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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Um eine perle.

auf den Trümmern Karthagos einsam und verlassen dem Wechsel des Geschickes
nachsann; zurück nach Rom dann, wo Marius mit viertausend Sklaven fünf
Tage und Nächte lang Rache an seinen Feinden nahm; und endlich an das
Sterbelager, auf welchem Marius seine unruhige Seele aushauchte, kurze sech¬
zehn Tage, nachdem er wieder -- zum siebenten male -- diesmal an der Seite
Cinnas -- die Würde eines Konsuls erlangt hatte.

Florida wagte zu sagen: Und das heißt nun gelebt haben! denn sie
dürstete nach einer Gelegenheit, um ihr Herz in dasjenige ihres Vaters aus¬
zuschütten. Aber seine Seele war vollauf von den Geistern erfüllt, die mit
Veronas Vergangenheit zusammenhingen, und in der That umschwebten die
Stätte, auf der man verweilte, Geister in Menge. Über jene Brücke, so do-
zirte der Alte weiter, zog Theodorich mit seinen siegestrunkenen Ostgothen, um
hier oben sich die Königsburg bauen zu lassen, in der er von da an Hof hielt,
so oft er nicht in Ravenna residirte. Er versah die Stadt mit Türmen und
leitete frisches Gebirgswasser in die Röhren ihrer versumpften Brunnen, ein
großer, ein merkwürdiger Mann. Sein arianisches Glaubensbekenntnis freilich
mußte daneben mit in den Kauf genommen werden, und so weist denn noch
ein marmornes Doppelrelief am Portal der Kirche zu San Zeno, drüben jen¬
seits der Etsch, auf ihn als schlimmen Ketzer hin, und ein geistlicher Dichter
hat zu besseren Verständnis nachlebender Geschlechter eine Inschrift dazu ver¬
faßt, nach welcher der Teufel den argen Gothenkönig samt seinem Jagdtroß in
die Hölle spedirt.

Auch diesmal wagte Florida sich mit einem Seufzer über den ewigen
Meinungsstreit der Männer und der Geschlechter und mit der Ansicht hervor,
so vieles im Leben würde sich gewiß friedlich begleichen lassen, wollte nur jeder
Teil dem andern mit etwas versöhnlichen Gesinnungen entgegenkommen.

Aber der Alte hatte, während sie mit bittend auf ihn gerichtetem Blick so
redete, schon ein neues Bild zu entrollen begonnen, dasjenige Alboins, des
Gründers des Lombardenreiches, der einst in dieser selben Königsburg residirte
und den das Schwert eines Günstlings seiner Gattin Rosamunde erschlug.

Du hast mir eines Tages von dieser schrecklichen Ehe erzählt, Vater, sagte
Florida, es war das erstemal, daß ich von einer Ehe hörte, zu der ein Mädchen
gezwungen worden war; ich erinnere mich noch deutlich, wie arg mir der Schreck
in die Glieder fuhr -- zur Ehe gezwungen zu werden! -- gezwungen!

Ganz so war es doch nicht, wollte der Alte sie berichtigen.

Und worüber hätte ich mich damals denn so arg entsetzt?

Wohl über den Trunk --

Aus des Vaters Schädel! Florida bedeckte ihre Augen mit der Hand,
Und wir stehen hier auf der Stelle, wo diese grauenhaften Dinge sich zutrugen?

Es ist die nämliche Stelle, Kind, sagte der Greis; wo giebt es aber Stellen,
die seit Jahrtausenden den Menschen und ihren Leidenschaften zum Tummelplatz


Um eine perle.

auf den Trümmern Karthagos einsam und verlassen dem Wechsel des Geschickes
nachsann; zurück nach Rom dann, wo Marius mit viertausend Sklaven fünf
Tage und Nächte lang Rache an seinen Feinden nahm; und endlich an das
Sterbelager, auf welchem Marius seine unruhige Seele aushauchte, kurze sech¬
zehn Tage, nachdem er wieder — zum siebenten male — diesmal an der Seite
Cinnas — die Würde eines Konsuls erlangt hatte.

Florida wagte zu sagen: Und das heißt nun gelebt haben! denn sie
dürstete nach einer Gelegenheit, um ihr Herz in dasjenige ihres Vaters aus¬
zuschütten. Aber seine Seele war vollauf von den Geistern erfüllt, die mit
Veronas Vergangenheit zusammenhingen, und in der That umschwebten die
Stätte, auf der man verweilte, Geister in Menge. Über jene Brücke, so do-
zirte der Alte weiter, zog Theodorich mit seinen siegestrunkenen Ostgothen, um
hier oben sich die Königsburg bauen zu lassen, in der er von da an Hof hielt,
so oft er nicht in Ravenna residirte. Er versah die Stadt mit Türmen und
leitete frisches Gebirgswasser in die Röhren ihrer versumpften Brunnen, ein
großer, ein merkwürdiger Mann. Sein arianisches Glaubensbekenntnis freilich
mußte daneben mit in den Kauf genommen werden, und so weist denn noch
ein marmornes Doppelrelief am Portal der Kirche zu San Zeno, drüben jen¬
seits der Etsch, auf ihn als schlimmen Ketzer hin, und ein geistlicher Dichter
hat zu besseren Verständnis nachlebender Geschlechter eine Inschrift dazu ver¬
faßt, nach welcher der Teufel den argen Gothenkönig samt seinem Jagdtroß in
die Hölle spedirt.

Auch diesmal wagte Florida sich mit einem Seufzer über den ewigen
Meinungsstreit der Männer und der Geschlechter und mit der Ansicht hervor,
so vieles im Leben würde sich gewiß friedlich begleichen lassen, wollte nur jeder
Teil dem andern mit etwas versöhnlichen Gesinnungen entgegenkommen.

Aber der Alte hatte, während sie mit bittend auf ihn gerichtetem Blick so
redete, schon ein neues Bild zu entrollen begonnen, dasjenige Alboins, des
Gründers des Lombardenreiches, der einst in dieser selben Königsburg residirte
und den das Schwert eines Günstlings seiner Gattin Rosamunde erschlug.

Du hast mir eines Tages von dieser schrecklichen Ehe erzählt, Vater, sagte
Florida, es war das erstemal, daß ich von einer Ehe hörte, zu der ein Mädchen
gezwungen worden war; ich erinnere mich noch deutlich, wie arg mir der Schreck
in die Glieder fuhr — zur Ehe gezwungen zu werden! — gezwungen!

Ganz so war es doch nicht, wollte der Alte sie berichtigen.

Und worüber hätte ich mich damals denn so arg entsetzt?

Wohl über den Trunk —

Aus des Vaters Schädel! Florida bedeckte ihre Augen mit der Hand,
Und wir stehen hier auf der Stelle, wo diese grauenhaften Dinge sich zutrugen?

Es ist die nämliche Stelle, Kind, sagte der Greis; wo giebt es aber Stellen,
die seit Jahrtausenden den Menschen und ihren Leidenschaften zum Tummelplatz


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/698>, abgerufen am 22.07.2024.