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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Fabrik- und Hausindustrie.

nachgewiesen, einen wie ansehnlichen Platz die Klcinindustrie im Erwerbsleben
des deutschen Volkes einnimmt. Gleichwohl läßt sich nicht leugnen, daß auf
manchen Gebieten die Fabrik die herrschende Vetriebsform geworden ist und auf
andern alle Aussicht zu haben scheint, diese bevorzugte Stellung zu erringen.
Da fragt es sich, welche Industriezweige es sind, deren Ausübung in hand¬
werksmäßiger oder hausindnstrieller Form auf die Dauer nicht mehr möglich
zu sein scheint.

Nicht selten ist der Textilindustrie oder vielmehr dem hauptsächlichsten
Zweige derselben, der Weberei, dieses ungünstige Prognostikon gestellt worden.
Als der Maschiuenwcbstuhl aufgekommen war und an Verbreitung fast täg-
lich gewann, meinten nicht wenige, daß der Untergang der Handweberei be¬
siegelt sei. Mit der Leistungsfähigkeit der Maschine in bezug auf Schnelligkeit
und Billigkeit des Produkts, auch wohl gar in Hinsicht auf Güte des Er¬
zeugnisses, glaubte man, könne der Handstuhl nicht konkurriren. Doch schou die
Neichsenqnete über die Lage der Baumwollen- und Leincnindnstrie vom
Jahre 1878 konnte in ihren auf den Kleinbetrieb der Weberei und Wirkerei
bezügliche" Nachrichten eines bessern belehren. Zwar ergab sich, daß stellen¬
weise der Rückgang der HauSweberei ein sehr beträchtlicher war, aber man
empfing doch den Eindruck, daß es sich keineswegs um einen Verlornen Posten
handle.

Neuerdings hat nun ein anerkannter Technologe und Volkswirt -- Her¬
mann Grvthe -- diesen Kampf zwischen der Fabrik- und Hauswcberei zum
Gegenstände einer eingehenden Studie gemacht und ein mit dem interessantesten
Material angefülltes Buch darüber veröffentlicht.*) Grvthe untersucht sorg¬
fältigst die Gestaltung der Weberei neuerer Zeit in allen Ländern, sowohl in
den auf dem Gebiete der Textilindustrie sich auszeichnenden als in den auf
demselben weniger leistungsfähigen. Jeder Staat wird nnter Heranziehung
alles einschlägigen, der offiziellen Statistik oder sonst glaubwürdigen Quellen
entlehnten Materials für sich betrachtet -- auch die einzelnen deutschen Staaten
werden so geschildert -- und erst auf Grundlage überwältigender Zahlenreihen
formulirt der Verfasser seine Schlußfolgerungen und seine Ratschläge, wie der
in mancher Hinsicht betrübende Stand der Handweberei zum bessern gewandt
werden könne.

Grothe hat sich indes nicht nnr die Aufgabe gestellt, den Nachweis zu er¬
bringen, daß der Handwebstuhl existenzberechtigt ist, sondern er berührt noch
einen andern Punkt, der mit der erwähnten Frage in nahem Zusammenhange
steht, nämlich den schlimmen Einfluß des Manchestertums auf die industrielle
Produktion überhaupt. Es ist außerordentlich belehrend, von einem Techniker



Der Einfluß des Manchestertums auf Handwerk und Hausindustrie, erzeigt an dem
Ergehen der Hand- und HauSweberei. 2. Abdruck. Berlin, F. Luckhardt, 1884.
Fabrik- und Hausindustrie.

nachgewiesen, einen wie ansehnlichen Platz die Klcinindustrie im Erwerbsleben
des deutschen Volkes einnimmt. Gleichwohl läßt sich nicht leugnen, daß auf
manchen Gebieten die Fabrik die herrschende Vetriebsform geworden ist und auf
andern alle Aussicht zu haben scheint, diese bevorzugte Stellung zu erringen.
Da fragt es sich, welche Industriezweige es sind, deren Ausübung in hand¬
werksmäßiger oder hausindnstrieller Form auf die Dauer nicht mehr möglich
zu sein scheint.

Nicht selten ist der Textilindustrie oder vielmehr dem hauptsächlichsten
Zweige derselben, der Weberei, dieses ungünstige Prognostikon gestellt worden.
Als der Maschiuenwcbstuhl aufgekommen war und an Verbreitung fast täg-
lich gewann, meinten nicht wenige, daß der Untergang der Handweberei be¬
siegelt sei. Mit der Leistungsfähigkeit der Maschine in bezug auf Schnelligkeit
und Billigkeit des Produkts, auch wohl gar in Hinsicht auf Güte des Er¬
zeugnisses, glaubte man, könne der Handstuhl nicht konkurriren. Doch schou die
Neichsenqnete über die Lage der Baumwollen- und Leincnindnstrie vom
Jahre 1878 konnte in ihren auf den Kleinbetrieb der Weberei und Wirkerei
bezügliche» Nachrichten eines bessern belehren. Zwar ergab sich, daß stellen¬
weise der Rückgang der HauSweberei ein sehr beträchtlicher war, aber man
empfing doch den Eindruck, daß es sich keineswegs um einen Verlornen Posten
handle.

Neuerdings hat nun ein anerkannter Technologe und Volkswirt — Her¬
mann Grvthe — diesen Kampf zwischen der Fabrik- und Hauswcberei zum
Gegenstände einer eingehenden Studie gemacht und ein mit dem interessantesten
Material angefülltes Buch darüber veröffentlicht.*) Grvthe untersucht sorg¬
fältigst die Gestaltung der Weberei neuerer Zeit in allen Ländern, sowohl in
den auf dem Gebiete der Textilindustrie sich auszeichnenden als in den auf
demselben weniger leistungsfähigen. Jeder Staat wird nnter Heranziehung
alles einschlägigen, der offiziellen Statistik oder sonst glaubwürdigen Quellen
entlehnten Materials für sich betrachtet — auch die einzelnen deutschen Staaten
werden so geschildert — und erst auf Grundlage überwältigender Zahlenreihen
formulirt der Verfasser seine Schlußfolgerungen und seine Ratschläge, wie der
in mancher Hinsicht betrübende Stand der Handweberei zum bessern gewandt
werden könne.

Grothe hat sich indes nicht nnr die Aufgabe gestellt, den Nachweis zu er¬
bringen, daß der Handwebstuhl existenzberechtigt ist, sondern er berührt noch
einen andern Punkt, der mit der erwähnten Frage in nahem Zusammenhange
steht, nämlich den schlimmen Einfluß des Manchestertums auf die industrielle
Produktion überhaupt. Es ist außerordentlich belehrend, von einem Techniker



Der Einfluß des Manchestertums auf Handwerk und Hausindustrie, erzeigt an dem
Ergehen der Hand- und HauSweberei. 2. Abdruck. Berlin, F. Luckhardt, 1884.
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[0191] Fabrik- und Hausindustrie. nachgewiesen, einen wie ansehnlichen Platz die Klcinindustrie im Erwerbsleben des deutschen Volkes einnimmt. Gleichwohl läßt sich nicht leugnen, daß auf manchen Gebieten die Fabrik die herrschende Vetriebsform geworden ist und auf andern alle Aussicht zu haben scheint, diese bevorzugte Stellung zu erringen. Da fragt es sich, welche Industriezweige es sind, deren Ausübung in hand¬ werksmäßiger oder hausindnstrieller Form auf die Dauer nicht mehr möglich zu sein scheint. Nicht selten ist der Textilindustrie oder vielmehr dem hauptsächlichsten Zweige derselben, der Weberei, dieses ungünstige Prognostikon gestellt worden. Als der Maschiuenwcbstuhl aufgekommen war und an Verbreitung fast täg- lich gewann, meinten nicht wenige, daß der Untergang der Handweberei be¬ siegelt sei. Mit der Leistungsfähigkeit der Maschine in bezug auf Schnelligkeit und Billigkeit des Produkts, auch wohl gar in Hinsicht auf Güte des Er¬ zeugnisses, glaubte man, könne der Handstuhl nicht konkurriren. Doch schou die Neichsenqnete über die Lage der Baumwollen- und Leincnindnstrie vom Jahre 1878 konnte in ihren auf den Kleinbetrieb der Weberei und Wirkerei bezügliche» Nachrichten eines bessern belehren. Zwar ergab sich, daß stellen¬ weise der Rückgang der HauSweberei ein sehr beträchtlicher war, aber man empfing doch den Eindruck, daß es sich keineswegs um einen Verlornen Posten handle. Neuerdings hat nun ein anerkannter Technologe und Volkswirt — Her¬ mann Grvthe — diesen Kampf zwischen der Fabrik- und Hauswcberei zum Gegenstände einer eingehenden Studie gemacht und ein mit dem interessantesten Material angefülltes Buch darüber veröffentlicht.*) Grvthe untersucht sorg¬ fältigst die Gestaltung der Weberei neuerer Zeit in allen Ländern, sowohl in den auf dem Gebiete der Textilindustrie sich auszeichnenden als in den auf demselben weniger leistungsfähigen. Jeder Staat wird nnter Heranziehung alles einschlägigen, der offiziellen Statistik oder sonst glaubwürdigen Quellen entlehnten Materials für sich betrachtet — auch die einzelnen deutschen Staaten werden so geschildert — und erst auf Grundlage überwältigender Zahlenreihen formulirt der Verfasser seine Schlußfolgerungen und seine Ratschläge, wie der in mancher Hinsicht betrübende Stand der Handweberei zum bessern gewandt werden könne. Grothe hat sich indes nicht nnr die Aufgabe gestellt, den Nachweis zu er¬ bringen, daß der Handwebstuhl existenzberechtigt ist, sondern er berührt noch einen andern Punkt, der mit der erwähnten Frage in nahem Zusammenhange steht, nämlich den schlimmen Einfluß des Manchestertums auf die industrielle Produktion überhaupt. Es ist außerordentlich belehrend, von einem Techniker Der Einfluß des Manchestertums auf Handwerk und Hausindustrie, erzeigt an dem Ergehen der Hand- und HauSweberei. 2. Abdruck. Berlin, F. Luckhardt, 1884.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/191>, abgerufen am 22.07.2024.