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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Das Ministerium Brisson.

Wählt, wo er in die Fraktion Gambettas, die Union rsxnblieÄins, eintrat.
Von der Kommission, welche den sogenannten Staatsstreich vom 16. Mai 1877
zu untersuchen hatte, wurde er zum Berichterstatter gewählt, der Antrag dieser
Kommission aber, die Minister wegen Verletzung der Verfassung und Über¬
tretung der Gesetze in Anklagezustand zu versetzen, von der Kammer verworfen.
Im Jahre 1879 wurde er an Stelle Gambettas zweiter Vizepräsident der
Kammer und Vorsitzender der Budgetkommission, 1881 Präsident der Kammer,
was er bis zu seiner jetzigen Veränderung geblieben ist. Sein Charakter und
insbesondre seine Unzugänglichkeit für pekuncirc Vorteile werden gerühmt, seine
"republikanische" Einfachheit wird von seinen Anhängern gegenüber der Prunk¬
sucht Gambettas bei jeder Gelegenheit lobend hervorgehoben.

Die erledigte Stelle des Kammerpräsidenten hat der radikale Deputirte
Floquet mit vier Stimmen Mehrheit erobert, zu welcher ihm Brisson selbst zu
verhelfen sich bemüht hat, indem er zur Abstimmung aus dem Senate herbei¬
eilte, um ihm seine Stimme zu geben. Floquet ist derjenige welcher sich, wie
er meint, zu seinem Vorteile, dadurch bekannt gemacht hat, daß er im Jahre
1867 dem Kaiser Alexander II. von Nußland bei seinem Besuche in Paris im
Justizpalast die Worte zurief: Vivs 1a ?ol0Ans! und, als ihn der Kaiser Na¬
poleon wegen dieser Unziemlichkeit strafend ansah, diese dadurch erhöhte, daß
er wiederholte: Omi, nionÄsur, vivs ig, ?oloMs! Sein seitheriges Verhalten
giebt allen Grund zu der Annahme, daß er auf dem betretenen Wege unver¬
drossen fortgeschritten sei.

Die französische Regierung ist mit dem neuen Ministerium wieder einen
Schritt weiter auf der abschüssigen Bahn nach links geraten, und daß die De-
putirtenkammer unter einem von ihr gewählten Präsidenten wie Floquet sie in
ihrer immer weiter nach dieser Seite neigenden Richtung nicht hemmen, sondern
soweit als möglich fortdrängen wird, liegt auf der Hand. Welche Bürgschaft
für eine befriedigende Führung der Regierungsgeschäfte unter diesen Umständen
gegeben ist, welche Aussichten insbesondre bei der erfolgten Ernennung des
chauvinistischen Generals Ccunpenvn zum Kriegsminister unser Verhältnis zu
Frankreich hat, wird sich jeder selbst sagen und sich in seiner Anschauung
dadurch nicht irremachen lassen, daß die französischen und mit ihnen die
deutschen demokratischen Blätter das neue Ministerium als ein solches feiern,
welches "den alten republikanischen Grundsätzen treu bleibend, seine Achtung
vor dem Volkswillen vor allem dadurch bekunden werde, daß es sich jeder Be¬
einflussung desselben enthalten, in solcher Weise die Einführung neuer, junger
Kräfte in die künftige Kammer, die Herbeiführung gesünderer (sie!) Zustände
und die Anbahnung einer Ära des "wirklichen" Liberalismus ermöglichen
werde."

Welch segenbringende Einrichtung das parlamentarische Regiment ist, davon
können wir uns auch bei diesem Anlaß aufs neue überzeugen. Seit dem Falle


Das Ministerium Brisson.

Wählt, wo er in die Fraktion Gambettas, die Union rsxnblieÄins, eintrat.
Von der Kommission, welche den sogenannten Staatsstreich vom 16. Mai 1877
zu untersuchen hatte, wurde er zum Berichterstatter gewählt, der Antrag dieser
Kommission aber, die Minister wegen Verletzung der Verfassung und Über¬
tretung der Gesetze in Anklagezustand zu versetzen, von der Kammer verworfen.
Im Jahre 1879 wurde er an Stelle Gambettas zweiter Vizepräsident der
Kammer und Vorsitzender der Budgetkommission, 1881 Präsident der Kammer,
was er bis zu seiner jetzigen Veränderung geblieben ist. Sein Charakter und
insbesondre seine Unzugänglichkeit für pekuncirc Vorteile werden gerühmt, seine
„republikanische" Einfachheit wird von seinen Anhängern gegenüber der Prunk¬
sucht Gambettas bei jeder Gelegenheit lobend hervorgehoben.

Die erledigte Stelle des Kammerpräsidenten hat der radikale Deputirte
Floquet mit vier Stimmen Mehrheit erobert, zu welcher ihm Brisson selbst zu
verhelfen sich bemüht hat, indem er zur Abstimmung aus dem Senate herbei¬
eilte, um ihm seine Stimme zu geben. Floquet ist derjenige welcher sich, wie
er meint, zu seinem Vorteile, dadurch bekannt gemacht hat, daß er im Jahre
1867 dem Kaiser Alexander II. von Nußland bei seinem Besuche in Paris im
Justizpalast die Worte zurief: Vivs 1a ?ol0Ans! und, als ihn der Kaiser Na¬
poleon wegen dieser Unziemlichkeit strafend ansah, diese dadurch erhöhte, daß
er wiederholte: Omi, nionÄsur, vivs ig, ?oloMs! Sein seitheriges Verhalten
giebt allen Grund zu der Annahme, daß er auf dem betretenen Wege unver¬
drossen fortgeschritten sei.

Die französische Regierung ist mit dem neuen Ministerium wieder einen
Schritt weiter auf der abschüssigen Bahn nach links geraten, und daß die De-
putirtenkammer unter einem von ihr gewählten Präsidenten wie Floquet sie in
ihrer immer weiter nach dieser Seite neigenden Richtung nicht hemmen, sondern
soweit als möglich fortdrängen wird, liegt auf der Hand. Welche Bürgschaft
für eine befriedigende Führung der Regierungsgeschäfte unter diesen Umständen
gegeben ist, welche Aussichten insbesondre bei der erfolgten Ernennung des
chauvinistischen Generals Ccunpenvn zum Kriegsminister unser Verhältnis zu
Frankreich hat, wird sich jeder selbst sagen und sich in seiner Anschauung
dadurch nicht irremachen lassen, daß die französischen und mit ihnen die
deutschen demokratischen Blätter das neue Ministerium als ein solches feiern,
welches „den alten republikanischen Grundsätzen treu bleibend, seine Achtung
vor dem Volkswillen vor allem dadurch bekunden werde, daß es sich jeder Be¬
einflussung desselben enthalten, in solcher Weise die Einführung neuer, junger
Kräfte in die künftige Kammer, die Herbeiführung gesünderer (sie!) Zustände
und die Anbahnung einer Ära des »wirklichen« Liberalismus ermöglichen
werde."

Welch segenbringende Einrichtung das parlamentarische Regiment ist, davon
können wir uns auch bei diesem Anlaß aufs neue überzeugen. Seit dem Falle


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[0168] Das Ministerium Brisson. Wählt, wo er in die Fraktion Gambettas, die Union rsxnblieÄins, eintrat. Von der Kommission, welche den sogenannten Staatsstreich vom 16. Mai 1877 zu untersuchen hatte, wurde er zum Berichterstatter gewählt, der Antrag dieser Kommission aber, die Minister wegen Verletzung der Verfassung und Über¬ tretung der Gesetze in Anklagezustand zu versetzen, von der Kammer verworfen. Im Jahre 1879 wurde er an Stelle Gambettas zweiter Vizepräsident der Kammer und Vorsitzender der Budgetkommission, 1881 Präsident der Kammer, was er bis zu seiner jetzigen Veränderung geblieben ist. Sein Charakter und insbesondre seine Unzugänglichkeit für pekuncirc Vorteile werden gerühmt, seine „republikanische" Einfachheit wird von seinen Anhängern gegenüber der Prunk¬ sucht Gambettas bei jeder Gelegenheit lobend hervorgehoben. Die erledigte Stelle des Kammerpräsidenten hat der radikale Deputirte Floquet mit vier Stimmen Mehrheit erobert, zu welcher ihm Brisson selbst zu verhelfen sich bemüht hat, indem er zur Abstimmung aus dem Senate herbei¬ eilte, um ihm seine Stimme zu geben. Floquet ist derjenige welcher sich, wie er meint, zu seinem Vorteile, dadurch bekannt gemacht hat, daß er im Jahre 1867 dem Kaiser Alexander II. von Nußland bei seinem Besuche in Paris im Justizpalast die Worte zurief: Vivs 1a ?ol0Ans! und, als ihn der Kaiser Na¬ poleon wegen dieser Unziemlichkeit strafend ansah, diese dadurch erhöhte, daß er wiederholte: Omi, nionÄsur, vivs ig, ?oloMs! Sein seitheriges Verhalten giebt allen Grund zu der Annahme, daß er auf dem betretenen Wege unver¬ drossen fortgeschritten sei. Die französische Regierung ist mit dem neuen Ministerium wieder einen Schritt weiter auf der abschüssigen Bahn nach links geraten, und daß die De- putirtenkammer unter einem von ihr gewählten Präsidenten wie Floquet sie in ihrer immer weiter nach dieser Seite neigenden Richtung nicht hemmen, sondern soweit als möglich fortdrängen wird, liegt auf der Hand. Welche Bürgschaft für eine befriedigende Führung der Regierungsgeschäfte unter diesen Umständen gegeben ist, welche Aussichten insbesondre bei der erfolgten Ernennung des chauvinistischen Generals Ccunpenvn zum Kriegsminister unser Verhältnis zu Frankreich hat, wird sich jeder selbst sagen und sich in seiner Anschauung dadurch nicht irremachen lassen, daß die französischen und mit ihnen die deutschen demokratischen Blätter das neue Ministerium als ein solches feiern, welches „den alten republikanischen Grundsätzen treu bleibend, seine Achtung vor dem Volkswillen vor allem dadurch bekunden werde, daß es sich jeder Be¬ einflussung desselben enthalten, in solcher Weise die Einführung neuer, junger Kräfte in die künftige Kammer, die Herbeiführung gesünderer (sie!) Zustände und die Anbahnung einer Ära des »wirklichen« Liberalismus ermöglichen werde." Welch segenbringende Einrichtung das parlamentarische Regiment ist, davon können wir uns auch bei diesem Anlaß aufs neue überzeugen. Seit dem Falle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/168>, abgerufen am 22.07.2024.