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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Peter der Große in neuer Beleuchtung.

Peters konnten nicht behaupten, daß er bei seinen Reformen selbständig und
originell gewesen sei. Nirgends hat er die in seinem Volte und Lande vor¬
handenen Stoffe und Kräfte in eigentümlich schöpferischer Weise zu lebendigen,
ihrer Natur entsprechenden sozialen oder staatlichen Gebäuden geformt, sondern
stets nnr nach den fremden Mustern gearbeitet, die ihm in die Augen fielen....
In der Ausführung, den Mitteln wäre es ein leichtes, für jede seiner einzelnen
Schöpfungen in Enropa das Urbild zu finden, und zwar in genauester Über¬
einstimmung mit dem russischen Abbilde. Die Geistlosigkeit, mit der Peter ko-
pirte, ist erstaunlich; eines der veränderlichsten Beispiele ist Petersburg ^die
Kopie Amsterdams^ mit seinen Kanälen und Sümpfen in dem trockensten Lande
Europas, mit seiner europäischen Maske, hinter der ein halb trauerndes,
halb zorniges russisches Gesicht steckte, seiner Flotte und seinem Hafen ohne rus¬
sische Seeleute und seiner Akademie der Wissenschaften in einem Lande ohne
Schulen."

Indem der Verfasser dieses Urteil begründet, sagt er über das von Peter
geschaffene Seewesen u. ni.: "Wenn man nach dem Nutzen fragt, den ihm die
Flotte in seinen Kriegen brachte, so stellt sich heraus, daß er nicht sehr er¬
heblich war. Die Beherrschung der Ostsee ist ein von Peter erhobener Anspruch,
dem zu genügen Opfer erforderlich sind, die außer Verhältnis zu dem Nutzen
stehen und von dem russischen Volke stets nur mit äußerstem Widerstreben ge¬
bracht werden würden. Gleich nach seinem Tode geriet das Seewesen in Ver¬
fall, sodnß 1734 zur Blockade von Stettin nur noch fünfzehn Schiffe in elendem
Zustande seetüchtig gemacht werden konnten, und dieser Zustand der Flotte ist
seitdem mit geringen Schwankungen bis auf unsre Zeit derselbe geblieben. Die
großen Ausgaben, welche seit Peter von Zeit zu Zeit auf sie verwendet wurden,
haben nicht einmal zuwege gebracht, daß sich eine russische Handelsmarine von
einigem Belang entwickelte. Der russische Seehandel ist nach wie vor fast ganz
in den Händen fremder Nationen, und insbesondre hat der nationale Russe
seine alte Abneigung gegen die Schifffahrt sich unveränderlich bewahrt.... Und
abgesehen von nationalen Neigungen und Gewohnheiten wäre es heute wie
damals unverständig, von einem Volke, wie das russische ist, zu erwarten, daß
es sich in ein seefahrendes verwandeln konnte. Denn es fehlen ihm alle Vor¬
bedingungen dazu. Für die äußere Stellung bedarf es keiner Kriegsflotte, das
Reich ist durchaus kontinental, es hat keine überseeischen Gebiete, noch braucht
es solche, es ist, mit Ausnahme des von Peter gegründeten Petersburg, zur
See unangreifbar.*) Der Binnenverkehr ist noch so wenig entwickelt, daß jeder
Rubel, der sich dem Außenverkehr zuwendet, eine Vergeudung bedeutet. Für
jede Art von Erwerb steht dem Russen im eignen Lande ein so ungeheures
Feld offen, daß ihn für eine weite Zukunft voraussichtlich nichts dazu bewegen



*) V D. Red. gl. damit das in dem ersten Artikel dieses Heftes gesagte.
Peter der Große in neuer Beleuchtung.

Peters konnten nicht behaupten, daß er bei seinen Reformen selbständig und
originell gewesen sei. Nirgends hat er die in seinem Volte und Lande vor¬
handenen Stoffe und Kräfte in eigentümlich schöpferischer Weise zu lebendigen,
ihrer Natur entsprechenden sozialen oder staatlichen Gebäuden geformt, sondern
stets nnr nach den fremden Mustern gearbeitet, die ihm in die Augen fielen....
In der Ausführung, den Mitteln wäre es ein leichtes, für jede seiner einzelnen
Schöpfungen in Enropa das Urbild zu finden, und zwar in genauester Über¬
einstimmung mit dem russischen Abbilde. Die Geistlosigkeit, mit der Peter ko-
pirte, ist erstaunlich; eines der veränderlichsten Beispiele ist Petersburg ^die
Kopie Amsterdams^ mit seinen Kanälen und Sümpfen in dem trockensten Lande
Europas, mit seiner europäischen Maske, hinter der ein halb trauerndes,
halb zorniges russisches Gesicht steckte, seiner Flotte und seinem Hafen ohne rus¬
sische Seeleute und seiner Akademie der Wissenschaften in einem Lande ohne
Schulen."

Indem der Verfasser dieses Urteil begründet, sagt er über das von Peter
geschaffene Seewesen u. ni.: „Wenn man nach dem Nutzen fragt, den ihm die
Flotte in seinen Kriegen brachte, so stellt sich heraus, daß er nicht sehr er¬
heblich war. Die Beherrschung der Ostsee ist ein von Peter erhobener Anspruch,
dem zu genügen Opfer erforderlich sind, die außer Verhältnis zu dem Nutzen
stehen und von dem russischen Volke stets nur mit äußerstem Widerstreben ge¬
bracht werden würden. Gleich nach seinem Tode geriet das Seewesen in Ver¬
fall, sodnß 1734 zur Blockade von Stettin nur noch fünfzehn Schiffe in elendem
Zustande seetüchtig gemacht werden konnten, und dieser Zustand der Flotte ist
seitdem mit geringen Schwankungen bis auf unsre Zeit derselbe geblieben. Die
großen Ausgaben, welche seit Peter von Zeit zu Zeit auf sie verwendet wurden,
haben nicht einmal zuwege gebracht, daß sich eine russische Handelsmarine von
einigem Belang entwickelte. Der russische Seehandel ist nach wie vor fast ganz
in den Händen fremder Nationen, und insbesondre hat der nationale Russe
seine alte Abneigung gegen die Schifffahrt sich unveränderlich bewahrt.... Und
abgesehen von nationalen Neigungen und Gewohnheiten wäre es heute wie
damals unverständig, von einem Volke, wie das russische ist, zu erwarten, daß
es sich in ein seefahrendes verwandeln konnte. Denn es fehlen ihm alle Vor¬
bedingungen dazu. Für die äußere Stellung bedarf es keiner Kriegsflotte, das
Reich ist durchaus kontinental, es hat keine überseeischen Gebiete, noch braucht
es solche, es ist, mit Ausnahme des von Peter gegründeten Petersburg, zur
See unangreifbar.*) Der Binnenverkehr ist noch so wenig entwickelt, daß jeder
Rubel, der sich dem Außenverkehr zuwendet, eine Vergeudung bedeutet. Für
jede Art von Erwerb steht dem Russen im eignen Lande ein so ungeheures
Feld offen, daß ihn für eine weite Zukunft voraussichtlich nichts dazu bewegen



*) V D. Red. gl. damit das in dem ersten Artikel dieses Heftes gesagte.
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[0636] Peter der Große in neuer Beleuchtung. Peters konnten nicht behaupten, daß er bei seinen Reformen selbständig und originell gewesen sei. Nirgends hat er die in seinem Volte und Lande vor¬ handenen Stoffe und Kräfte in eigentümlich schöpferischer Weise zu lebendigen, ihrer Natur entsprechenden sozialen oder staatlichen Gebäuden geformt, sondern stets nnr nach den fremden Mustern gearbeitet, die ihm in die Augen fielen.... In der Ausführung, den Mitteln wäre es ein leichtes, für jede seiner einzelnen Schöpfungen in Enropa das Urbild zu finden, und zwar in genauester Über¬ einstimmung mit dem russischen Abbilde. Die Geistlosigkeit, mit der Peter ko- pirte, ist erstaunlich; eines der veränderlichsten Beispiele ist Petersburg ^die Kopie Amsterdams^ mit seinen Kanälen und Sümpfen in dem trockensten Lande Europas, mit seiner europäischen Maske, hinter der ein halb trauerndes, halb zorniges russisches Gesicht steckte, seiner Flotte und seinem Hafen ohne rus¬ sische Seeleute und seiner Akademie der Wissenschaften in einem Lande ohne Schulen." Indem der Verfasser dieses Urteil begründet, sagt er über das von Peter geschaffene Seewesen u. ni.: „Wenn man nach dem Nutzen fragt, den ihm die Flotte in seinen Kriegen brachte, so stellt sich heraus, daß er nicht sehr er¬ heblich war. Die Beherrschung der Ostsee ist ein von Peter erhobener Anspruch, dem zu genügen Opfer erforderlich sind, die außer Verhältnis zu dem Nutzen stehen und von dem russischen Volke stets nur mit äußerstem Widerstreben ge¬ bracht werden würden. Gleich nach seinem Tode geriet das Seewesen in Ver¬ fall, sodnß 1734 zur Blockade von Stettin nur noch fünfzehn Schiffe in elendem Zustande seetüchtig gemacht werden konnten, und dieser Zustand der Flotte ist seitdem mit geringen Schwankungen bis auf unsre Zeit derselbe geblieben. Die großen Ausgaben, welche seit Peter von Zeit zu Zeit auf sie verwendet wurden, haben nicht einmal zuwege gebracht, daß sich eine russische Handelsmarine von einigem Belang entwickelte. Der russische Seehandel ist nach wie vor fast ganz in den Händen fremder Nationen, und insbesondre hat der nationale Russe seine alte Abneigung gegen die Schifffahrt sich unveränderlich bewahrt.... Und abgesehen von nationalen Neigungen und Gewohnheiten wäre es heute wie damals unverständig, von einem Volke, wie das russische ist, zu erwarten, daß es sich in ein seefahrendes verwandeln konnte. Denn es fehlen ihm alle Vor¬ bedingungen dazu. Für die äußere Stellung bedarf es keiner Kriegsflotte, das Reich ist durchaus kontinental, es hat keine überseeischen Gebiete, noch braucht es solche, es ist, mit Ausnahme des von Peter gegründeten Petersburg, zur See unangreifbar.*) Der Binnenverkehr ist noch so wenig entwickelt, daß jeder Rubel, der sich dem Außenverkehr zuwendet, eine Vergeudung bedeutet. Für jede Art von Erwerb steht dem Russen im eignen Lande ein so ungeheures Feld offen, daß ihn für eine weite Zukunft voraussichtlich nichts dazu bewegen *) V D. Red. gl. damit das in dem ersten Artikel dieses Heftes gesagte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/636>, abgerufen am 23.07.2024.