Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

hergestellt, sodaß also Unter- lind Obergewand nicht gesondert angelegt wurden.
Ärmel sind meistens vorhanden; dieselben haben auch in der Regel eine ganz
charakteristische Form: nämlich am untern Ende, unterhalb des Ellenbogens,
erweitern sie sich glockenförmig, während das Armloch ziemlich eng bleibt.

Daß diese Tracht ionisch war, dafür tonnen wir vielleicht darin einen
Beleg scheu, daß am Harpyien-Denkmal von Xanthos uns ganz die gleiche
Ärmelform begegnet, wie wir sie eben beschrieben und wie wir sie auch auf
attischen Denkmäler" aus der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts häufig
genug finden; doch fehlt dort der für attische Tracht so charakteristische untere
Bausch. Zieht man namentlich Grabreliefs wie das albanische sogenannte
Leukvthea-Relief und das in Athen befindliche Bruchstück eines ähnlichen Reliefs
zur Vergleichung heran, so wird man mit Rücksicht auf die oben angeführte
Hcrodvtstclle zu der Ansicht kommen, daß der Gegensatz zur früheren Tracht in
der That vornehmlich, abgesehen vom Stoff, darin bestand, daß bei dieser Tracht
Nadeln gewöhnlich nicht zur Verwendung kamen, sondern daß das ganze
Kleid durch Näharbeit so hergestellt war, daß man deu Verschluß auf den
Schultern und an deu Ärmeln, wenn letztere nicht ringsum geschlossen waren,
durch Knöpfchen bewirken konnte. Aber dieser der Nadeln entbehrende Chiton,
dem wir demnach die Bezeichnung "ionisch" zu geben berechtigt sind, hat sich,
wenn er überhaupt jemals in alleiniger Anwendung war, jedenfalls nicht lange
als alleinige Tracht erhalten; denn noch in altertümlichen Kunstwerken begegnen
wir bereits wieder einer andern Tracht, welche in wesentlichen Punkten von der
eben beschriebenen abweicht und offenbar auch vou Nadeln eine ziemlich reich¬
liche Anwendung macht. Zunächst freilich finden wir eine Kleidermode, welche
der Nadeln in den meisten Fällen noch entbehrt.

Bei weiterem Fortschritt der Mode nämlich -- und damit treten wir in
eine Periode ein, welche namentlich durch die altertümlichen rotfignrigcn Vasen-
bilder eines Brygos, Dnris, Euphronios, Hiero u. f. w. (Vasenmaler aus der
ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts) bezeichnet wird -- wird es Brauch,
Chitone vou solcher Lauge anzulegen, daß man ein sehr beträchtliches Stück
über den Gürtel herausziehe" und in weitem, rings um den ganzen Körper
gehenden Bausch tief über die Hüften bis in die Gegend der Kniee fallen lassen
kann. Indem mit diesem untern Bausch noch ein Brusttuch, welches nur bis
wenig unter den Busen hinabreicht, verbunden wird, erhalten wir vornehmlich
folgende Formen: 1. Als Untergewand ein Chiton, welchen man sich ans den
Schultern in nicht sichtbarer Weise befestigt zu denken hat; derselbe ist gegürtet,
der überschüssige Teil aber in der bezeichneten Weise als kreisrunder Bausch
über den Gürtel Herabgclassen, sodaß letzterer nicht sichtbar ist; darüber wird
ein mit Ärmeln versehenes oder auch ein ärmelloses und dann häufig der mo¬
dernen sogenannten Pelerine ähnliches Brusttuch gelegt, welches mehr gerad¬
linig unterhalb der Brust und in entsprechender Höhe auf dem Rücken abschließt,


hergestellt, sodaß also Unter- lind Obergewand nicht gesondert angelegt wurden.
Ärmel sind meistens vorhanden; dieselben haben auch in der Regel eine ganz
charakteristische Form: nämlich am untern Ende, unterhalb des Ellenbogens,
erweitern sie sich glockenförmig, während das Armloch ziemlich eng bleibt.

Daß diese Tracht ionisch war, dafür tonnen wir vielleicht darin einen
Beleg scheu, daß am Harpyien-Denkmal von Xanthos uns ganz die gleiche
Ärmelform begegnet, wie wir sie eben beschrieben und wie wir sie auch auf
attischen Denkmäler» aus der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts häufig
genug finden; doch fehlt dort der für attische Tracht so charakteristische untere
Bausch. Zieht man namentlich Grabreliefs wie das albanische sogenannte
Leukvthea-Relief und das in Athen befindliche Bruchstück eines ähnlichen Reliefs
zur Vergleichung heran, so wird man mit Rücksicht auf die oben angeführte
Hcrodvtstclle zu der Ansicht kommen, daß der Gegensatz zur früheren Tracht in
der That vornehmlich, abgesehen vom Stoff, darin bestand, daß bei dieser Tracht
Nadeln gewöhnlich nicht zur Verwendung kamen, sondern daß das ganze
Kleid durch Näharbeit so hergestellt war, daß man deu Verschluß auf den
Schultern und an deu Ärmeln, wenn letztere nicht ringsum geschlossen waren,
durch Knöpfchen bewirken konnte. Aber dieser der Nadeln entbehrende Chiton,
dem wir demnach die Bezeichnung „ionisch" zu geben berechtigt sind, hat sich,
wenn er überhaupt jemals in alleiniger Anwendung war, jedenfalls nicht lange
als alleinige Tracht erhalten; denn noch in altertümlichen Kunstwerken begegnen
wir bereits wieder einer andern Tracht, welche in wesentlichen Punkten von der
eben beschriebenen abweicht und offenbar auch vou Nadeln eine ziemlich reich¬
liche Anwendung macht. Zunächst freilich finden wir eine Kleidermode, welche
der Nadeln in den meisten Fällen noch entbehrt.

Bei weiterem Fortschritt der Mode nämlich — und damit treten wir in
eine Periode ein, welche namentlich durch die altertümlichen rotfignrigcn Vasen-
bilder eines Brygos, Dnris, Euphronios, Hiero u. f. w. (Vasenmaler aus der
ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts) bezeichnet wird — wird es Brauch,
Chitone vou solcher Lauge anzulegen, daß man ein sehr beträchtliches Stück
über den Gürtel herausziehe» und in weitem, rings um den ganzen Körper
gehenden Bausch tief über die Hüften bis in die Gegend der Kniee fallen lassen
kann. Indem mit diesem untern Bausch noch ein Brusttuch, welches nur bis
wenig unter den Busen hinabreicht, verbunden wird, erhalten wir vornehmlich
folgende Formen: 1. Als Untergewand ein Chiton, welchen man sich ans den
Schultern in nicht sichtbarer Weise befestigt zu denken hat; derselbe ist gegürtet,
der überschüssige Teil aber in der bezeichneten Weise als kreisrunder Bausch
über den Gürtel Herabgclassen, sodaß letzterer nicht sichtbar ist; darüber wird
ein mit Ärmeln versehenes oder auch ein ärmelloses und dann häufig der mo¬
dernen sogenannten Pelerine ähnliches Brusttuch gelegt, welches mehr gerad¬
linig unterhalb der Brust und in entsprechender Höhe auf dem Rücken abschließt,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0418" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/195094"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1481" prev="#ID_1480"> hergestellt, sodaß also Unter- lind Obergewand nicht gesondert angelegt wurden.<lb/>
Ärmel sind meistens vorhanden; dieselben haben auch in der Regel eine ganz<lb/>
charakteristische Form: nämlich am untern Ende, unterhalb des Ellenbogens,<lb/>
erweitern sie sich glockenförmig, während das Armloch ziemlich eng bleibt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1482"> Daß diese Tracht ionisch war, dafür tonnen wir vielleicht darin einen<lb/>
Beleg scheu, daß am Harpyien-Denkmal von Xanthos uns ganz die gleiche<lb/>
Ärmelform begegnet, wie wir sie eben beschrieben und wie wir sie auch auf<lb/>
attischen Denkmäler» aus der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts häufig<lb/>
genug finden; doch fehlt dort der für attische Tracht so charakteristische untere<lb/>
Bausch. Zieht man namentlich Grabreliefs wie das albanische sogenannte<lb/>
Leukvthea-Relief und das in Athen befindliche Bruchstück eines ähnlichen Reliefs<lb/>
zur Vergleichung heran, so wird man mit Rücksicht auf die oben angeführte<lb/>
Hcrodvtstclle zu der Ansicht kommen, daß der Gegensatz zur früheren Tracht in<lb/>
der That vornehmlich, abgesehen vom Stoff, darin bestand, daß bei dieser Tracht<lb/>
Nadeln gewöhnlich nicht zur Verwendung kamen, sondern daß das ganze<lb/>
Kleid durch Näharbeit so hergestellt war, daß man deu Verschluß auf den<lb/>
Schultern und an deu Ärmeln, wenn letztere nicht ringsum geschlossen waren,<lb/>
durch Knöpfchen bewirken konnte. Aber dieser der Nadeln entbehrende Chiton,<lb/>
dem wir demnach die Bezeichnung &#x201E;ionisch" zu geben berechtigt sind, hat sich,<lb/>
wenn er überhaupt jemals in alleiniger Anwendung war, jedenfalls nicht lange<lb/>
als alleinige Tracht erhalten; denn noch in altertümlichen Kunstwerken begegnen<lb/>
wir bereits wieder einer andern Tracht, welche in wesentlichen Punkten von der<lb/>
eben beschriebenen abweicht und offenbar auch vou Nadeln eine ziemlich reich¬<lb/>
liche Anwendung macht. Zunächst freilich finden wir eine Kleidermode, welche<lb/>
der Nadeln in den meisten Fällen noch entbehrt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1483" next="#ID_1484"> Bei weiterem Fortschritt der Mode nämlich &#x2014; und damit treten wir in<lb/>
eine Periode ein, welche namentlich durch die altertümlichen rotfignrigcn Vasen-<lb/>
bilder eines Brygos, Dnris, Euphronios, Hiero u. f. w. (Vasenmaler aus der<lb/>
ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts) bezeichnet wird &#x2014; wird es Brauch,<lb/>
Chitone vou solcher Lauge anzulegen, daß man ein sehr beträchtliches Stück<lb/>
über den Gürtel herausziehe» und in weitem, rings um den ganzen Körper<lb/>
gehenden Bausch tief über die Hüften bis in die Gegend der Kniee fallen lassen<lb/>
kann. Indem mit diesem untern Bausch noch ein Brusttuch, welches nur bis<lb/>
wenig unter den Busen hinabreicht, verbunden wird, erhalten wir vornehmlich<lb/>
folgende Formen: 1. Als Untergewand ein Chiton, welchen man sich ans den<lb/>
Schultern in nicht sichtbarer Weise befestigt zu denken hat; derselbe ist gegürtet,<lb/>
der überschüssige Teil aber in der bezeichneten Weise als kreisrunder Bausch<lb/>
über den Gürtel Herabgclassen, sodaß letzterer nicht sichtbar ist; darüber wird<lb/>
ein mit Ärmeln versehenes oder auch ein ärmelloses und dann häufig der mo¬<lb/>
dernen sogenannten Pelerine ähnliches Brusttuch gelegt, welches mehr gerad¬<lb/>
linig unterhalb der Brust und in entsprechender Höhe auf dem Rücken abschließt,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0418] hergestellt, sodaß also Unter- lind Obergewand nicht gesondert angelegt wurden. Ärmel sind meistens vorhanden; dieselben haben auch in der Regel eine ganz charakteristische Form: nämlich am untern Ende, unterhalb des Ellenbogens, erweitern sie sich glockenförmig, während das Armloch ziemlich eng bleibt. Daß diese Tracht ionisch war, dafür tonnen wir vielleicht darin einen Beleg scheu, daß am Harpyien-Denkmal von Xanthos uns ganz die gleiche Ärmelform begegnet, wie wir sie eben beschrieben und wie wir sie auch auf attischen Denkmäler» aus der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts häufig genug finden; doch fehlt dort der für attische Tracht so charakteristische untere Bausch. Zieht man namentlich Grabreliefs wie das albanische sogenannte Leukvthea-Relief und das in Athen befindliche Bruchstück eines ähnlichen Reliefs zur Vergleichung heran, so wird man mit Rücksicht auf die oben angeführte Hcrodvtstclle zu der Ansicht kommen, daß der Gegensatz zur früheren Tracht in der That vornehmlich, abgesehen vom Stoff, darin bestand, daß bei dieser Tracht Nadeln gewöhnlich nicht zur Verwendung kamen, sondern daß das ganze Kleid durch Näharbeit so hergestellt war, daß man deu Verschluß auf den Schultern und an deu Ärmeln, wenn letztere nicht ringsum geschlossen waren, durch Knöpfchen bewirken konnte. Aber dieser der Nadeln entbehrende Chiton, dem wir demnach die Bezeichnung „ionisch" zu geben berechtigt sind, hat sich, wenn er überhaupt jemals in alleiniger Anwendung war, jedenfalls nicht lange als alleinige Tracht erhalten; denn noch in altertümlichen Kunstwerken begegnen wir bereits wieder einer andern Tracht, welche in wesentlichen Punkten von der eben beschriebenen abweicht und offenbar auch vou Nadeln eine ziemlich reich¬ liche Anwendung macht. Zunächst freilich finden wir eine Kleidermode, welche der Nadeln in den meisten Fällen noch entbehrt. Bei weiterem Fortschritt der Mode nämlich — und damit treten wir in eine Periode ein, welche namentlich durch die altertümlichen rotfignrigcn Vasen- bilder eines Brygos, Dnris, Euphronios, Hiero u. f. w. (Vasenmaler aus der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts) bezeichnet wird — wird es Brauch, Chitone vou solcher Lauge anzulegen, daß man ein sehr beträchtliches Stück über den Gürtel herausziehe» und in weitem, rings um den ganzen Körper gehenden Bausch tief über die Hüften bis in die Gegend der Kniee fallen lassen kann. Indem mit diesem untern Bausch noch ein Brusttuch, welches nur bis wenig unter den Busen hinabreicht, verbunden wird, erhalten wir vornehmlich folgende Formen: 1. Als Untergewand ein Chiton, welchen man sich ans den Schultern in nicht sichtbarer Weise befestigt zu denken hat; derselbe ist gegürtet, der überschüssige Teil aber in der bezeichneten Weise als kreisrunder Bausch über den Gürtel Herabgclassen, sodaß letzterer nicht sichtbar ist; darüber wird ein mit Ärmeln versehenes oder auch ein ärmelloses und dann häufig der mo¬ dernen sogenannten Pelerine ähnliches Brusttuch gelegt, welches mehr gerad¬ linig unterhalb der Brust und in entsprechender Höhe auf dem Rücken abschließt,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/418
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/418>, abgerufen am 22.07.2024.