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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Der frische Hauch der Morgens durchfröstelte den noch vom Schlummer
Erhitzten. Er trat vom offenen Fenster zurück, machte einige Gänge durchs
Zimmer und blieb endlich vor einem breiten Holzschnitt, der über zwei Wand¬
kalendern hing, stehen, ohne etwas dabei zu denken. Erst als er nach aber¬
maligem Hin- und Hergehen wieder an der nämlichen Stelle still stand, kam
ihm der Gedanke, sich die Kalender etwas genauer anzusehen, um nach dem
Namen des den heutigen Tag beherrschenden Heiligen einen Schluß auf die
günstigen oder ungünstigen Aspekte seines eben in der Vorbereitung begriffenen
Abenteuers zu ziehen. Er kam indessen nicht darüber ins Klare, denn die
Kalender stimmten keineswegs überein. Auf dem einen gehörte der heutige Tag
der heiligen Katharina, auf dem andern dem heiligen Theobald. Über jenem
Kalender befand sich das Hvlzschnittpvrträt eines römischen, mit dem Lvrber
gekrönten Imperators, über diesem dasjenige eines Papstes, beide, wenn mich
mit dem Rücken gegen einander gekehrt, friedlich in einem gemeinsamen Holz¬
rahmen untergebracht, ebenso friedlich und verträglich wie im gemeinsamen Gold-
papierrahmeu unter ihnen die beiden ungleich lautenden Kalender hingen.

Giuseppe Gonzaga hatte immer den Sitz im Sattel dem uns der Schul¬
bank vorgezogen. Er machte Verse, aber seine Schrift war schwer zu entziffern.
Er las nicht ohne Mühe und wußte aus den: Gelesenen nicht allzurasch klug
zu werden. Vom heiligen Theobald und von dem Schutzgebiet desselben war
ihm nie etwas zu Ohren gekommen, und was er von den armen Schluckern
gesehen hatte, die vor der heiligen Katharina ihre Andacht verrichteten, paßte
ihm auch uicht sonderlich; Kavaliere waren nicht darunter gewesen.

Zur rechten Zeit meldete sich Beppo als wieder völlig im Besitz seiner
körperlichen und geistigen Funktionen. Er war wenig älter als sein Herr, hatte
aber, wanderlustig wie die meisten Paducmer, viel von der Welt gesehen, war
ebenso gewitzt als verschmitzt und nie um eine Auskunft verlegen.

Im vorliegenden Falle brauchte er seinen Kopf nicht gerade anzustrengen,
denn er war ehemals Lakai bei einen: Kardinal gewesen und hatte solche aus
Nürnberg und auch aus Augsburg stammende Kalender -- den julianischen
und deu gregorianischen -- nicht selten zu sehen bekommen, wußte auch zu be¬
richten, daß die sogenannten Evangelischen noch immer nach dem julianischen
rechneten, weshalb die Kalendermacher in Ländern beider Konfessionen beide
Zeitrechnungen neben einander stellten.

Soweit, meinte sein Herr, würde er selbst wohl auch noch das Nichtige
herausgeklügelt haben. Wie stehe es aber mit den Heiligen?

Bei den Evangelischen, replizirte Beppo, habe die heilige Katharina hente
das Patronat.

Und bei uns Rechtgläubigen?

Se. Theobald.

Der Schutzpatron von welcher Art von Subjekten?


Der frische Hauch der Morgens durchfröstelte den noch vom Schlummer
Erhitzten. Er trat vom offenen Fenster zurück, machte einige Gänge durchs
Zimmer und blieb endlich vor einem breiten Holzschnitt, der über zwei Wand¬
kalendern hing, stehen, ohne etwas dabei zu denken. Erst als er nach aber¬
maligem Hin- und Hergehen wieder an der nämlichen Stelle still stand, kam
ihm der Gedanke, sich die Kalender etwas genauer anzusehen, um nach dem
Namen des den heutigen Tag beherrschenden Heiligen einen Schluß auf die
günstigen oder ungünstigen Aspekte seines eben in der Vorbereitung begriffenen
Abenteuers zu ziehen. Er kam indessen nicht darüber ins Klare, denn die
Kalender stimmten keineswegs überein. Auf dem einen gehörte der heutige Tag
der heiligen Katharina, auf dem andern dem heiligen Theobald. Über jenem
Kalender befand sich das Hvlzschnittpvrträt eines römischen, mit dem Lvrber
gekrönten Imperators, über diesem dasjenige eines Papstes, beide, wenn mich
mit dem Rücken gegen einander gekehrt, friedlich in einem gemeinsamen Holz¬
rahmen untergebracht, ebenso friedlich und verträglich wie im gemeinsamen Gold-
papierrahmeu unter ihnen die beiden ungleich lautenden Kalender hingen.

Giuseppe Gonzaga hatte immer den Sitz im Sattel dem uns der Schul¬
bank vorgezogen. Er machte Verse, aber seine Schrift war schwer zu entziffern.
Er las nicht ohne Mühe und wußte aus den: Gelesenen nicht allzurasch klug
zu werden. Vom heiligen Theobald und von dem Schutzgebiet desselben war
ihm nie etwas zu Ohren gekommen, und was er von den armen Schluckern
gesehen hatte, die vor der heiligen Katharina ihre Andacht verrichteten, paßte
ihm auch uicht sonderlich; Kavaliere waren nicht darunter gewesen.

Zur rechten Zeit meldete sich Beppo als wieder völlig im Besitz seiner
körperlichen und geistigen Funktionen. Er war wenig älter als sein Herr, hatte
aber, wanderlustig wie die meisten Paducmer, viel von der Welt gesehen, war
ebenso gewitzt als verschmitzt und nie um eine Auskunft verlegen.

Im vorliegenden Falle brauchte er seinen Kopf nicht gerade anzustrengen,
denn er war ehemals Lakai bei einen: Kardinal gewesen und hatte solche aus
Nürnberg und auch aus Augsburg stammende Kalender — den julianischen
und deu gregorianischen — nicht selten zu sehen bekommen, wußte auch zu be¬
richten, daß die sogenannten Evangelischen noch immer nach dem julianischen
rechneten, weshalb die Kalendermacher in Ländern beider Konfessionen beide
Zeitrechnungen neben einander stellten.

Soweit, meinte sein Herr, würde er selbst wohl auch noch das Nichtige
herausgeklügelt haben. Wie stehe es aber mit den Heiligen?

Bei den Evangelischen, replizirte Beppo, habe die heilige Katharina hente
das Patronat.

Und bei uns Rechtgläubigen?

Se. Theobald.

Der Schutzpatron von welcher Art von Subjekten?


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[0442] Der frische Hauch der Morgens durchfröstelte den noch vom Schlummer Erhitzten. Er trat vom offenen Fenster zurück, machte einige Gänge durchs Zimmer und blieb endlich vor einem breiten Holzschnitt, der über zwei Wand¬ kalendern hing, stehen, ohne etwas dabei zu denken. Erst als er nach aber¬ maligem Hin- und Hergehen wieder an der nämlichen Stelle still stand, kam ihm der Gedanke, sich die Kalender etwas genauer anzusehen, um nach dem Namen des den heutigen Tag beherrschenden Heiligen einen Schluß auf die günstigen oder ungünstigen Aspekte seines eben in der Vorbereitung begriffenen Abenteuers zu ziehen. Er kam indessen nicht darüber ins Klare, denn die Kalender stimmten keineswegs überein. Auf dem einen gehörte der heutige Tag der heiligen Katharina, auf dem andern dem heiligen Theobald. Über jenem Kalender befand sich das Hvlzschnittpvrträt eines römischen, mit dem Lvrber gekrönten Imperators, über diesem dasjenige eines Papstes, beide, wenn mich mit dem Rücken gegen einander gekehrt, friedlich in einem gemeinsamen Holz¬ rahmen untergebracht, ebenso friedlich und verträglich wie im gemeinsamen Gold- papierrahmeu unter ihnen die beiden ungleich lautenden Kalender hingen. Giuseppe Gonzaga hatte immer den Sitz im Sattel dem uns der Schul¬ bank vorgezogen. Er machte Verse, aber seine Schrift war schwer zu entziffern. Er las nicht ohne Mühe und wußte aus den: Gelesenen nicht allzurasch klug zu werden. Vom heiligen Theobald und von dem Schutzgebiet desselben war ihm nie etwas zu Ohren gekommen, und was er von den armen Schluckern gesehen hatte, die vor der heiligen Katharina ihre Andacht verrichteten, paßte ihm auch uicht sonderlich; Kavaliere waren nicht darunter gewesen. Zur rechten Zeit meldete sich Beppo als wieder völlig im Besitz seiner körperlichen und geistigen Funktionen. Er war wenig älter als sein Herr, hatte aber, wanderlustig wie die meisten Paducmer, viel von der Welt gesehen, war ebenso gewitzt als verschmitzt und nie um eine Auskunft verlegen. Im vorliegenden Falle brauchte er seinen Kopf nicht gerade anzustrengen, denn er war ehemals Lakai bei einen: Kardinal gewesen und hatte solche aus Nürnberg und auch aus Augsburg stammende Kalender — den julianischen und deu gregorianischen — nicht selten zu sehen bekommen, wußte auch zu be¬ richten, daß die sogenannten Evangelischen noch immer nach dem julianischen rechneten, weshalb die Kalendermacher in Ländern beider Konfessionen beide Zeitrechnungen neben einander stellten. Soweit, meinte sein Herr, würde er selbst wohl auch noch das Nichtige herausgeklügelt haben. Wie stehe es aber mit den Heiligen? Bei den Evangelischen, replizirte Beppo, habe die heilige Katharina hente das Patronat. Und bei uns Rechtgläubigen? Se. Theobald. Der Schutzpatron von welcher Art von Subjekten?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/442>, abgerufen am 22.07.2024.