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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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ziehende man auf alle künstlichen Hilfsmittel, wie Pomaden, zierlichen Locken¬
fall und dergleichen. Der Porträttypus des Perikles oder des Sophokles zeigt
uns das schönste Beispiel einfacher und dabei edel großartiger Barttracht, wäh¬
rend der Jdealkopf des Zeus von Otrieoli mit seinem künstlich geteilten Kinn¬
bart trotz aller Großartigkeit der Behandlung doch bereits wieder von der klas¬
sischen Einfachheit der Epoche des Phidias sich entfernt.

Seit Alexander dem Großen und seinen Nachfolgern kommt bekanntlich das
Rasiren des ganzen Gesichtes auf. Die Porträtbildungen lehren uns, daß na¬
mentlich bei älteren Männern, welche früher allgemein den Bart stehen zu lassen
Pflegten, es jetzt fast ausnahmslose Regel ist, sich den ganzen Bart abzunehmen;
Aristoteles, Menander, Posidipp u. ni. zeigen glattrasirte Gesichter. Jünglinge
und Männer im besten Alter freilich lassen auch in der Diadochenzeit den Bart
stehen; ältere Männer und Greise aber nur, wenn sie durch einen möglichst
langen und struppigen Bart sich als Anhänger der lyrischen Sekte bezeichnen
wollten, denn der lange Bart blieb noch bis weit in die Kaiserzeit hinein das
Kennzeichen des Philosophen.

Kürzer können wir uns fassen hinsichtlich der Haartracht der Frauen. In
welcher Weise in der homerischen Zeit das mit wohlriechenden Ölen und Po¬
maden, wovon ja die heroische Zeit einen so reichlichen Gebrauch machte, be¬
handelte Frauenhaar aufgebunden und angeordnet wurde, wissen wir nicht.
Als Kopftracht wird namentlich eine Haube hervorgehoben und eine irgendwie
damit in Verbindung stehende geflochtene oder gedrehte Binde erwähnt; Helbig
(a. a. O., S. 157 ff.) glaubt die gleiche Tracht in der Kopfbedeckung von Frauen
in altetruskischer Grabgemälden wiederzufinden, bei der man eine hohe, trichter¬
artige Haube und eine darüber gelegte Zeugbinde unterscheidet. Mag er nun
damit Recht haben oder nicht, auf jeden Fall ist die ganze Haarcmorduung,
wie sie uns Homer bei der Andromache beschreibt, durchaus orientalisch. Für
die Folgezeit sind in Ermanglung einschlägiger Schriftquellen wiederum die
Denkmäler unsre besten Führer. Sie zeigen uns, daß, wenn man absieht von
Kopfputz und Schmuck, die Haartracht der Männer wie die der Frauen in
der ältern Zeit wesentlich die gleiche war. Wir finden das lange, entweder
frei aufgelöste oder in einzelnen Flechten auf den Rücken herabfallende Haar
mit auf die Schultern fallenden Locken und den die Stirn umrahmenden kleinen
Löckchen; wir finden den im Nacken aufgebundenen Schöpf, ferner die oben
besprochene Tracht des bandartig gelegten und mehrfach zusammengebundenen
Haares (z. B. an dem Relief der wagenbesteigenden Frau und am Harpyien-
denkmal von Xanthos); wir treffen auch jenes Arrangement der mehrfach um
den Kopf gelegten Doppclzöpfe, in welchem Schreiber den Krobylos erkennen
will. Letztere Tracht findet sich sogar noch an den lieblichen Karyatiden des
Erechtheivns, doch vielleicht nur als Reminiscenz alten Brauches, da ein Fest¬
halten am Altertümlichen gerade bei diesen, hier gleichsam im Dienste der Göttin


ziehende man auf alle künstlichen Hilfsmittel, wie Pomaden, zierlichen Locken¬
fall und dergleichen. Der Porträttypus des Perikles oder des Sophokles zeigt
uns das schönste Beispiel einfacher und dabei edel großartiger Barttracht, wäh¬
rend der Jdealkopf des Zeus von Otrieoli mit seinem künstlich geteilten Kinn¬
bart trotz aller Großartigkeit der Behandlung doch bereits wieder von der klas¬
sischen Einfachheit der Epoche des Phidias sich entfernt.

Seit Alexander dem Großen und seinen Nachfolgern kommt bekanntlich das
Rasiren des ganzen Gesichtes auf. Die Porträtbildungen lehren uns, daß na¬
mentlich bei älteren Männern, welche früher allgemein den Bart stehen zu lassen
Pflegten, es jetzt fast ausnahmslose Regel ist, sich den ganzen Bart abzunehmen;
Aristoteles, Menander, Posidipp u. ni. zeigen glattrasirte Gesichter. Jünglinge
und Männer im besten Alter freilich lassen auch in der Diadochenzeit den Bart
stehen; ältere Männer und Greise aber nur, wenn sie durch einen möglichst
langen und struppigen Bart sich als Anhänger der lyrischen Sekte bezeichnen
wollten, denn der lange Bart blieb noch bis weit in die Kaiserzeit hinein das
Kennzeichen des Philosophen.

Kürzer können wir uns fassen hinsichtlich der Haartracht der Frauen. In
welcher Weise in der homerischen Zeit das mit wohlriechenden Ölen und Po¬
maden, wovon ja die heroische Zeit einen so reichlichen Gebrauch machte, be¬
handelte Frauenhaar aufgebunden und angeordnet wurde, wissen wir nicht.
Als Kopftracht wird namentlich eine Haube hervorgehoben und eine irgendwie
damit in Verbindung stehende geflochtene oder gedrehte Binde erwähnt; Helbig
(a. a. O., S. 157 ff.) glaubt die gleiche Tracht in der Kopfbedeckung von Frauen
in altetruskischer Grabgemälden wiederzufinden, bei der man eine hohe, trichter¬
artige Haube und eine darüber gelegte Zeugbinde unterscheidet. Mag er nun
damit Recht haben oder nicht, auf jeden Fall ist die ganze Haarcmorduung,
wie sie uns Homer bei der Andromache beschreibt, durchaus orientalisch. Für
die Folgezeit sind in Ermanglung einschlägiger Schriftquellen wiederum die
Denkmäler unsre besten Führer. Sie zeigen uns, daß, wenn man absieht von
Kopfputz und Schmuck, die Haartracht der Männer wie die der Frauen in
der ältern Zeit wesentlich die gleiche war. Wir finden das lange, entweder
frei aufgelöste oder in einzelnen Flechten auf den Rücken herabfallende Haar
mit auf die Schultern fallenden Locken und den die Stirn umrahmenden kleinen
Löckchen; wir finden den im Nacken aufgebundenen Schöpf, ferner die oben
besprochene Tracht des bandartig gelegten und mehrfach zusammengebundenen
Haares (z. B. an dem Relief der wagenbesteigenden Frau und am Harpyien-
denkmal von Xanthos); wir treffen auch jenes Arrangement der mehrfach um
den Kopf gelegten Doppclzöpfe, in welchem Schreiber den Krobylos erkennen
will. Letztere Tracht findet sich sogar noch an den lieblichen Karyatiden des
Erechtheivns, doch vielleicht nur als Reminiscenz alten Brauches, da ein Fest¬
halten am Altertümlichen gerade bei diesen, hier gleichsam im Dienste der Göttin


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[0481] ziehende man auf alle künstlichen Hilfsmittel, wie Pomaden, zierlichen Locken¬ fall und dergleichen. Der Porträttypus des Perikles oder des Sophokles zeigt uns das schönste Beispiel einfacher und dabei edel großartiger Barttracht, wäh¬ rend der Jdealkopf des Zeus von Otrieoli mit seinem künstlich geteilten Kinn¬ bart trotz aller Großartigkeit der Behandlung doch bereits wieder von der klas¬ sischen Einfachheit der Epoche des Phidias sich entfernt. Seit Alexander dem Großen und seinen Nachfolgern kommt bekanntlich das Rasiren des ganzen Gesichtes auf. Die Porträtbildungen lehren uns, daß na¬ mentlich bei älteren Männern, welche früher allgemein den Bart stehen zu lassen Pflegten, es jetzt fast ausnahmslose Regel ist, sich den ganzen Bart abzunehmen; Aristoteles, Menander, Posidipp u. ni. zeigen glattrasirte Gesichter. Jünglinge und Männer im besten Alter freilich lassen auch in der Diadochenzeit den Bart stehen; ältere Männer und Greise aber nur, wenn sie durch einen möglichst langen und struppigen Bart sich als Anhänger der lyrischen Sekte bezeichnen wollten, denn der lange Bart blieb noch bis weit in die Kaiserzeit hinein das Kennzeichen des Philosophen. Kürzer können wir uns fassen hinsichtlich der Haartracht der Frauen. In welcher Weise in der homerischen Zeit das mit wohlriechenden Ölen und Po¬ maden, wovon ja die heroische Zeit einen so reichlichen Gebrauch machte, be¬ handelte Frauenhaar aufgebunden und angeordnet wurde, wissen wir nicht. Als Kopftracht wird namentlich eine Haube hervorgehoben und eine irgendwie damit in Verbindung stehende geflochtene oder gedrehte Binde erwähnt; Helbig (a. a. O., S. 157 ff.) glaubt die gleiche Tracht in der Kopfbedeckung von Frauen in altetruskischer Grabgemälden wiederzufinden, bei der man eine hohe, trichter¬ artige Haube und eine darüber gelegte Zeugbinde unterscheidet. Mag er nun damit Recht haben oder nicht, auf jeden Fall ist die ganze Haarcmorduung, wie sie uns Homer bei der Andromache beschreibt, durchaus orientalisch. Für die Folgezeit sind in Ermanglung einschlägiger Schriftquellen wiederum die Denkmäler unsre besten Führer. Sie zeigen uns, daß, wenn man absieht von Kopfputz und Schmuck, die Haartracht der Männer wie die der Frauen in der ältern Zeit wesentlich die gleiche war. Wir finden das lange, entweder frei aufgelöste oder in einzelnen Flechten auf den Rücken herabfallende Haar mit auf die Schultern fallenden Locken und den die Stirn umrahmenden kleinen Löckchen; wir finden den im Nacken aufgebundenen Schöpf, ferner die oben besprochene Tracht des bandartig gelegten und mehrfach zusammengebundenen Haares (z. B. an dem Relief der wagenbesteigenden Frau und am Harpyien- denkmal von Xanthos); wir treffen auch jenes Arrangement der mehrfach um den Kopf gelegten Doppclzöpfe, in welchem Schreiber den Krobylos erkennen will. Letztere Tracht findet sich sogar noch an den lieblichen Karyatiden des Erechtheivns, doch vielleicht nur als Reminiscenz alten Brauches, da ein Fest¬ halten am Altertümlichen gerade bei diesen, hier gleichsam im Dienste der Göttin

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/481>, abgerufen am 22.07.2024.