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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Ungehaltene Reden eines Nichtgewa'siden.

Maigesetze auf, dann brauchen wir uns nicht die Köpfe über Normalarbeitstag,
Steuernachlaß, Schutzzoll, Kolonisation und all dergleichen eigentlich recht schwer
verständliche und langweilige Dinge zu zerbrechen!

Zu meinem Leidwesen zeigen sich auch soviele Herren von dem sogenannten
Nationalgefühle befangen, welches von den Aufgeklärten längst als "Schwindel"
erkannt worden ist. Wie anders war das einst in Deutschland! Da hätten
Gebildete sich jedes andern Bekenntnisses, als eines kosmopolitischen geschämt.
Alle Menschen sind ja Brüder, und die reine Zufälligkeit, daß der eine in
diesem, der andre in jenem Lande das Licht erblickt hat, ist kein Grund der
Trennung. Es ist wahr, daß alle andern Völker den Kosmopolitismus immer
nur dn gelten lassen, wo sie aus demselben für ihre Nationalität Kapital zu
schlagen hoffen. In Österreich z. B. haben es die Deutschen mit der Gleich¬
berechtigung der Nationalitäten glücklich dahin gebracht, daß sie selbst kaum
noch irgendwo als berechtigt anerkannt werden, und mich die Polen, Dänen
und Franzosen im deutschen Reiche würden ohne Zweifel die Sache so verstehen,
daß das Deutsche ausgerottet werden müsse, zuerst in Posen, Westpreußen,
Oberschlesien, Schleswig, Elsaß-Lothringen, und dann langsam weiter gegen
Westen, Süden und Osten. Jene Nationalitäten stehen eben nicht ans der
Höhe kosmopolitischer Bildung wie wir, und unsre Sache ist es, sie zu be¬
schämen und durch Nachgiebigkeit zu bekehren. Im Jahre 1871 predigten ja
die wahrhaft Freisinnigen, daß es sich in der zweiten Hälfte des neunzehnten
Jahrhunderts nicht mehr schicke (wenigstens nicht für Deutsche), Eroberungen
zu machen. Deutschland hätte damals die Franzosen wegen seiner Siege höflich
um Entschuldigung bitten, nach Hanse gehen und seine Festungen an der West-
grenze schleifen sollen, dann würden die Franzosen ihr Unrecht eingesehen und
Frieden gehalten haben. Leider ist damals der gute Rat in den Wind geschlagen
und dadurch eine Menge von Unannehmlichkeiten verschuldet worden. Wir Hütten
ein erhabenes Beispiel gegeben, und Victor Hugo, Alexander Dumas, Tissot,
und Dervnllde würden unsre besten Freunde sein. Das ist nun verscherzt, vielleicht
nuf immer. Und trotz dieser warnenden Erfahrung verschließen Sie störrisch
ihre Ohren gegen das billige Verlangen der Vertreter der universellen Kirche,
der universellen Demokratie und des universellen Kapitals, der Staat möge
südlich aufhören, der Ausbreitung des Polen-, des Dänen- und des Franzosen-
tums Hindernisse zu bereiten. Das ist nicht schön von Ihnen, meine Herren,
nein, das muß ich engherzig nennen, wenn der Herr Präsident nichts dagegen hat.

Und das erkläre ich vornweg: Wenn dieselben Prinzipien der Unterdrückung
fremder Nationalitäten etwa auch im Pfcfferlande zur Anwendung kommen sollen,
wenn es darauf abgesehen ist, die Buschmänner und Bantuneger durch Schulen
hinterlistig zu germanisiren, so werden Sie in mir den entschiedensten Gegner
der Kolonialpolitik kennen lernen.




Ungehaltene Reden eines Nichtgewa'siden.

Maigesetze auf, dann brauchen wir uns nicht die Köpfe über Normalarbeitstag,
Steuernachlaß, Schutzzoll, Kolonisation und all dergleichen eigentlich recht schwer
verständliche und langweilige Dinge zu zerbrechen!

Zu meinem Leidwesen zeigen sich auch soviele Herren von dem sogenannten
Nationalgefühle befangen, welches von den Aufgeklärten längst als „Schwindel"
erkannt worden ist. Wie anders war das einst in Deutschland! Da hätten
Gebildete sich jedes andern Bekenntnisses, als eines kosmopolitischen geschämt.
Alle Menschen sind ja Brüder, und die reine Zufälligkeit, daß der eine in
diesem, der andre in jenem Lande das Licht erblickt hat, ist kein Grund der
Trennung. Es ist wahr, daß alle andern Völker den Kosmopolitismus immer
nur dn gelten lassen, wo sie aus demselben für ihre Nationalität Kapital zu
schlagen hoffen. In Österreich z. B. haben es die Deutschen mit der Gleich¬
berechtigung der Nationalitäten glücklich dahin gebracht, daß sie selbst kaum
noch irgendwo als berechtigt anerkannt werden, und mich die Polen, Dänen
und Franzosen im deutschen Reiche würden ohne Zweifel die Sache so verstehen,
daß das Deutsche ausgerottet werden müsse, zuerst in Posen, Westpreußen,
Oberschlesien, Schleswig, Elsaß-Lothringen, und dann langsam weiter gegen
Westen, Süden und Osten. Jene Nationalitäten stehen eben nicht ans der
Höhe kosmopolitischer Bildung wie wir, und unsre Sache ist es, sie zu be¬
schämen und durch Nachgiebigkeit zu bekehren. Im Jahre 1871 predigten ja
die wahrhaft Freisinnigen, daß es sich in der zweiten Hälfte des neunzehnten
Jahrhunderts nicht mehr schicke (wenigstens nicht für Deutsche), Eroberungen
zu machen. Deutschland hätte damals die Franzosen wegen seiner Siege höflich
um Entschuldigung bitten, nach Hanse gehen und seine Festungen an der West-
grenze schleifen sollen, dann würden die Franzosen ihr Unrecht eingesehen und
Frieden gehalten haben. Leider ist damals der gute Rat in den Wind geschlagen
und dadurch eine Menge von Unannehmlichkeiten verschuldet worden. Wir Hütten
ein erhabenes Beispiel gegeben, und Victor Hugo, Alexander Dumas, Tissot,
und Dervnllde würden unsre besten Freunde sein. Das ist nun verscherzt, vielleicht
nuf immer. Und trotz dieser warnenden Erfahrung verschließen Sie störrisch
ihre Ohren gegen das billige Verlangen der Vertreter der universellen Kirche,
der universellen Demokratie und des universellen Kapitals, der Staat möge
südlich aufhören, der Ausbreitung des Polen-, des Dänen- und des Franzosen-
tums Hindernisse zu bereiten. Das ist nicht schön von Ihnen, meine Herren,
nein, das muß ich engherzig nennen, wenn der Herr Präsident nichts dagegen hat.

Und das erkläre ich vornweg: Wenn dieselben Prinzipien der Unterdrückung
fremder Nationalitäten etwa auch im Pfcfferlande zur Anwendung kommen sollen,
wenn es darauf abgesehen ist, die Buschmänner und Bantuneger durch Schulen
hinterlistig zu germanisiren, so werden Sie in mir den entschiedensten Gegner
der Kolonialpolitik kennen lernen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/323>, abgerufen am 22.07.2024.