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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Literatur.

waltung zweckmäßiger zu gestalten. Sollte man sich nicht endlich auch entschließen,
einmal den Grundsatz nuszusprechcn, daß den Sparern (wenigstens denen, die im
engsten, eigentlichsten Sinne des Wortes diese Bezeichnung verdienen) ein so hoher
Zins gezahlt werden sollte, wie es geschäftsmäßig möglich ist?




Literatur.

Apoth et'er,Heinrich, Von Hermann Heiberg, Leipzig, W> Friedrich,

Dieser Roman macht ganz den Eindruck, als wäre er auf Bestellung eines
der zahlreichen Familienjvnrnalc geschrieben worden, oder wenigstens in bewußter
Absicht für ein solches. Denn eS ist ganz merkwürdig, in was für eine ängstlich
eingeschränkte Welt Heiberg den Leser dieses "Apothekers Heinrich" einführt; jede
auch noch so ferne Anspielung auf die religiösen, sozialen oder politischen Kämpfe,
welche die Gegenwart leidenschaftlich bewegen, ist mit auffallender Behutsamkeit
gemieden. Als hätte der Autor Scheuklappen vor den Augen, beschränkt er sich
auf die Schilderung der jämmerlich dumpfen Atmosphäre einer Kleinstadt, die sich
weder durch eine interessante Vergangenheit noch durch eine bedeutende Gegenwart
auszeichnet; die schalste Alltäglichkeit, wie sie in hundert und aber hundert Leih-
bibliothcksbünden schon geschildert worden ist, die trivialsten häuslichen und ge¬
schäftlichen Sorgen der Kleinbürger werden mit breitem Behagen geschildert, was
durch den Ernst, der es begleitet, geradezu komisch wirkt. Heiberg hat vielleicht
selbst empfunden, daß ein solcher Stoff bloß in humoristischer Weise behandelt
werden dürfte: der Dichter mußte mit seinem eignen Reichtum eine Welt adeln,
die für sich selbst so kümmerlich und armselig ist. Ans den ersten Paar Seiten
des Buches hat es auch den Anschein, als wollte Heiberg einen humoristischen
Roman liefern; doch allzubald ist ihm der Humor ausgegangen, er selbst ist von
dem schweren gemeinen Bleigewicht seiner Geschichte in die Tiefe gezogen worden,
und was folgt, ist die reine Wassersuppe. Denn auch seiue Kunst der Menschen-
darstellung ist sehr gering, seine Erfindungsgabe noch geringer. Kein Zweifel, daß
die Konkurrenten ans diesem Gebiete literarischer Tagesarbeit, die Marlitt und
Werner, diesen männlichen Autor weit übertreffen. Und wie erst steigt, damit
verglichen, eine Erzählung etwa wie "Villa Schönow" von Wilhelm Rande im
dichterischen Werte! Auch hier die Schilderung kleinstädtischen Treibens: aber
welche Größe des geistigen Horizontes, welche Fülle des gemütvollsten poetischen
Inhaltes, welche Kunst in der Charakteristik! Daß so langweilige, jämmerliche
Produkte wie der "Apotheker Heinrich" von einer kameradschaftlichen Kritik aus¬
führlich besprochen und gepriesen werden, daß an ihnen just das, was fehlt, der
Humor hervorgehoben wird, ist nur heutzutage möglich, wo die Kritik so feil,
gewissenlos und unwissend geworden ist.




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunvw in Leipzig.
Verlag von Fr. Wilh, Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig.
Literatur.

waltung zweckmäßiger zu gestalten. Sollte man sich nicht endlich auch entschließen,
einmal den Grundsatz nuszusprechcn, daß den Sparern (wenigstens denen, die im
engsten, eigentlichsten Sinne des Wortes diese Bezeichnung verdienen) ein so hoher
Zins gezahlt werden sollte, wie es geschäftsmäßig möglich ist?




Literatur.

Apoth et'er,Heinrich, Von Hermann Heiberg, Leipzig, W> Friedrich,

Dieser Roman macht ganz den Eindruck, als wäre er auf Bestellung eines
der zahlreichen Familienjvnrnalc geschrieben worden, oder wenigstens in bewußter
Absicht für ein solches. Denn eS ist ganz merkwürdig, in was für eine ängstlich
eingeschränkte Welt Heiberg den Leser dieses „Apothekers Heinrich" einführt; jede
auch noch so ferne Anspielung auf die religiösen, sozialen oder politischen Kämpfe,
welche die Gegenwart leidenschaftlich bewegen, ist mit auffallender Behutsamkeit
gemieden. Als hätte der Autor Scheuklappen vor den Augen, beschränkt er sich
auf die Schilderung der jämmerlich dumpfen Atmosphäre einer Kleinstadt, die sich
weder durch eine interessante Vergangenheit noch durch eine bedeutende Gegenwart
auszeichnet; die schalste Alltäglichkeit, wie sie in hundert und aber hundert Leih-
bibliothcksbünden schon geschildert worden ist, die trivialsten häuslichen und ge¬
schäftlichen Sorgen der Kleinbürger werden mit breitem Behagen geschildert, was
durch den Ernst, der es begleitet, geradezu komisch wirkt. Heiberg hat vielleicht
selbst empfunden, daß ein solcher Stoff bloß in humoristischer Weise behandelt
werden dürfte: der Dichter mußte mit seinem eignen Reichtum eine Welt adeln,
die für sich selbst so kümmerlich und armselig ist. Ans den ersten Paar Seiten
des Buches hat es auch den Anschein, als wollte Heiberg einen humoristischen
Roman liefern; doch allzubald ist ihm der Humor ausgegangen, er selbst ist von
dem schweren gemeinen Bleigewicht seiner Geschichte in die Tiefe gezogen worden,
und was folgt, ist die reine Wassersuppe. Denn auch seiue Kunst der Menschen-
darstellung ist sehr gering, seine Erfindungsgabe noch geringer. Kein Zweifel, daß
die Konkurrenten ans diesem Gebiete literarischer Tagesarbeit, die Marlitt und
Werner, diesen männlichen Autor weit übertreffen. Und wie erst steigt, damit
verglichen, eine Erzählung etwa wie „Villa Schönow" von Wilhelm Rande im
dichterischen Werte! Auch hier die Schilderung kleinstädtischen Treibens: aber
welche Größe des geistigen Horizontes, welche Fülle des gemütvollsten poetischen
Inhaltes, welche Kunst in der Charakteristik! Daß so langweilige, jämmerliche
Produkte wie der „Apotheker Heinrich" von einer kameradschaftlichen Kritik aus¬
führlich besprochen und gepriesen werden, daß an ihnen just das, was fehlt, der
Humor hervorgehoben wird, ist nur heutzutage möglich, wo die Kritik so feil,
gewissenlos und unwissend geworden ist.




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunvw in Leipzig.
Verlag von Fr. Wilh, Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig.
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[0221] Literatur. waltung zweckmäßiger zu gestalten. Sollte man sich nicht endlich auch entschließen, einmal den Grundsatz nuszusprechcn, daß den Sparern (wenigstens denen, die im engsten, eigentlichsten Sinne des Wortes diese Bezeichnung verdienen) ein so hoher Zins gezahlt werden sollte, wie es geschäftsmäßig möglich ist? Literatur. Apoth et'er,Heinrich, Von Hermann Heiberg, Leipzig, W> Friedrich, Dieser Roman macht ganz den Eindruck, als wäre er auf Bestellung eines der zahlreichen Familienjvnrnalc geschrieben worden, oder wenigstens in bewußter Absicht für ein solches. Denn eS ist ganz merkwürdig, in was für eine ängstlich eingeschränkte Welt Heiberg den Leser dieses „Apothekers Heinrich" einführt; jede auch noch so ferne Anspielung auf die religiösen, sozialen oder politischen Kämpfe, welche die Gegenwart leidenschaftlich bewegen, ist mit auffallender Behutsamkeit gemieden. Als hätte der Autor Scheuklappen vor den Augen, beschränkt er sich auf die Schilderung der jämmerlich dumpfen Atmosphäre einer Kleinstadt, die sich weder durch eine interessante Vergangenheit noch durch eine bedeutende Gegenwart auszeichnet; die schalste Alltäglichkeit, wie sie in hundert und aber hundert Leih- bibliothcksbünden schon geschildert worden ist, die trivialsten häuslichen und ge¬ schäftlichen Sorgen der Kleinbürger werden mit breitem Behagen geschildert, was durch den Ernst, der es begleitet, geradezu komisch wirkt. Heiberg hat vielleicht selbst empfunden, daß ein solcher Stoff bloß in humoristischer Weise behandelt werden dürfte: der Dichter mußte mit seinem eignen Reichtum eine Welt adeln, die für sich selbst so kümmerlich und armselig ist. Ans den ersten Paar Seiten des Buches hat es auch den Anschein, als wollte Heiberg einen humoristischen Roman liefern; doch allzubald ist ihm der Humor ausgegangen, er selbst ist von dem schweren gemeinen Bleigewicht seiner Geschichte in die Tiefe gezogen worden, und was folgt, ist die reine Wassersuppe. Denn auch seiue Kunst der Menschen- darstellung ist sehr gering, seine Erfindungsgabe noch geringer. Kein Zweifel, daß die Konkurrenten ans diesem Gebiete literarischer Tagesarbeit, die Marlitt und Werner, diesen männlichen Autor weit übertreffen. Und wie erst steigt, damit verglichen, eine Erzählung etwa wie „Villa Schönow" von Wilhelm Rande im dichterischen Werte! Auch hier die Schilderung kleinstädtischen Treibens: aber welche Größe des geistigen Horizontes, welche Fülle des gemütvollsten poetischen Inhaltes, welche Kunst in der Charakteristik! Daß so langweilige, jämmerliche Produkte wie der „Apotheker Heinrich" von einer kameradschaftlichen Kritik aus¬ führlich besprochen und gepriesen werden, daß an ihnen just das, was fehlt, der Humor hervorgehoben wird, ist nur heutzutage möglich, wo die Kritik so feil, gewissenlos und unwissend geworden ist. Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunvw in Leipzig. Verlag von Fr. Wilh, Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/221>, abgerufen am 22.07.2024.