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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die Kommilitonen,

Geschäftsordnung und leerte sein Glas trübselig wie bei einem Leichenschmäuse;
er selbst erschien als der still Begrabene.

Endlich räusperte sich der Theologe, stieß eine dicke Rauchwolke ans der
Pfeife und erzählte seine Geschichte, anfangs recht belebt, da er von seiner
Kandidatenzeit berichtete, augenscheinlich seinen liebsten Erinnerungen. Er war
damals zwei Jahre lang Hauslehrer bei einer Standesherrschaft oben im
Preußischen gewesen und mit seinem Zöglinge mehrere Monate lang am Rhein
und in der Schweiz herumgereist; in diese Kandidatenzeit war auch sein Liebes¬
frühling gefallen, da er sich mit der Gutsdirektorstochter verlobt hatte. Dann
kam er auf seine Probepredigt und seine erste Anstellung als Landpfarrer,
eine ereignislose Zeit, bei deren Schilderung sich eine gewisse Schlaflust geltend
machte, die ansteckend wirkte. Als er aber eben den letzten Abschnitt seiner
Anstellung als Superintendent begonnen hatte, wurden alle in ihrem Gähnen
durch ein Ereignis unterbrochen, das wie erlösend wirkte.

Es traten nämlich zwei von einem geputzten Studenten begleitete Damen
ins Zimmer. Sie fuhren vor der aus dem Rauchgewölk ragenden Tafelrunde
zurück, aber die Herren sprangen auf und kamen der scheuen Weiblichkeit artig
zu Hilfe.

Eine der Eingetretenen war durch das über den Kopf gezogene Umschlagetuch
nur ihren Umrissen nach erkennbar, und diese verhießen eine schlanke Grazie.
Die andre, unverhüllte, kleine Kugelrunde war eine ältliche Dame in unkleid¬
samer Haube, die Frau Superintendent, die auf ihren Eheherrn zntrollte und
ängstlich hervorbrachte: Wir bitten tausendmal um Entschuldigung, wenn wir
die Herren stören, aber Barbara, hier Fräulein Barbara, wollte gar zu gern
den berühmten Redner kennen lernen. Und ich, fügte sie heimlich hinzu, wollte
dir dein Käppchen bringen.

Haha! berühmter Redner! schmunzelte der geistliche Herr, und setzte die
Sammetmütze auf. Danke dir, Kathrina! Den "blassen Heinrich" meinst du,
liebe Kathrina?

Er hielt seine Frau an der Hand, und zu seinen Freunden gewendet stellte
er sie vor: Meine liebe Frau, wobei diese ein paar knixartige Verbeugungen
machte. Dann fuhr er fort: Ja, bestes Fräulein Barbara, der Rhetor ist noch
nicht auf seinem Platze, haha!

Die Angeredete war durch den eben geschilderten Austritt und das un¬
beschreiblich Linkische ihrer Einführung so außer Fassung geraten, daß sie ganz
vergaß, ihre Umhüllung abzulegen. Ihr Vater aber, der Regisseur, löste die
Vermummung, bei welchem Geschäfte ihm der Student mehr hinderlich als
hilfreich war.

Aber Barbara! flüsterte der Vater ihr zu, du hast noch immer nicht den
Vallstaat angelegt und zerdrückst ganz deine Frisur! Dann führte er die Ent¬
schleierte vor.


Die Kommilitonen,

Geschäftsordnung und leerte sein Glas trübselig wie bei einem Leichenschmäuse;
er selbst erschien als der still Begrabene.

Endlich räusperte sich der Theologe, stieß eine dicke Rauchwolke ans der
Pfeife und erzählte seine Geschichte, anfangs recht belebt, da er von seiner
Kandidatenzeit berichtete, augenscheinlich seinen liebsten Erinnerungen. Er war
damals zwei Jahre lang Hauslehrer bei einer Standesherrschaft oben im
Preußischen gewesen und mit seinem Zöglinge mehrere Monate lang am Rhein
und in der Schweiz herumgereist; in diese Kandidatenzeit war auch sein Liebes¬
frühling gefallen, da er sich mit der Gutsdirektorstochter verlobt hatte. Dann
kam er auf seine Probepredigt und seine erste Anstellung als Landpfarrer,
eine ereignislose Zeit, bei deren Schilderung sich eine gewisse Schlaflust geltend
machte, die ansteckend wirkte. Als er aber eben den letzten Abschnitt seiner
Anstellung als Superintendent begonnen hatte, wurden alle in ihrem Gähnen
durch ein Ereignis unterbrochen, das wie erlösend wirkte.

Es traten nämlich zwei von einem geputzten Studenten begleitete Damen
ins Zimmer. Sie fuhren vor der aus dem Rauchgewölk ragenden Tafelrunde
zurück, aber die Herren sprangen auf und kamen der scheuen Weiblichkeit artig
zu Hilfe.

Eine der Eingetretenen war durch das über den Kopf gezogene Umschlagetuch
nur ihren Umrissen nach erkennbar, und diese verhießen eine schlanke Grazie.
Die andre, unverhüllte, kleine Kugelrunde war eine ältliche Dame in unkleid¬
samer Haube, die Frau Superintendent, die auf ihren Eheherrn zntrollte und
ängstlich hervorbrachte: Wir bitten tausendmal um Entschuldigung, wenn wir
die Herren stören, aber Barbara, hier Fräulein Barbara, wollte gar zu gern
den berühmten Redner kennen lernen. Und ich, fügte sie heimlich hinzu, wollte
dir dein Käppchen bringen.

Haha! berühmter Redner! schmunzelte der geistliche Herr, und setzte die
Sammetmütze auf. Danke dir, Kathrina! Den „blassen Heinrich" meinst du,
liebe Kathrina?

Er hielt seine Frau an der Hand, und zu seinen Freunden gewendet stellte
er sie vor: Meine liebe Frau, wobei diese ein paar knixartige Verbeugungen
machte. Dann fuhr er fort: Ja, bestes Fräulein Barbara, der Rhetor ist noch
nicht auf seinem Platze, haha!

Die Angeredete war durch den eben geschilderten Austritt und das un¬
beschreiblich Linkische ihrer Einführung so außer Fassung geraten, daß sie ganz
vergaß, ihre Umhüllung abzulegen. Ihr Vater aber, der Regisseur, löste die
Vermummung, bei welchem Geschäfte ihm der Student mehr hinderlich als
hilfreich war.

Aber Barbara! flüsterte der Vater ihr zu, du hast noch immer nicht den
Vallstaat angelegt und zerdrückst ganz deine Frisur! Dann führte er die Ent¬
schleierte vor.


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[0265] Die Kommilitonen, Geschäftsordnung und leerte sein Glas trübselig wie bei einem Leichenschmäuse; er selbst erschien als der still Begrabene. Endlich räusperte sich der Theologe, stieß eine dicke Rauchwolke ans der Pfeife und erzählte seine Geschichte, anfangs recht belebt, da er von seiner Kandidatenzeit berichtete, augenscheinlich seinen liebsten Erinnerungen. Er war damals zwei Jahre lang Hauslehrer bei einer Standesherrschaft oben im Preußischen gewesen und mit seinem Zöglinge mehrere Monate lang am Rhein und in der Schweiz herumgereist; in diese Kandidatenzeit war auch sein Liebes¬ frühling gefallen, da er sich mit der Gutsdirektorstochter verlobt hatte. Dann kam er auf seine Probepredigt und seine erste Anstellung als Landpfarrer, eine ereignislose Zeit, bei deren Schilderung sich eine gewisse Schlaflust geltend machte, die ansteckend wirkte. Als er aber eben den letzten Abschnitt seiner Anstellung als Superintendent begonnen hatte, wurden alle in ihrem Gähnen durch ein Ereignis unterbrochen, das wie erlösend wirkte. Es traten nämlich zwei von einem geputzten Studenten begleitete Damen ins Zimmer. Sie fuhren vor der aus dem Rauchgewölk ragenden Tafelrunde zurück, aber die Herren sprangen auf und kamen der scheuen Weiblichkeit artig zu Hilfe. Eine der Eingetretenen war durch das über den Kopf gezogene Umschlagetuch nur ihren Umrissen nach erkennbar, und diese verhießen eine schlanke Grazie. Die andre, unverhüllte, kleine Kugelrunde war eine ältliche Dame in unkleid¬ samer Haube, die Frau Superintendent, die auf ihren Eheherrn zntrollte und ängstlich hervorbrachte: Wir bitten tausendmal um Entschuldigung, wenn wir die Herren stören, aber Barbara, hier Fräulein Barbara, wollte gar zu gern den berühmten Redner kennen lernen. Und ich, fügte sie heimlich hinzu, wollte dir dein Käppchen bringen. Haha! berühmter Redner! schmunzelte der geistliche Herr, und setzte die Sammetmütze auf. Danke dir, Kathrina! Den „blassen Heinrich" meinst du, liebe Kathrina? Er hielt seine Frau an der Hand, und zu seinen Freunden gewendet stellte er sie vor: Meine liebe Frau, wobei diese ein paar knixartige Verbeugungen machte. Dann fuhr er fort: Ja, bestes Fräulein Barbara, der Rhetor ist noch nicht auf seinem Platze, haha! Die Angeredete war durch den eben geschilderten Austritt und das un¬ beschreiblich Linkische ihrer Einführung so außer Fassung geraten, daß sie ganz vergaß, ihre Umhüllung abzulegen. Ihr Vater aber, der Regisseur, löste die Vermummung, bei welchem Geschäfte ihm der Student mehr hinderlich als hilfreich war. Aber Barbara! flüsterte der Vater ihr zu, du hast noch immer nicht den Vallstaat angelegt und zerdrückst ganz deine Frisur! Dann führte er die Ent¬ schleierte vor.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/265>, abgerufen am 23.07.2024.