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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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England und Rußland in Asien.

fügt, nach Belieben nicht nur auf Herat, sondern auch auf Maimenah und Ball
die Hand legen kann. Man hat Herrn Lessar, der das Land zum Zwecke der
Anlegung einer Eisenbahn untersuchte und dabei die Entdeckung machte, daß
die "unübersteigbaren Gebirge" nur in einer Kette von Sandhügeln bestanden,
einen Vertrauensposten in den transkaspischen Regionen verliehen; das zeigt
allein schon genügend, was das wirkliche Ziel des russischen Unternehmens ist.
Selbst wenn wir eine Reihe Grenzsteine setzen, die mehr oder minder zu unsrer
Zufriedenheit ausfällt, wird die Gefahr für Herat nicht hinwegbeschworen sein.
Die Kaukasusgcgend und die transkaukasischen Provinzen Rußlands sind bis
nach Kars hin mit Truppen angefüllt. Eine Eisenbahn verbindet den jetzt be¬
festigten Hafen von Batna mit Tiflis und dieses wieder mit Baku, und beide
Armeen sind verwendbar zur Kriegführung östlich vom Kaspisee, während nie¬
mand sagen kann, wie viele Bataillone, Schwadronen und Batterien bereits in
Turkestan und den neuen transkaspischen Eroberungen stehen. Kurz, wie längst
vorausgesehen wurde, Nußland hat seinen nächsten Zweck erreicht, es hat sich
so vieler vorteilhaften Punkte bemächtigt, daß es sich selbst die passendste Ge¬
legenheit wählen kaun, einen Streich nach Herat zu führen und einen Druck auf
den Hof von Teheran zu üben, der Persien nötigen wird, ihm die Hilfsquellen
von Chorasscm zur Verfügung zu stellen."

Die englische Regierung hat dem gegenüber nur wenig gethan, obwohl
eine schwere Verantwortlichkeit ans ihr lastet und obwohl sie genügend unter¬
richtet war, um zu wissen, was kommen würde, wenn nicht alles geschähe,
was möglich und ausführbar ist, um der drohenden Flut einen zuverlässige":
Damm entgegenzustellen. Sie muß sich vollkommen klar darüber fein, welcher
Art die Eventualitäten find, denen sie sich oder ihre Nachfolger aussetzt, zunächst
in Mittelasien, dann in Indien, wenn sie die Warnungen Rnwlinsons, die sich
zum großen Teil schon erfüllt haben, in den Wind schlägt und die dringend
gebotenen Vorsichtsmaßregeln unterläßt. Die britische" Staatslenker scheinen
aber ihre Rechnung nicht auf verständige Betrachtung und Untersuchung, sondern
auf phantastische Vermutungen und empfindsame Träume gegründet zu haben.
"Nach jahrelangen Warnungen, so sagt unser Verfasser in kläglichem Tone
weiter, haben wir, um die heranrückende Gefahr, den Stoß gegen die Grund¬
lagen unsrer Herrschaft über Indien, abzulenken oder aufzuhalten, nichts gethan,
als daß wir Quella besetzt, eine Eisenbahn dahin, die anfangs vom Parteigeiste
befehdet und verurteilt wurde, zu bauen angefangen, dem Indus bei Attock
überbrückt, dem Emir in Kabul Subsidien gezahlt und jene Kommission zur
Absteckung der Grenze von Afghanistan abgesendet haben, die von den Russen
mit dürftiger Höflichkeit behandelt wird" sunt die, fügen wir hinzu, bei der
Natur des Landes und seiner Bewohner nur Schcinergebnisse ohne Dauer
zurücklassen kann>. Innerhalb der Grenzen Indiens selbst aber ist zu unmittel¬
barer Vorbereitung auf den Tag des russischen Angriffes noch weniger geschehen-


England und Rußland in Asien.

fügt, nach Belieben nicht nur auf Herat, sondern auch auf Maimenah und Ball
die Hand legen kann. Man hat Herrn Lessar, der das Land zum Zwecke der
Anlegung einer Eisenbahn untersuchte und dabei die Entdeckung machte, daß
die »unübersteigbaren Gebirge« nur in einer Kette von Sandhügeln bestanden,
einen Vertrauensposten in den transkaspischen Regionen verliehen; das zeigt
allein schon genügend, was das wirkliche Ziel des russischen Unternehmens ist.
Selbst wenn wir eine Reihe Grenzsteine setzen, die mehr oder minder zu unsrer
Zufriedenheit ausfällt, wird die Gefahr für Herat nicht hinwegbeschworen sein.
Die Kaukasusgcgend und die transkaukasischen Provinzen Rußlands sind bis
nach Kars hin mit Truppen angefüllt. Eine Eisenbahn verbindet den jetzt be¬
festigten Hafen von Batna mit Tiflis und dieses wieder mit Baku, und beide
Armeen sind verwendbar zur Kriegführung östlich vom Kaspisee, während nie¬
mand sagen kann, wie viele Bataillone, Schwadronen und Batterien bereits in
Turkestan und den neuen transkaspischen Eroberungen stehen. Kurz, wie längst
vorausgesehen wurde, Nußland hat seinen nächsten Zweck erreicht, es hat sich
so vieler vorteilhaften Punkte bemächtigt, daß es sich selbst die passendste Ge¬
legenheit wählen kaun, einen Streich nach Herat zu führen und einen Druck auf
den Hof von Teheran zu üben, der Persien nötigen wird, ihm die Hilfsquellen
von Chorasscm zur Verfügung zu stellen."

Die englische Regierung hat dem gegenüber nur wenig gethan, obwohl
eine schwere Verantwortlichkeit ans ihr lastet und obwohl sie genügend unter¬
richtet war, um zu wissen, was kommen würde, wenn nicht alles geschähe,
was möglich und ausführbar ist, um der drohenden Flut einen zuverlässige»:
Damm entgegenzustellen. Sie muß sich vollkommen klar darüber fein, welcher
Art die Eventualitäten find, denen sie sich oder ihre Nachfolger aussetzt, zunächst
in Mittelasien, dann in Indien, wenn sie die Warnungen Rnwlinsons, die sich
zum großen Teil schon erfüllt haben, in den Wind schlägt und die dringend
gebotenen Vorsichtsmaßregeln unterläßt. Die britische» Staatslenker scheinen
aber ihre Rechnung nicht auf verständige Betrachtung und Untersuchung, sondern
auf phantastische Vermutungen und empfindsame Träume gegründet zu haben.
„Nach jahrelangen Warnungen, so sagt unser Verfasser in kläglichem Tone
weiter, haben wir, um die heranrückende Gefahr, den Stoß gegen die Grund¬
lagen unsrer Herrschaft über Indien, abzulenken oder aufzuhalten, nichts gethan,
als daß wir Quella besetzt, eine Eisenbahn dahin, die anfangs vom Parteigeiste
befehdet und verurteilt wurde, zu bauen angefangen, dem Indus bei Attock
überbrückt, dem Emir in Kabul Subsidien gezahlt und jene Kommission zur
Absteckung der Grenze von Afghanistan abgesendet haben, die von den Russen
mit dürftiger Höflichkeit behandelt wird" sunt die, fügen wir hinzu, bei der
Natur des Landes und seiner Bewohner nur Schcinergebnisse ohne Dauer
zurücklassen kann>. Innerhalb der Grenzen Indiens selbst aber ist zu unmittel¬
barer Vorbereitung auf den Tag des russischen Angriffes noch weniger geschehen-


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[0284] England und Rußland in Asien. fügt, nach Belieben nicht nur auf Herat, sondern auch auf Maimenah und Ball die Hand legen kann. Man hat Herrn Lessar, der das Land zum Zwecke der Anlegung einer Eisenbahn untersuchte und dabei die Entdeckung machte, daß die »unübersteigbaren Gebirge« nur in einer Kette von Sandhügeln bestanden, einen Vertrauensposten in den transkaspischen Regionen verliehen; das zeigt allein schon genügend, was das wirkliche Ziel des russischen Unternehmens ist. Selbst wenn wir eine Reihe Grenzsteine setzen, die mehr oder minder zu unsrer Zufriedenheit ausfällt, wird die Gefahr für Herat nicht hinwegbeschworen sein. Die Kaukasusgcgend und die transkaukasischen Provinzen Rußlands sind bis nach Kars hin mit Truppen angefüllt. Eine Eisenbahn verbindet den jetzt be¬ festigten Hafen von Batna mit Tiflis und dieses wieder mit Baku, und beide Armeen sind verwendbar zur Kriegführung östlich vom Kaspisee, während nie¬ mand sagen kann, wie viele Bataillone, Schwadronen und Batterien bereits in Turkestan und den neuen transkaspischen Eroberungen stehen. Kurz, wie längst vorausgesehen wurde, Nußland hat seinen nächsten Zweck erreicht, es hat sich so vieler vorteilhaften Punkte bemächtigt, daß es sich selbst die passendste Ge¬ legenheit wählen kaun, einen Streich nach Herat zu führen und einen Druck auf den Hof von Teheran zu üben, der Persien nötigen wird, ihm die Hilfsquellen von Chorasscm zur Verfügung zu stellen." Die englische Regierung hat dem gegenüber nur wenig gethan, obwohl eine schwere Verantwortlichkeit ans ihr lastet und obwohl sie genügend unter¬ richtet war, um zu wissen, was kommen würde, wenn nicht alles geschähe, was möglich und ausführbar ist, um der drohenden Flut einen zuverlässige»: Damm entgegenzustellen. Sie muß sich vollkommen klar darüber fein, welcher Art die Eventualitäten find, denen sie sich oder ihre Nachfolger aussetzt, zunächst in Mittelasien, dann in Indien, wenn sie die Warnungen Rnwlinsons, die sich zum großen Teil schon erfüllt haben, in den Wind schlägt und die dringend gebotenen Vorsichtsmaßregeln unterläßt. Die britische» Staatslenker scheinen aber ihre Rechnung nicht auf verständige Betrachtung und Untersuchung, sondern auf phantastische Vermutungen und empfindsame Träume gegründet zu haben. „Nach jahrelangen Warnungen, so sagt unser Verfasser in kläglichem Tone weiter, haben wir, um die heranrückende Gefahr, den Stoß gegen die Grund¬ lagen unsrer Herrschaft über Indien, abzulenken oder aufzuhalten, nichts gethan, als daß wir Quella besetzt, eine Eisenbahn dahin, die anfangs vom Parteigeiste befehdet und verurteilt wurde, zu bauen angefangen, dem Indus bei Attock überbrückt, dem Emir in Kabul Subsidien gezahlt und jene Kommission zur Absteckung der Grenze von Afghanistan abgesendet haben, die von den Russen mit dürftiger Höflichkeit behandelt wird" sunt die, fügen wir hinzu, bei der Natur des Landes und seiner Bewohner nur Schcinergebnisse ohne Dauer zurücklassen kann>. Innerhalb der Grenzen Indiens selbst aber ist zu unmittel¬ barer Vorbereitung auf den Tag des russischen Angriffes noch weniger geschehen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/284>, abgerufen am 23.07.2024.