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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Stunden Zuredens bei einigen Fiaschctteu läutern Valpolieella-Weins ins Wanken
zu bringen.

Gelungen war es ihm nicht, und so wollte er sich ebeu unmutig uach Aus¬
löschen seines Lichtes aufs Lager werfen, als sein Auge plötzlich in der Richtung
zweier tagheller Fenster festgehalten wurde, die denen seines Zimmers gerade
gegenüberlagen, also in den: altmodischen Albergo della Seal". Die Helligkeit
war so groß, daß er ohne Mühe eine bei ihrer Nachttoilette beschäftigte, von
einer robusten, rosigen Kammerjungfer oder Kammerfrau bediente anmutige junge
Dame in allen ihren Bewegungen und, wenn sie ihr Gesicht nach der Fenster¬
seite wandte, auch in allen Einzelheiten ihrer reizvollen Erscheinung deutlich
übersehen konnte, was mit gespannten Blicken zu thun er denn auch nicht unter¬
ließ. Sie saß in einem weißen, mit schwarzen Schleifen besetzten Nachtkleide vor
zwei stumpfwinklig nebeneinander stehenden Spiegeln, und uuter dem Kamme
ihrer Cameriera flutete über die Schultern der jungen Schönen eine so reiche
Fülle goldblonden Haares, wie Giuseppe, obschon auch auf dem Gebiete weib¬
licher Schönheit kein Neuling, nie im Leben gesehen zu haben glaubte. Ob ihre
Augen blau oder braun waren, vermochte er nicht zu erkennen; waren sie braun,
so hatten sie ein sanfteres Feuer, als er ebenfalls je an braunen Augen wahr¬
genommen zu haben meinte. Nur wenn sie Einwände gegen die zu große
Helligkeit des Zimmers zu erheben schien, oder wenn eine ihrer Hände nach den
Fenstern deutete, als sei ihr die Abwesenheit jeder Art von Vorhängen störend,
nur dann nahm ihre Miene unter dein Zusammenziehen ihrer feinen dunkeln
Brauen etwas Gebieterisches an, was aber im nächsten Angenblicke vorüberging,
da die Cameriera augenscheinlich mit ihrer redseligen Zungen- und Gebärden¬
sprache allemal den Beweis zu führen vermochte, mindere Helligkeit sei für
Personen von Stande doch nnn einmal nicht schicklich -- solche Personen reisten
damals immer mit eignen Kerzen --, und da in dem gegenüberliegenden Gast¬
hofe schon alles stockfinster sei, so bedürfe man doch auch wahrlich keiner
Vorhänge.

Ungefähr hatte Giuseppe Gouzciga das Nichtige erraten, doch war es ihm
im Grunde weit gleichgiltiger, was über solche Dinge zwischen der schönen
jungen Dame und ihrer Duena geredet wurde, als ihn das Auskuudschafteu
ihres Namens und ihrer Herkunft interessirten; mehr als das aber noch be¬
schäftigte ihn, während er jede ihrer Bewegungen mit immer heftiger klopfendem
Herzen verfolgte, die Frage, wie er Mittel und Wege ausfindig machen solle,
um sich ihr morgen zu nähern; denn schon hatte er sich den vierten Grau-
schimmel und die Veja-Naturbrücke aus dem Sinn geschlagen und dachte nur
noch an die Reize der namenlosen Schönen.

Während er im Schutze der Dunkelheit seines Zimmers immer mit den
Augen die liebliche Szene in dem tagheller Gemache jenseits der Straße um¬
kreiste -- ein Nachtfalter, den der Schimmer der Kerze in ihren Bann gezogen


Stunden Zuredens bei einigen Fiaschctteu läutern Valpolieella-Weins ins Wanken
zu bringen.

Gelungen war es ihm nicht, und so wollte er sich ebeu unmutig uach Aus¬
löschen seines Lichtes aufs Lager werfen, als sein Auge plötzlich in der Richtung
zweier tagheller Fenster festgehalten wurde, die denen seines Zimmers gerade
gegenüberlagen, also in den: altmodischen Albergo della Seal«. Die Helligkeit
war so groß, daß er ohne Mühe eine bei ihrer Nachttoilette beschäftigte, von
einer robusten, rosigen Kammerjungfer oder Kammerfrau bediente anmutige junge
Dame in allen ihren Bewegungen und, wenn sie ihr Gesicht nach der Fenster¬
seite wandte, auch in allen Einzelheiten ihrer reizvollen Erscheinung deutlich
übersehen konnte, was mit gespannten Blicken zu thun er denn auch nicht unter¬
ließ. Sie saß in einem weißen, mit schwarzen Schleifen besetzten Nachtkleide vor
zwei stumpfwinklig nebeneinander stehenden Spiegeln, und uuter dem Kamme
ihrer Cameriera flutete über die Schultern der jungen Schönen eine so reiche
Fülle goldblonden Haares, wie Giuseppe, obschon auch auf dem Gebiete weib¬
licher Schönheit kein Neuling, nie im Leben gesehen zu haben glaubte. Ob ihre
Augen blau oder braun waren, vermochte er nicht zu erkennen; waren sie braun,
so hatten sie ein sanfteres Feuer, als er ebenfalls je an braunen Augen wahr¬
genommen zu haben meinte. Nur wenn sie Einwände gegen die zu große
Helligkeit des Zimmers zu erheben schien, oder wenn eine ihrer Hände nach den
Fenstern deutete, als sei ihr die Abwesenheit jeder Art von Vorhängen störend,
nur dann nahm ihre Miene unter dein Zusammenziehen ihrer feinen dunkeln
Brauen etwas Gebieterisches an, was aber im nächsten Angenblicke vorüberging,
da die Cameriera augenscheinlich mit ihrer redseligen Zungen- und Gebärden¬
sprache allemal den Beweis zu führen vermochte, mindere Helligkeit sei für
Personen von Stande doch nnn einmal nicht schicklich — solche Personen reisten
damals immer mit eignen Kerzen —, und da in dem gegenüberliegenden Gast¬
hofe schon alles stockfinster sei, so bedürfe man doch auch wahrlich keiner
Vorhänge.

Ungefähr hatte Giuseppe Gouzciga das Nichtige erraten, doch war es ihm
im Grunde weit gleichgiltiger, was über solche Dinge zwischen der schönen
jungen Dame und ihrer Duena geredet wurde, als ihn das Auskuudschafteu
ihres Namens und ihrer Herkunft interessirten; mehr als das aber noch be¬
schäftigte ihn, während er jede ihrer Bewegungen mit immer heftiger klopfendem
Herzen verfolgte, die Frage, wie er Mittel und Wege ausfindig machen solle,
um sich ihr morgen zu nähern; denn schon hatte er sich den vierten Grau-
schimmel und die Veja-Naturbrücke aus dem Sinn geschlagen und dachte nur
noch an die Reize der namenlosen Schönen.

Während er im Schutze der Dunkelheit seines Zimmers immer mit den
Augen die liebliche Szene in dem tagheller Gemache jenseits der Straße um¬
kreiste — ein Nachtfalter, den der Schimmer der Kerze in ihren Bann gezogen


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[0440] Stunden Zuredens bei einigen Fiaschctteu läutern Valpolieella-Weins ins Wanken zu bringen. Gelungen war es ihm nicht, und so wollte er sich ebeu unmutig uach Aus¬ löschen seines Lichtes aufs Lager werfen, als sein Auge plötzlich in der Richtung zweier tagheller Fenster festgehalten wurde, die denen seines Zimmers gerade gegenüberlagen, also in den: altmodischen Albergo della Seal«. Die Helligkeit war so groß, daß er ohne Mühe eine bei ihrer Nachttoilette beschäftigte, von einer robusten, rosigen Kammerjungfer oder Kammerfrau bediente anmutige junge Dame in allen ihren Bewegungen und, wenn sie ihr Gesicht nach der Fenster¬ seite wandte, auch in allen Einzelheiten ihrer reizvollen Erscheinung deutlich übersehen konnte, was mit gespannten Blicken zu thun er denn auch nicht unter¬ ließ. Sie saß in einem weißen, mit schwarzen Schleifen besetzten Nachtkleide vor zwei stumpfwinklig nebeneinander stehenden Spiegeln, und uuter dem Kamme ihrer Cameriera flutete über die Schultern der jungen Schönen eine so reiche Fülle goldblonden Haares, wie Giuseppe, obschon auch auf dem Gebiete weib¬ licher Schönheit kein Neuling, nie im Leben gesehen zu haben glaubte. Ob ihre Augen blau oder braun waren, vermochte er nicht zu erkennen; waren sie braun, so hatten sie ein sanfteres Feuer, als er ebenfalls je an braunen Augen wahr¬ genommen zu haben meinte. Nur wenn sie Einwände gegen die zu große Helligkeit des Zimmers zu erheben schien, oder wenn eine ihrer Hände nach den Fenstern deutete, als sei ihr die Abwesenheit jeder Art von Vorhängen störend, nur dann nahm ihre Miene unter dein Zusammenziehen ihrer feinen dunkeln Brauen etwas Gebieterisches an, was aber im nächsten Angenblicke vorüberging, da die Cameriera augenscheinlich mit ihrer redseligen Zungen- und Gebärden¬ sprache allemal den Beweis zu führen vermochte, mindere Helligkeit sei für Personen von Stande doch nnn einmal nicht schicklich — solche Personen reisten damals immer mit eignen Kerzen —, und da in dem gegenüberliegenden Gast¬ hofe schon alles stockfinster sei, so bedürfe man doch auch wahrlich keiner Vorhänge. Ungefähr hatte Giuseppe Gouzciga das Nichtige erraten, doch war es ihm im Grunde weit gleichgiltiger, was über solche Dinge zwischen der schönen jungen Dame und ihrer Duena geredet wurde, als ihn das Auskuudschafteu ihres Namens und ihrer Herkunft interessirten; mehr als das aber noch be¬ schäftigte ihn, während er jede ihrer Bewegungen mit immer heftiger klopfendem Herzen verfolgte, die Frage, wie er Mittel und Wege ausfindig machen solle, um sich ihr morgen zu nähern; denn schon hatte er sich den vierten Grau- schimmel und die Veja-Naturbrücke aus dem Sinn geschlagen und dachte nur noch an die Reize der namenlosen Schönen. Während er im Schutze der Dunkelheit seines Zimmers immer mit den Augen die liebliche Szene in dem tagheller Gemache jenseits der Straße um¬ kreiste — ein Nachtfalter, den der Schimmer der Kerze in ihren Bann gezogen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/440>, abgerufen am 22.07.2024.