem blinkenden Degen.

Die erste Frage galt einer Thür ganz zur Rechten, wohl an die fünfzig
Schritte entfernt; sie stand halb offen ; ein nicht die Livree des fürstliche"
Hauses tragender Lakai ging dort ein und aus; er schien einem andern, welchen
Giuseppe Gonzaga bereits in Verona gesehen hatte, beim Ab- und Zutragen
von silbernen Speiseschüsseln und Tellern zu sckundiren.

Der eine, Eccellenza, ist unser Lazzciro, flüsterte Eufemia, und der andre ist
Signor Abbondio Buonacolsis Kammerdiener.

Giuseppe rollte die blitzenden Augen. Abbondio ist hier einquartiert?
fragte er.

Sie wollte antworten, durfte aber nur nicken.


Um eine Perle.

den schlaffen Adern eines siechen Organismus eingeflößte Blutstropfen werden
können, der, nach der damals vielbcredeten Entdeckung eines Arztes von der
medizinischen Fakultät zu Bologna, den Kranken wieder mit verjüngenden Kräften
erfüllen sollte. So hätte, sagte er zu sich, der Verlauf sein müssen, wenn mir
Zeit gelassen worden wäre, meine Pläne zur Reife zu bringen. Es hat nicht
sein sollen. Was wird jetzt das Ende sein?

Das erste Treppchen war erstiegen. Man befand sich in dem Stockwerk
der fürstlichen Prachträume. Seit den lustigen Tagen der Veltlinerin mochten
hier keine Kronleuchter angezündet worden sein. Eufemia, die sich allmählich
in das Unvermeidliche gefunden hatte, glaubte, während ihr finster blickender Be¬
gleiter einen Augenblick Atem schöpfte, auf eine mit schwarzem Flor verhängte
Flügelthür deuten zu sollen. I^a inackrs, flüsterte sie. Es war das Zimmer,
in welchem die toten Buoncieolsis, bevor man sie nach San Stefano in die
dem einstigen Regentcngeschlecht noch verbliebene Familiengruft schaffte, in Pa¬
rade ausgestellt wurden, und der Trauerflor rührte von der letzten Zeremonie
her, von der Paradcausstellung der Mutter Floridas.

Giuseppe lüftete seinen Hut. Die weiße Straußfeder desselben siel auf
den Estrich. Eufemia hob sie auf. Beide bekreuzigten sich; Eufemia als wolle
sie sagen: Eine üble Vorbedeutung! Lasset ab!

Giuseppe steckte die Feder wieder fest, und schweigend ging es das zweite
Treppchen hinan. Zögernd nahte sich Giuseppe dem Ziele desselben, dem oberen
Korridor. Hier waren an den Wänden einige wenige Lampen angezündet; sie
ließen die Stelle, wo Giuseppe und die Friaulerin standen, in vollständigem
Dunkel. Der spärliche Verkehr, welcher in dem Palazzo Passerino stattfand,
spiegelte sich hier ab.

Auf der vorletzten Stufe des Treppchens hatte Giuseppe Halt gemacht,
den Finger auf dem Munde, damit Eufemia nicht etwa zu reden beginne.
Hinter ihm stand sie. Nie im Leben hatte sie ihrer auf wortreiches Aussprechen
angelegten Natur so sehr Gewalt anthun müssen. Endlich durfte sie wenigstens
flüstern, wenn auch nur einzelne Worte und nur auf die jedesmalige fragende Ge¬
berde des unheimlichen Mannes mit dem blinkenden Degen.

Die erste Frage galt einer Thür ganz zur Rechten, wohl an die fünfzig
Schritte entfernt; sie stand halb offen ; ein nicht die Livree des fürstliche»
Hauses tragender Lakai ging dort ein und aus; er schien einem andern, welchen
Giuseppe Gonzaga bereits in Verona gesehen hatte, beim Ab- und Zutragen
von silbernen Speiseschüsseln und Tellern zu sckundiren.

Der eine, Eccellenza, ist unser Lazzciro, flüsterte Eufemia, und der andre ist
Signor Abbondio Buonacolsis Kammerdiener.

Giuseppe rollte die blitzenden Augen. Abbondio ist hier einquartiert?
fragte er.

Sie wollte antworten, durfte aber nur nicken.


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[0271] Um eine Perle. den schlaffen Adern eines siechen Organismus eingeflößte Blutstropfen werden können, der, nach der damals vielbcredeten Entdeckung eines Arztes von der medizinischen Fakultät zu Bologna, den Kranken wieder mit verjüngenden Kräften erfüllen sollte. So hätte, sagte er zu sich, der Verlauf sein müssen, wenn mir Zeit gelassen worden wäre, meine Pläne zur Reife zu bringen. Es hat nicht sein sollen. Was wird jetzt das Ende sein? Das erste Treppchen war erstiegen. Man befand sich in dem Stockwerk der fürstlichen Prachträume. Seit den lustigen Tagen der Veltlinerin mochten hier keine Kronleuchter angezündet worden sein. Eufemia, die sich allmählich in das Unvermeidliche gefunden hatte, glaubte, während ihr finster blickender Be¬ gleiter einen Augenblick Atem schöpfte, auf eine mit schwarzem Flor verhängte Flügelthür deuten zu sollen. I^a inackrs, flüsterte sie. Es war das Zimmer, in welchem die toten Buoncieolsis, bevor man sie nach San Stefano in die dem einstigen Regentcngeschlecht noch verbliebene Familiengruft schaffte, in Pa¬ rade ausgestellt wurden, und der Trauerflor rührte von der letzten Zeremonie her, von der Paradcausstellung der Mutter Floridas. Giuseppe lüftete seinen Hut. Die weiße Straußfeder desselben siel auf den Estrich. Eufemia hob sie auf. Beide bekreuzigten sich; Eufemia als wolle sie sagen: Eine üble Vorbedeutung! Lasset ab! Giuseppe steckte die Feder wieder fest, und schweigend ging es das zweite Treppchen hinan. Zögernd nahte sich Giuseppe dem Ziele desselben, dem oberen Korridor. Hier waren an den Wänden einige wenige Lampen angezündet; sie ließen die Stelle, wo Giuseppe und die Friaulerin standen, in vollständigem Dunkel. Der spärliche Verkehr, welcher in dem Palazzo Passerino stattfand, spiegelte sich hier ab. Auf der vorletzten Stufe des Treppchens hatte Giuseppe Halt gemacht, den Finger auf dem Munde, damit Eufemia nicht etwa zu reden beginne. Hinter ihm stand sie. Nie im Leben hatte sie ihrer auf wortreiches Aussprechen angelegten Natur so sehr Gewalt anthun müssen. Endlich durfte sie wenigstens flüstern, wenn auch nur einzelne Worte und nur auf die jedesmalige fragende Ge¬ berde des unheimlichen Mannes mit dem blinkenden Degen. Die erste Frage galt einer Thür ganz zur Rechten, wohl an die fünfzig Schritte entfernt; sie stand halb offen ; ein nicht die Livree des fürstliche» Hauses tragender Lakai ging dort ein und aus; er schien einem andern, welchen Giuseppe Gonzaga bereits in Verona gesehen hatte, beim Ab- und Zutragen von silbernen Speiseschüsseln und Tellern zu sckundiren. Der eine, Eccellenza, ist unser Lazzciro, flüsterte Eufemia, und der andre ist Signor Abbondio Buonacolsis Kammerdiener. Giuseppe rollte die blitzenden Augen. Abbondio ist hier einquartiert? fragte er. Sie wollte antworten, durfte aber nur nicken.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/271>, abgerufen am 22.07.2024.