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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die Kommilitonen.

wars, doch davon nachher! Jetzt weiter in der unterbrochenen Ballade. Der
riesige Westfale war weit hergereist, um, wie er mir sagen ließ, meine famosen
Jenenser Doppelquarten kennen zu lernen. Ich war sofort bereit, sie ihm zu
zeigen, lehnte aber nach unserm Burschenschafterbrauche die "abgetretenen Se¬
kundanten" ab. Da ließ der Riese eine Redensart fallen, die mich nötigte,
seine Forderung zu übertrumpfen. Es war wohl ein Hochsport für Kenner,
jene Mensur "ohne Binden und Bandagen." Ich bekam diesen Tiefriß durch
den Mund.

Und der riesige Westfale? fragten mehrere Stimmen.

Habt ihr den baumlcmgeu Regierungsrat mir schräg gegenüber fitzen
sehen, den mit dem Pflaster auf dem linken Auge und der steifen rechten
Hand?

O mein Gott, gräßlich! eiferte der Pastor und rückte seine Brille zurecht.

Meine Sprechwerkzeuge, fuhr der Redner fort, haben die Gefahr über¬
dauert, aber um meinen Bart bin ich dabei gekommen, der wächst auf dem
losgetrennten Boden nicht wieder, und fo muß ich, wie ihr mich da seht,
bartlos einhergehen.

Die Hauptsache ist, meinte der Offizier, indem er den angeschlagenen
trüben Ton bannen wollte, daß man Haare auf den Zähnen hat.

Sehr richtig! pflichtete ihm Mirbl bei.

Du freilich, witzelte Kautschuk weiter, hast sie auf dem Kopfe. Dabei
betupfte er die kunstvolle Perrücke Mirbls und traf damit die verwundbarste
Stelle des Parlamentariers.

Mirbl entzog sich ihm mit Heftigkeit und rief: Ich muß doch sehr bitten!

Kautschuk aber hatte hiermit den letzten Rest von Gunst auch dieses Kom¬
militonen verspielt und sich gänzlich mit ihm entzweit für lange Zeit oder für
immer, denn diese Altersklasse versöhnt sich schwer.

Kautschuk wurde immer unheimlicher zu mute. Plötzlich beschloß er sein
Sprenggeschoß anzuwenden und rief ohne irgendwelche Vermittlung: Hier,
Material für deinen übernommenen Nedeakt zum Abend, bitte! und damit hielt
er das von Archimedes beschriebene Blatt hin.

Wieder Waare ans Kalau? fragte der "blasse Heinrich" scherzend.

Mit möglichst gewichtiger Stimme und indem er zugleich mit einer Hand¬
bewegung Archimedes einen Wink gab, entgegnete Kautschuk: Mein Lieber, du
hast die Gewohnheit angenommen, alles ins Lächerliche zu ziehen.

Kautschuk, ich verstehe dich nicht! erwiederte der Angeredete, ich finde mich
in deine Art nicht hinein, wo ist die Grenze von Ernst und Scherz? Du
bietest mir Material zu meinem Vortrage für heute Abend?

Ja, sagte Kautschuk, wenn du es eines Blickes würdigen willst? Es ist
ein Katalog, der die heute anwesenden Kommilitonen nach den gesetzlich festge¬
stellten Rangklassen ordnet.


Grmzbotenl. 183S, 33
Die Kommilitonen.

wars, doch davon nachher! Jetzt weiter in der unterbrochenen Ballade. Der
riesige Westfale war weit hergereist, um, wie er mir sagen ließ, meine famosen
Jenenser Doppelquarten kennen zu lernen. Ich war sofort bereit, sie ihm zu
zeigen, lehnte aber nach unserm Burschenschafterbrauche die „abgetretenen Se¬
kundanten" ab. Da ließ der Riese eine Redensart fallen, die mich nötigte,
seine Forderung zu übertrumpfen. Es war wohl ein Hochsport für Kenner,
jene Mensur „ohne Binden und Bandagen." Ich bekam diesen Tiefriß durch
den Mund.

Und der riesige Westfale? fragten mehrere Stimmen.

Habt ihr den baumlcmgeu Regierungsrat mir schräg gegenüber fitzen
sehen, den mit dem Pflaster auf dem linken Auge und der steifen rechten
Hand?

O mein Gott, gräßlich! eiferte der Pastor und rückte seine Brille zurecht.

Meine Sprechwerkzeuge, fuhr der Redner fort, haben die Gefahr über¬
dauert, aber um meinen Bart bin ich dabei gekommen, der wächst auf dem
losgetrennten Boden nicht wieder, und fo muß ich, wie ihr mich da seht,
bartlos einhergehen.

Die Hauptsache ist, meinte der Offizier, indem er den angeschlagenen
trüben Ton bannen wollte, daß man Haare auf den Zähnen hat.

Sehr richtig! pflichtete ihm Mirbl bei.

Du freilich, witzelte Kautschuk weiter, hast sie auf dem Kopfe. Dabei
betupfte er die kunstvolle Perrücke Mirbls und traf damit die verwundbarste
Stelle des Parlamentariers.

Mirbl entzog sich ihm mit Heftigkeit und rief: Ich muß doch sehr bitten!

Kautschuk aber hatte hiermit den letzten Rest von Gunst auch dieses Kom¬
militonen verspielt und sich gänzlich mit ihm entzweit für lange Zeit oder für
immer, denn diese Altersklasse versöhnt sich schwer.

Kautschuk wurde immer unheimlicher zu mute. Plötzlich beschloß er sein
Sprenggeschoß anzuwenden und rief ohne irgendwelche Vermittlung: Hier,
Material für deinen übernommenen Nedeakt zum Abend, bitte! und damit hielt
er das von Archimedes beschriebene Blatt hin.

Wieder Waare ans Kalau? fragte der „blasse Heinrich" scherzend.

Mit möglichst gewichtiger Stimme und indem er zugleich mit einer Hand¬
bewegung Archimedes einen Wink gab, entgegnete Kautschuk: Mein Lieber, du
hast die Gewohnheit angenommen, alles ins Lächerliche zu ziehen.

Kautschuk, ich verstehe dich nicht! erwiederte der Angeredete, ich finde mich
in deine Art nicht hinein, wo ist die Grenze von Ernst und Scherz? Du
bietest mir Material zu meinem Vortrage für heute Abend?

Ja, sagte Kautschuk, wenn du es eines Blickes würdigen willst? Es ist
ein Katalog, der die heute anwesenden Kommilitonen nach den gesetzlich festge¬
stellten Rangklassen ordnet.


Grmzbotenl. 183S, 33
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[0269] Die Kommilitonen. wars, doch davon nachher! Jetzt weiter in der unterbrochenen Ballade. Der riesige Westfale war weit hergereist, um, wie er mir sagen ließ, meine famosen Jenenser Doppelquarten kennen zu lernen. Ich war sofort bereit, sie ihm zu zeigen, lehnte aber nach unserm Burschenschafterbrauche die „abgetretenen Se¬ kundanten" ab. Da ließ der Riese eine Redensart fallen, die mich nötigte, seine Forderung zu übertrumpfen. Es war wohl ein Hochsport für Kenner, jene Mensur „ohne Binden und Bandagen." Ich bekam diesen Tiefriß durch den Mund. Und der riesige Westfale? fragten mehrere Stimmen. Habt ihr den baumlcmgeu Regierungsrat mir schräg gegenüber fitzen sehen, den mit dem Pflaster auf dem linken Auge und der steifen rechten Hand? O mein Gott, gräßlich! eiferte der Pastor und rückte seine Brille zurecht. Meine Sprechwerkzeuge, fuhr der Redner fort, haben die Gefahr über¬ dauert, aber um meinen Bart bin ich dabei gekommen, der wächst auf dem losgetrennten Boden nicht wieder, und fo muß ich, wie ihr mich da seht, bartlos einhergehen. Die Hauptsache ist, meinte der Offizier, indem er den angeschlagenen trüben Ton bannen wollte, daß man Haare auf den Zähnen hat. Sehr richtig! pflichtete ihm Mirbl bei. Du freilich, witzelte Kautschuk weiter, hast sie auf dem Kopfe. Dabei betupfte er die kunstvolle Perrücke Mirbls und traf damit die verwundbarste Stelle des Parlamentariers. Mirbl entzog sich ihm mit Heftigkeit und rief: Ich muß doch sehr bitten! Kautschuk aber hatte hiermit den letzten Rest von Gunst auch dieses Kom¬ militonen verspielt und sich gänzlich mit ihm entzweit für lange Zeit oder für immer, denn diese Altersklasse versöhnt sich schwer. Kautschuk wurde immer unheimlicher zu mute. Plötzlich beschloß er sein Sprenggeschoß anzuwenden und rief ohne irgendwelche Vermittlung: Hier, Material für deinen übernommenen Nedeakt zum Abend, bitte! und damit hielt er das von Archimedes beschriebene Blatt hin. Wieder Waare ans Kalau? fragte der „blasse Heinrich" scherzend. Mit möglichst gewichtiger Stimme und indem er zugleich mit einer Hand¬ bewegung Archimedes einen Wink gab, entgegnete Kautschuk: Mein Lieber, du hast die Gewohnheit angenommen, alles ins Lächerliche zu ziehen. Kautschuk, ich verstehe dich nicht! erwiederte der Angeredete, ich finde mich in deine Art nicht hinein, wo ist die Grenze von Ernst und Scherz? Du bietest mir Material zu meinem Vortrage für heute Abend? Ja, sagte Kautschuk, wenn du es eines Blickes würdigen willst? Es ist ein Katalog, der die heute anwesenden Kommilitonen nach den gesetzlich festge¬ stellten Rangklassen ordnet. Grmzbotenl. 183S, 33

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/269>, abgerufen am 22.07.2024.