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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Fabrik- und Hausindusttie,

ließ sich der Gewerbestand früherer Jahrhunderte zu schulden kommen. Nicht
umsonst werden in mittelalterlichen Webereistatuten Verwendungen bestimmter
Wollen oder Surrogate untersagt, stehen strenge Strafen auf dem Verkauf voll
kürzeren oder schmäleren Tüchern, als die Vorschrift fordert, wird in der Metall¬
verarbeitung die Mischung, aus welcher Kannen, Gefäße u, s. w, hergestellt werden
sollen, genau angegeben, Fälschungen derart sind im Vcrkehrsleben aller Völker
und zu allen Zeiten unvermeidlich gewesen.

Aber trotz alledem wird nicht in Abrede gestellt werden können, daß eine
Lehre, die den Satz an der Spitze trägt "Jeder sehe zu, wie er sich vor Schaden
hüte," geradezu die Versuchung enthält, den Betrug zu vermehren. Denn wenn
dieselbe Lehre mich andrerseits die Behauptung vom wohlverstandenen Eigen¬
interesse proklamirt, welches daran hindert, jenen ersten Satz völlig auszunutzen,
da uureclle Bedienung schließlich den Gewerbtreibenden um seine Kundschaft
bringt, so ist doch bis zur praktischen Bethätigung des letzteren ein weiter Schritt.
Ehe noch die Abnehmer den Schaden, den sie gelitten, gemerkt haben, hat der Fa¬
brikant seineu Gewinn bereits eiugestrichen. Umso gravireuder aber bleibt ein der¬
artiges Vorgehen, als in der Negel die meisten Käufer die Surrogirung und
Verfälschung der Artikel, deren sie bedürfen, beim Kaufe garnicht zu erkennen
in der Lage sind.

Ans die Hausindustrie hat das Manchestertnm besonders schädlich gewirkt.
Es hat die heilsame Bedeutung derselben für die Volkswirtschaft eines Landes,
die darin liegt, daß sie vielen sonst nicht berufsmäßig thätigen Personell eine
Nebenbeschäftigung gewährt, daß sie vielen, die von Hanse sich nicht regelmäßig
entfernen können oder wollen, die Gewinnung des Lebensunterhalts erleichtert,
daß sie eine Kombination mit andrer, namentlich landwirtschaftlicher Thätigkeit
zuläßt, daß sie die schon teilweise aufgebrauchten Arbeitskräfte, die älteren Per¬
sonen, welche in Fabriken nicht mehr thätig sein können, noch zu benutzen weiß
und dergleichen mehr, vollständig unterschätzt. Für das Manchestertnm wurde
nur Maschinenarbeit wichtig. Ohne daß direkt gegen die Hausindustrie zu Felde
gezogen wurde, mußte sie doch zurückstehen, weil durch die Arbeit in geschlossenen
Fabrikränmen schneller und mehr verdient werden konnte. Jene Fälschungen,
die eine Zeit lang domiuirten, konnten wohl in der Fabrik, nicht aber in den
Räumen der kleinen Eiuzelmeister vorgenommen werden, die wohl gar in recht¬
licher Gesinnung sich gegen derartige Neuerungen gesträubt hätten. Überall, wo
das Mauchestcrtum seine Grundsätze nachdrücklich zur Geltung zu bringen wußte,
hat Handwerk und Hausweberei den Angriffen weniger zu widerstehen vermocht
als da, wo seine Lehre kein so bedeutendes Ansehen genossen.

Wir im deutschen Reich dürfen uns dessen freuen, daß der Haudwebstuhl
immer noch in bemerkenswerter Anzahl vorhanden ist. Von Stühlen,
welche die Gewerbezählnug im Jahre IL75 nachwies, waren 74775 mechanische,
und 369321 wurden mit der Hand in Bewegung gesetzt. Im Vergleich zum


Fabrik- und Hausindusttie,

ließ sich der Gewerbestand früherer Jahrhunderte zu schulden kommen. Nicht
umsonst werden in mittelalterlichen Webereistatuten Verwendungen bestimmter
Wollen oder Surrogate untersagt, stehen strenge Strafen auf dem Verkauf voll
kürzeren oder schmäleren Tüchern, als die Vorschrift fordert, wird in der Metall¬
verarbeitung die Mischung, aus welcher Kannen, Gefäße u, s. w, hergestellt werden
sollen, genau angegeben, Fälschungen derart sind im Vcrkehrsleben aller Völker
und zu allen Zeiten unvermeidlich gewesen.

Aber trotz alledem wird nicht in Abrede gestellt werden können, daß eine
Lehre, die den Satz an der Spitze trägt „Jeder sehe zu, wie er sich vor Schaden
hüte," geradezu die Versuchung enthält, den Betrug zu vermehren. Denn wenn
dieselbe Lehre mich andrerseits die Behauptung vom wohlverstandenen Eigen¬
interesse proklamirt, welches daran hindert, jenen ersten Satz völlig auszunutzen,
da uureclle Bedienung schließlich den Gewerbtreibenden um seine Kundschaft
bringt, so ist doch bis zur praktischen Bethätigung des letzteren ein weiter Schritt.
Ehe noch die Abnehmer den Schaden, den sie gelitten, gemerkt haben, hat der Fa¬
brikant seineu Gewinn bereits eiugestrichen. Umso gravireuder aber bleibt ein der¬
artiges Vorgehen, als in der Negel die meisten Käufer die Surrogirung und
Verfälschung der Artikel, deren sie bedürfen, beim Kaufe garnicht zu erkennen
in der Lage sind.

Ans die Hausindustrie hat das Manchestertnm besonders schädlich gewirkt.
Es hat die heilsame Bedeutung derselben für die Volkswirtschaft eines Landes,
die darin liegt, daß sie vielen sonst nicht berufsmäßig thätigen Personell eine
Nebenbeschäftigung gewährt, daß sie vielen, die von Hanse sich nicht regelmäßig
entfernen können oder wollen, die Gewinnung des Lebensunterhalts erleichtert,
daß sie eine Kombination mit andrer, namentlich landwirtschaftlicher Thätigkeit
zuläßt, daß sie die schon teilweise aufgebrauchten Arbeitskräfte, die älteren Per¬
sonen, welche in Fabriken nicht mehr thätig sein können, noch zu benutzen weiß
und dergleichen mehr, vollständig unterschätzt. Für das Manchestertnm wurde
nur Maschinenarbeit wichtig. Ohne daß direkt gegen die Hausindustrie zu Felde
gezogen wurde, mußte sie doch zurückstehen, weil durch die Arbeit in geschlossenen
Fabrikränmen schneller und mehr verdient werden konnte. Jene Fälschungen,
die eine Zeit lang domiuirten, konnten wohl in der Fabrik, nicht aber in den
Räumen der kleinen Eiuzelmeister vorgenommen werden, die wohl gar in recht¬
licher Gesinnung sich gegen derartige Neuerungen gesträubt hätten. Überall, wo
das Mauchestcrtum seine Grundsätze nachdrücklich zur Geltung zu bringen wußte,
hat Handwerk und Hausweberei den Angriffen weniger zu widerstehen vermocht
als da, wo seine Lehre kein so bedeutendes Ansehen genossen.

Wir im deutschen Reich dürfen uns dessen freuen, daß der Haudwebstuhl
immer noch in bemerkenswerter Anzahl vorhanden ist. Von Stühlen,
welche die Gewerbezählnug im Jahre IL75 nachwies, waren 74775 mechanische,
und 369321 wurden mit der Hand in Bewegung gesetzt. Im Vergleich zum


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/193>, abgerufen am 25.08.2024.