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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Beiträge zum Verständnis der mittelasiatischen Frage.

Truppen beistehen kann. Deshalb ist es notwendig, daß der Krieg nicht in
dieser unpassenden Zeit begonnen werde. Fangen die Engländer trotz der Be¬
mühungen des Emirs, den Krieg zu vermeiden, einen solchen an, so müssen Sie
nach Taschkend abreisen."

Die russische Hilfe blieb also aus, obwohl die Afghanen, wie Auszüge ans
ferneren Briefen schir Alis zeigen, darauf zu rechnen befugt waren. Am
8. Dezember 1878 schrieb er an Mirza Muhammed Hassan Chan, der als sein
Gesandter den General Stvljetesf bei dessen Abreise nach Rußland begleitet hatte:
"Jetzt ist die Zeit zu freundschaftlicher Unterstützung für Se. Kaiserliche Ma¬
jestät gekommen. Ich habe an meinen lieben Freund, dem Generalgouvemeur
von Turkestan, einen Brief mit der Bitte gerichtet, in dieser Zeit der Not nicht
mehr mit der Hilfe von Truppen zu zögern und seinen Beistand auf eine andre
Zeit zu verschieben, sondern im Einklange mit den Forderungen der Freund¬
schaft, die zwischen den beiden Regierungen besteht, die 32 000 Mann in Tasch¬
kend, die nach General Stoljeteffs Versicherung bereitstehen und abgeschickt
werdeu sollten, wenn ich sie beanspruche, nach dem afghanischen Turkestan ab-
marschiren zu lassen. Ich gebiete Ihnen, in dieser Angelegenheit nicht zu
zögern." In dem hier erwähnten Briefe an Kaufmann aber hieß es: "Die
britischen Truppen strömen nach Afghanistan herein mit der Absicht, das Land
zu erobern, und hoffen in kurzer Zeit Kabul einzunehmen und den Krieg zu be¬
endigen. Ich erlaube mir deshalb, Sie, meinen Freund, von dem, was ich auf
dem Herzen habe, in Kenntnis zu setzen, und Ihnen zu schreiben, daß, da
zwischen Sr. Kaiserlichen Majestät dem Zaren und der gottverliehenen Negie¬
rung Afghanistans auf Grund alter Freundschaft, sowie infolge des neuerdings
von feiten der kaiserlichen Regierung dnrch General Stvljetesf abgeschlossenen
Bündnisses vollkommenes Einvernehmen besteht, falls der afghanischen Regierung
Schaden oder Unrecht widerfahren sollte, was Gott verhüte, auf deu Saum
der Regierung Sr. kaiserlichen Majestät sicherlich der Staub der Schande fallen
würde. Da die Interessen beider Reiche auf eins hinauslaufen, so erwarte ich
von Ihnen selbstverständlich Beistand in Gestalt von Truppen, und hoffe, Sie
werden alle Streitkräfte, die unter Ihrem Befehle zu Taschkend verwendbar
sind, schleunigst nach dem afghanischen Turkestan absenden."

Als die britischen Heersäulen weiter vordrangen, meldete schir Ali dem
General Kaufmann, er werde nach einem Beschlusse der Fürsten seines Landes
nach Petersburg gehen, wo der Streit zwischen ihm und England geschlichtet
werden solle. Es war ihm nämlich von Stvljetesf aus der kaiserlichen Sommer-
residenz Livadia ein Schreiben zugegangen, in welchem es hieß: "Der Zar be¬
trachtet Sie wie einen Bruder, und Sie, der Sie auf der andern Seite des
Wassers find, müssen dieses Gefühl brüderlicher Freundschaft gleichfalls an deu
Tag legen. Die englische Negierung wünscht dringend, sich mit Ihnen durch
Vermittlung des Sultans zu verständigen, dessen Rat und Vorschlag Sie an-


Beiträge zum Verständnis der mittelasiatischen Frage.

Truppen beistehen kann. Deshalb ist es notwendig, daß der Krieg nicht in
dieser unpassenden Zeit begonnen werde. Fangen die Engländer trotz der Be¬
mühungen des Emirs, den Krieg zu vermeiden, einen solchen an, so müssen Sie
nach Taschkend abreisen."

Die russische Hilfe blieb also aus, obwohl die Afghanen, wie Auszüge ans
ferneren Briefen schir Alis zeigen, darauf zu rechnen befugt waren. Am
8. Dezember 1878 schrieb er an Mirza Muhammed Hassan Chan, der als sein
Gesandter den General Stvljetesf bei dessen Abreise nach Rußland begleitet hatte:
„Jetzt ist die Zeit zu freundschaftlicher Unterstützung für Se. Kaiserliche Ma¬
jestät gekommen. Ich habe an meinen lieben Freund, dem Generalgouvemeur
von Turkestan, einen Brief mit der Bitte gerichtet, in dieser Zeit der Not nicht
mehr mit der Hilfe von Truppen zu zögern und seinen Beistand auf eine andre
Zeit zu verschieben, sondern im Einklange mit den Forderungen der Freund¬
schaft, die zwischen den beiden Regierungen besteht, die 32 000 Mann in Tasch¬
kend, die nach General Stoljeteffs Versicherung bereitstehen und abgeschickt
werdeu sollten, wenn ich sie beanspruche, nach dem afghanischen Turkestan ab-
marschiren zu lassen. Ich gebiete Ihnen, in dieser Angelegenheit nicht zu
zögern." In dem hier erwähnten Briefe an Kaufmann aber hieß es: „Die
britischen Truppen strömen nach Afghanistan herein mit der Absicht, das Land
zu erobern, und hoffen in kurzer Zeit Kabul einzunehmen und den Krieg zu be¬
endigen. Ich erlaube mir deshalb, Sie, meinen Freund, von dem, was ich auf
dem Herzen habe, in Kenntnis zu setzen, und Ihnen zu schreiben, daß, da
zwischen Sr. Kaiserlichen Majestät dem Zaren und der gottverliehenen Negie¬
rung Afghanistans auf Grund alter Freundschaft, sowie infolge des neuerdings
von feiten der kaiserlichen Regierung dnrch General Stvljetesf abgeschlossenen
Bündnisses vollkommenes Einvernehmen besteht, falls der afghanischen Regierung
Schaden oder Unrecht widerfahren sollte, was Gott verhüte, auf deu Saum
der Regierung Sr. kaiserlichen Majestät sicherlich der Staub der Schande fallen
würde. Da die Interessen beider Reiche auf eins hinauslaufen, so erwarte ich
von Ihnen selbstverständlich Beistand in Gestalt von Truppen, und hoffe, Sie
werden alle Streitkräfte, die unter Ihrem Befehle zu Taschkend verwendbar
sind, schleunigst nach dem afghanischen Turkestan absenden."

Als die britischen Heersäulen weiter vordrangen, meldete schir Ali dem
General Kaufmann, er werde nach einem Beschlusse der Fürsten seines Landes
nach Petersburg gehen, wo der Streit zwischen ihm und England geschlichtet
werden solle. Es war ihm nämlich von Stvljetesf aus der kaiserlichen Sommer-
residenz Livadia ein Schreiben zugegangen, in welchem es hieß: „Der Zar be¬
trachtet Sie wie einen Bruder, und Sie, der Sie auf der andern Seite des
Wassers find, müssen dieses Gefühl brüderlicher Freundschaft gleichfalls an deu
Tag legen. Die englische Negierung wünscht dringend, sich mit Ihnen durch
Vermittlung des Sultans zu verständigen, dessen Rat und Vorschlag Sie an-


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[0121] Beiträge zum Verständnis der mittelasiatischen Frage. Truppen beistehen kann. Deshalb ist es notwendig, daß der Krieg nicht in dieser unpassenden Zeit begonnen werde. Fangen die Engländer trotz der Be¬ mühungen des Emirs, den Krieg zu vermeiden, einen solchen an, so müssen Sie nach Taschkend abreisen." Die russische Hilfe blieb also aus, obwohl die Afghanen, wie Auszüge ans ferneren Briefen schir Alis zeigen, darauf zu rechnen befugt waren. Am 8. Dezember 1878 schrieb er an Mirza Muhammed Hassan Chan, der als sein Gesandter den General Stvljetesf bei dessen Abreise nach Rußland begleitet hatte: „Jetzt ist die Zeit zu freundschaftlicher Unterstützung für Se. Kaiserliche Ma¬ jestät gekommen. Ich habe an meinen lieben Freund, dem Generalgouvemeur von Turkestan, einen Brief mit der Bitte gerichtet, in dieser Zeit der Not nicht mehr mit der Hilfe von Truppen zu zögern und seinen Beistand auf eine andre Zeit zu verschieben, sondern im Einklange mit den Forderungen der Freund¬ schaft, die zwischen den beiden Regierungen besteht, die 32 000 Mann in Tasch¬ kend, die nach General Stoljeteffs Versicherung bereitstehen und abgeschickt werdeu sollten, wenn ich sie beanspruche, nach dem afghanischen Turkestan ab- marschiren zu lassen. Ich gebiete Ihnen, in dieser Angelegenheit nicht zu zögern." In dem hier erwähnten Briefe an Kaufmann aber hieß es: „Die britischen Truppen strömen nach Afghanistan herein mit der Absicht, das Land zu erobern, und hoffen in kurzer Zeit Kabul einzunehmen und den Krieg zu be¬ endigen. Ich erlaube mir deshalb, Sie, meinen Freund, von dem, was ich auf dem Herzen habe, in Kenntnis zu setzen, und Ihnen zu schreiben, daß, da zwischen Sr. Kaiserlichen Majestät dem Zaren und der gottverliehenen Negie¬ rung Afghanistans auf Grund alter Freundschaft, sowie infolge des neuerdings von feiten der kaiserlichen Regierung dnrch General Stvljetesf abgeschlossenen Bündnisses vollkommenes Einvernehmen besteht, falls der afghanischen Regierung Schaden oder Unrecht widerfahren sollte, was Gott verhüte, auf deu Saum der Regierung Sr. kaiserlichen Majestät sicherlich der Staub der Schande fallen würde. Da die Interessen beider Reiche auf eins hinauslaufen, so erwarte ich von Ihnen selbstverständlich Beistand in Gestalt von Truppen, und hoffe, Sie werden alle Streitkräfte, die unter Ihrem Befehle zu Taschkend verwendbar sind, schleunigst nach dem afghanischen Turkestan absenden." Als die britischen Heersäulen weiter vordrangen, meldete schir Ali dem General Kaufmann, er werde nach einem Beschlusse der Fürsten seines Landes nach Petersburg gehen, wo der Streit zwischen ihm und England geschlichtet werden solle. Es war ihm nämlich von Stvljetesf aus der kaiserlichen Sommer- residenz Livadia ein Schreiben zugegangen, in welchem es hieß: „Der Zar be¬ trachtet Sie wie einen Bruder, und Sie, der Sie auf der andern Seite des Wassers find, müssen dieses Gefühl brüderlicher Freundschaft gleichfalls an deu Tag legen. Die englische Negierung wünscht dringend, sich mit Ihnen durch Vermittlung des Sultans zu verständigen, dessen Rat und Vorschlag Sie an-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/121>, abgerufen am 23.07.2024.