Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.England und Rußland in Asien. Vorfälle wie die Ausrandung eines großen Waarenznges bei Kungrad für die England und Rußland in Asien. Vorfälle wie die Ausrandung eines großen Waarenznges bei Kungrad für die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0287" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194963"/> <fw type="header" place="top"> England und Rußland in Asien.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1022" prev="#ID_1021"> Vorfälle wie die Ausrandung eines großen Waarenznges bei Kungrad für die<lb/> Zukunft zu verhüten, veranlaßt gesehen, nach jenem Orte eine Abteilung Kosaken zu<lb/> verlegen. Übrigens hat der gegenwärtige Chan als arger Tyrann in seinem<lb/> Volke keinen Halt. Viele Chiwesen sind vor seinen Erpressungen und Grausam¬<lb/> keiten über die Grenzen nach Nußland oder Persien geflüchtet, und die Zurück¬<lb/> gebliebenen sind über seine Habsucht und sein ausschweifendes Leben sehr un¬<lb/> zufrieden. Ferner geht man in Petersburg mit der Absicht einer „Grenzregulirung"<lb/> gegenüber dem von Nußland längst schon völlig abhängigen Buchara um. Dieses<lb/> Chaine besitzt nämlich am linken Ufer des Ann-Darja einen Landstrich mit<lb/> den Städten Chargni und Kerki, auf welchen aber auch die Chane von Merw<lb/> Ansprüche erhoben. Beide Parteien verständigten sich, nachdem es deshalb schon<lb/> mehrmals zu blutigen Fehden gekommen war, endlich im Jahre 1838 dahin,<lb/> daß jenes Gebiet vorläufig und bis zu endgiltiger Einigung über den Gegenstand<lb/> bei Buchara verbleiben sollte, welches dafür den Bewohnern von Merw gewisse<lb/> Abgaben liefern würde. Jetzt macht nun Rußland als Besitzer des letzteren<lb/> ein gewisses Anrecht ans den erwähnten Landstrich geltend, und nächstens wird<lb/> eine russisch-bocharische Kommission diese Angelegenheit entscheiden — selbst¬<lb/> verständlich zum Vorteile Rußlands. Wie indische Zeitungen erfahren haben,<lb/> bereisen ferner russische Ingenieure, die in Diensten des Chans von Vochara<lb/> stehen, den mittleren Lauf des Ann-Darja, um dort Stellen aufzusuchen, die<lb/> sich zur Anlage von Forts eignen. In Bochara versichert man zwar, dieselben<lb/> hätten die Bestimmung, gewisse unter der Oberherrlichkeit des dortigen Chans<lb/> stehende Nomadenstämme an Überschreitungen des Stromes und Einbrüchen<lb/> M das Gebiet des Emirs der Afghanen zu verhindern. In Afghanistan<lb/> aber hegt man, da diese Befestigungen in großem Maßstabe ausgeführt und<lb/> mit Geschützen schweren Kalibers armirt werden sollen, nicht ohne guten Grund<lb/> die Befürchtung, man habe mit ihnen nicht sowohl grenzpolizeiliche, sondern<lb/> strategische Zwecke im Auge, mit andern Worten, es sei mit ihnen viel weniger<lb/> ""f die Verhütung von Raubzügen der benachbarten Nomadenhorden als auf<lb/> die Beherrschung der Straßen und Fluszübergänge zwischen Zentralasien und<lb/> Afghanistan, dem Vorlande des nordwestlichen Indiens, abgesehen. An der Stelle,<lb/> die am weitesten nach Herat zu liegt, haben die russischen Vortruppen schon<lb/> vor dem Eintreffen der mit starker Truppenbegleitung von Quella abgegangenen<lb/> Kommission zur Feststellung der afghanischen Grenze von Sarachs ausmarschirend<lb/> Posto gefaßt und sich militärisch eingerichtet. So u. a. an dem Flußübergangc<lb/> Pul-i-Chatun (d. h. Weiberbrück, weil hier die Weiber über eine Brücke zu<lb/> reiten Pflegen, während die Männer eine daneben befindliche Furt zum Über¬<lb/> gange auf das andre Ufer benutzen), wo General Lumsdeu, der von London<lb/> über Teheran hierher reiste, um die Leitung der englischen Negulirungskom-<lb/> 'uission zu übernehmen, zu seinem großen Erstaunen den wichtigen Punkt bereits<lb/> von russischen Soldaten besetzt fand, während man ihn doch erst vereinbaren wollte.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0287]
England und Rußland in Asien.
Vorfälle wie die Ausrandung eines großen Waarenznges bei Kungrad für die
Zukunft zu verhüten, veranlaßt gesehen, nach jenem Orte eine Abteilung Kosaken zu
verlegen. Übrigens hat der gegenwärtige Chan als arger Tyrann in seinem
Volke keinen Halt. Viele Chiwesen sind vor seinen Erpressungen und Grausam¬
keiten über die Grenzen nach Nußland oder Persien geflüchtet, und die Zurück¬
gebliebenen sind über seine Habsucht und sein ausschweifendes Leben sehr un¬
zufrieden. Ferner geht man in Petersburg mit der Absicht einer „Grenzregulirung"
gegenüber dem von Nußland längst schon völlig abhängigen Buchara um. Dieses
Chaine besitzt nämlich am linken Ufer des Ann-Darja einen Landstrich mit
den Städten Chargni und Kerki, auf welchen aber auch die Chane von Merw
Ansprüche erhoben. Beide Parteien verständigten sich, nachdem es deshalb schon
mehrmals zu blutigen Fehden gekommen war, endlich im Jahre 1838 dahin,
daß jenes Gebiet vorläufig und bis zu endgiltiger Einigung über den Gegenstand
bei Buchara verbleiben sollte, welches dafür den Bewohnern von Merw gewisse
Abgaben liefern würde. Jetzt macht nun Rußland als Besitzer des letzteren
ein gewisses Anrecht ans den erwähnten Landstrich geltend, und nächstens wird
eine russisch-bocharische Kommission diese Angelegenheit entscheiden — selbst¬
verständlich zum Vorteile Rußlands. Wie indische Zeitungen erfahren haben,
bereisen ferner russische Ingenieure, die in Diensten des Chans von Vochara
stehen, den mittleren Lauf des Ann-Darja, um dort Stellen aufzusuchen, die
sich zur Anlage von Forts eignen. In Bochara versichert man zwar, dieselben
hätten die Bestimmung, gewisse unter der Oberherrlichkeit des dortigen Chans
stehende Nomadenstämme an Überschreitungen des Stromes und Einbrüchen
M das Gebiet des Emirs der Afghanen zu verhindern. In Afghanistan
aber hegt man, da diese Befestigungen in großem Maßstabe ausgeführt und
mit Geschützen schweren Kalibers armirt werden sollen, nicht ohne guten Grund
die Befürchtung, man habe mit ihnen nicht sowohl grenzpolizeiliche, sondern
strategische Zwecke im Auge, mit andern Worten, es sei mit ihnen viel weniger
""f die Verhütung von Raubzügen der benachbarten Nomadenhorden als auf
die Beherrschung der Straßen und Fluszübergänge zwischen Zentralasien und
Afghanistan, dem Vorlande des nordwestlichen Indiens, abgesehen. An der Stelle,
die am weitesten nach Herat zu liegt, haben die russischen Vortruppen schon
vor dem Eintreffen der mit starker Truppenbegleitung von Quella abgegangenen
Kommission zur Feststellung der afghanischen Grenze von Sarachs ausmarschirend
Posto gefaßt und sich militärisch eingerichtet. So u. a. an dem Flußübergangc
Pul-i-Chatun (d. h. Weiberbrück, weil hier die Weiber über eine Brücke zu
reiten Pflegen, während die Männer eine daneben befindliche Furt zum Über¬
gange auf das andre Ufer benutzen), wo General Lumsdeu, der von London
über Teheran hierher reiste, um die Leitung der englischen Negulirungskom-
'uission zu übernehmen, zu seinem großen Erstaunen den wichtigen Punkt bereits
von russischen Soldaten besetzt fand, während man ihn doch erst vereinbaren wollte.
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