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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Zur Lutherliteratur.

hat, die stattliche Sammlung von ältesten und ersten Drucken Lutherscher
Schriften zu sehen, wer daran denkt, daß in verschiednen größern Städten
Deutschlands Ausstellungen wertvoller Ausgaben von Lutherschriften oder Briefen
von und an Luther zur Zeit der Jubelfeier veranstaltet wurden, eine wie we¬
sentliche Bereicherung das Material sür die Herstellung eines kritisch gereinigten
Textes seit 1826 erfahren, und daß es an der Zeit war, diese Bereicherung für
eine neue, den wissenschaftlichen Anforderungen der Gegenwart genügende Aus¬
gabe zu verwerten.

Bei der Sorgfalt aber, die auf die Gewinnung eines diplomatisch getreuen
Textes verwendet wird, kann die neue Gesamtausgabe nur langsam vorwärts
schreiten, und wenn man nach der bisherigen Aufeinanderfolge der Bände den
Zeitpunkt ihrer Vollendung berechnen wollte, so würde sich etwa ein Zeitraum
von einem halben Jahrhundert ergeben. Soll während dieser langen Zeit alles,
was bereits neu entdeckt worden ist oder was in Zukunft noch gefunden werden
sollte, unbenutzt bis auf den Termin liegen bleiben, wo die Ökonomie der ganzen
Anlage bis zu der Veröffentlichung des betreffenden Teiles der Lutherschcn
Schriften gediehen ist? Es würde ein solches Zuwarten die weitere Luther¬
forschung der Gefahr aussetze", in mehrfacher Hinsicht rasch zu veralten. Darum
ist es eine dringende Forderung der Wissenschaft, daß alles, was von bisher
unbekannten Schriften oder sonstigen Äußerungen Luthers durch den Zufall
oder durch den Eifer kundiger Forscher dem Schoße der Vergessenheit entrissen
wird, möglichst bald zur Veröffentlichung gelange, zumal wenn außer dem mehr
oder weniger wichtigen Inhalte der neuaufgefundenen Stücke auch wichtige
chronologische Angaben über Luthers Leben und Wirken in denselben enthalten
sind. So sind auch während der Zeit des Erscheinens der Erlanger Ausgabe
verschiedne wichtige nachtrüge zu Luthers Schriften veröffentlicht worden: die
Sammlung der "Briefe, Sendschreiben und Bedenken" von de Wette (5 Bände,
1825 bis 1828, dazu ein 6. Band von Seidemann 1856), von Seidemann
allein "Lutherbriefe" (1359) und vou Burkhardt "Luthers Briefwechsel"
(1866); ferner verschiedne Ausgaben der Tischreden (von Fürstenau und Blüt¬
hen, 4 Bände, 1844 bis 1848; volloauig. vo. von Blüthen, 3 Bünde, 1863
bis 1866, sowie auch von Seidemann nach den ursprünglichen Aufzeichnungen
von Lauterbach, Veit, Dietrich u. a.); vor allem aber als der wertvollste
Zuwachs zu den Werken Luthers aus den letzten Jahren der vollständig aus¬
gearbeitete Text der 1513 bis 1516 gehaltenen Vorlesungen über die Psalmen,
die Seidemann 1876 in zwei Bänden "nach der eigenhändigen lateinischen
Handschrift Luthers auf der königlichen öffentlichen Bibliothek zu Dresden" ver¬
öffentlicht hat.

Diesen wichtigen Funden stellt sich nun der dem Umfange wie dem Werte
nach bedeutende Fund zur Seite, den der Religionslehrer am Zwickcmer Gymna¬
sium, Illo. Dr. Georg Buchwald, in der Zwickcmer Ratsschnlbibliothek gemacht


Grenzboten I. 1385, N)
Zur Lutherliteratur.

hat, die stattliche Sammlung von ältesten und ersten Drucken Lutherscher
Schriften zu sehen, wer daran denkt, daß in verschiednen größern Städten
Deutschlands Ausstellungen wertvoller Ausgaben von Lutherschriften oder Briefen
von und an Luther zur Zeit der Jubelfeier veranstaltet wurden, eine wie we¬
sentliche Bereicherung das Material sür die Herstellung eines kritisch gereinigten
Textes seit 1826 erfahren, und daß es an der Zeit war, diese Bereicherung für
eine neue, den wissenschaftlichen Anforderungen der Gegenwart genügende Aus¬
gabe zu verwerten.

Bei der Sorgfalt aber, die auf die Gewinnung eines diplomatisch getreuen
Textes verwendet wird, kann die neue Gesamtausgabe nur langsam vorwärts
schreiten, und wenn man nach der bisherigen Aufeinanderfolge der Bände den
Zeitpunkt ihrer Vollendung berechnen wollte, so würde sich etwa ein Zeitraum
von einem halben Jahrhundert ergeben. Soll während dieser langen Zeit alles,
was bereits neu entdeckt worden ist oder was in Zukunft noch gefunden werden
sollte, unbenutzt bis auf den Termin liegen bleiben, wo die Ökonomie der ganzen
Anlage bis zu der Veröffentlichung des betreffenden Teiles der Lutherschcn
Schriften gediehen ist? Es würde ein solches Zuwarten die weitere Luther¬
forschung der Gefahr aussetze», in mehrfacher Hinsicht rasch zu veralten. Darum
ist es eine dringende Forderung der Wissenschaft, daß alles, was von bisher
unbekannten Schriften oder sonstigen Äußerungen Luthers durch den Zufall
oder durch den Eifer kundiger Forscher dem Schoße der Vergessenheit entrissen
wird, möglichst bald zur Veröffentlichung gelange, zumal wenn außer dem mehr
oder weniger wichtigen Inhalte der neuaufgefundenen Stücke auch wichtige
chronologische Angaben über Luthers Leben und Wirken in denselben enthalten
sind. So sind auch während der Zeit des Erscheinens der Erlanger Ausgabe
verschiedne wichtige nachtrüge zu Luthers Schriften veröffentlicht worden: die
Sammlung der „Briefe, Sendschreiben und Bedenken" von de Wette (5 Bände,
1825 bis 1828, dazu ein 6. Band von Seidemann 1856), von Seidemann
allein „Lutherbriefe" (1359) und vou Burkhardt „Luthers Briefwechsel"
(1866); ferner verschiedne Ausgaben der Tischreden (von Fürstenau und Blüt¬
hen, 4 Bände, 1844 bis 1848; volloauig. vo. von Blüthen, 3 Bünde, 1863
bis 1866, sowie auch von Seidemann nach den ursprünglichen Aufzeichnungen
von Lauterbach, Veit, Dietrich u. a.); vor allem aber als der wertvollste
Zuwachs zu den Werken Luthers aus den letzten Jahren der vollständig aus¬
gearbeitete Text der 1513 bis 1516 gehaltenen Vorlesungen über die Psalmen,
die Seidemann 1876 in zwei Bänden „nach der eigenhändigen lateinischen
Handschrift Luthers auf der königlichen öffentlichen Bibliothek zu Dresden" ver¬
öffentlicht hat.

Diesen wichtigen Funden stellt sich nun der dem Umfange wie dem Werte
nach bedeutende Fund zur Seite, den der Religionslehrer am Zwickcmer Gymna¬
sium, Illo. Dr. Georg Buchwald, in der Zwickcmer Ratsschnlbibliothek gemacht


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[0317] Zur Lutherliteratur. hat, die stattliche Sammlung von ältesten und ersten Drucken Lutherscher Schriften zu sehen, wer daran denkt, daß in verschiednen größern Städten Deutschlands Ausstellungen wertvoller Ausgaben von Lutherschriften oder Briefen von und an Luther zur Zeit der Jubelfeier veranstaltet wurden, eine wie we¬ sentliche Bereicherung das Material sür die Herstellung eines kritisch gereinigten Textes seit 1826 erfahren, und daß es an der Zeit war, diese Bereicherung für eine neue, den wissenschaftlichen Anforderungen der Gegenwart genügende Aus¬ gabe zu verwerten. Bei der Sorgfalt aber, die auf die Gewinnung eines diplomatisch getreuen Textes verwendet wird, kann die neue Gesamtausgabe nur langsam vorwärts schreiten, und wenn man nach der bisherigen Aufeinanderfolge der Bände den Zeitpunkt ihrer Vollendung berechnen wollte, so würde sich etwa ein Zeitraum von einem halben Jahrhundert ergeben. Soll während dieser langen Zeit alles, was bereits neu entdeckt worden ist oder was in Zukunft noch gefunden werden sollte, unbenutzt bis auf den Termin liegen bleiben, wo die Ökonomie der ganzen Anlage bis zu der Veröffentlichung des betreffenden Teiles der Lutherschcn Schriften gediehen ist? Es würde ein solches Zuwarten die weitere Luther¬ forschung der Gefahr aussetze», in mehrfacher Hinsicht rasch zu veralten. Darum ist es eine dringende Forderung der Wissenschaft, daß alles, was von bisher unbekannten Schriften oder sonstigen Äußerungen Luthers durch den Zufall oder durch den Eifer kundiger Forscher dem Schoße der Vergessenheit entrissen wird, möglichst bald zur Veröffentlichung gelange, zumal wenn außer dem mehr oder weniger wichtigen Inhalte der neuaufgefundenen Stücke auch wichtige chronologische Angaben über Luthers Leben und Wirken in denselben enthalten sind. So sind auch während der Zeit des Erscheinens der Erlanger Ausgabe verschiedne wichtige nachtrüge zu Luthers Schriften veröffentlicht worden: die Sammlung der „Briefe, Sendschreiben und Bedenken" von de Wette (5 Bände, 1825 bis 1828, dazu ein 6. Band von Seidemann 1856), von Seidemann allein „Lutherbriefe" (1359) und vou Burkhardt „Luthers Briefwechsel" (1866); ferner verschiedne Ausgaben der Tischreden (von Fürstenau und Blüt¬ hen, 4 Bände, 1844 bis 1848; volloauig. vo. von Blüthen, 3 Bünde, 1863 bis 1866, sowie auch von Seidemann nach den ursprünglichen Aufzeichnungen von Lauterbach, Veit, Dietrich u. a.); vor allem aber als der wertvollste Zuwachs zu den Werken Luthers aus den letzten Jahren der vollständig aus¬ gearbeitete Text der 1513 bis 1516 gehaltenen Vorlesungen über die Psalmen, die Seidemann 1876 in zwei Bänden „nach der eigenhändigen lateinischen Handschrift Luthers auf der königlichen öffentlichen Bibliothek zu Dresden" ver¬ öffentlicht hat. Diesen wichtigen Funden stellt sich nun der dem Umfange wie dem Werte nach bedeutende Fund zur Seite, den der Religionslehrer am Zwickcmer Gymna¬ sium, Illo. Dr. Georg Buchwald, in der Zwickcmer Ratsschnlbibliothek gemacht Grenzboten I. 1385, N)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/317>, abgerufen am 22.07.2024.