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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Mißbräuche dos ^'ebensversicherungswesons.

bietet, um auch diesen Zweig großzuziehen, andrerseits sich aufs erbittertste
gegen alle Angriffe (und in der Regelung des Unfallvcrsicherungswesens wurde
nicht mit Unrecht ein solcher erblickt) zur Wehr setzt. Da darf es sich denn
nicht wundern, wenn ein prinzipieller Gegner dieser Kapitalherrschaft auch dem
Lebensversicherungswesen einmal scharf auf die Finger sieht und es in einem
Punkte öffentlich zur Sprache bringt, welcher mit besondrer Deutlichkeit erkennen
läßt, daß wenigstens ein bestimmter Zweig desselben in gröblichster Weise auf
Ausbeutung des Publikums berechnet ist. Mögen andre zusehen, ob es sich
nicht mit andern Zweigen ähnlich verhalte.

Ich meine die Versicherung von Leibrenten. Wiederum ist ja an und für
sich ohne weiteres anzuerkennen, daß diese Versichernngsform in vielen Fällen
einem reellen Bedürfnisse entspricht, und ich selbst (der ich kinderlos bin) habe
mich lange mit dem Gedanken getragen, von einem bestimmten Zeitpunkte ab
einen Teil meiner verfügbaren Mittel auf den Ankauf einer Leibrente zu ver¬
wenden. Aber ich bin, nachdem ich mir die Prospekte der Lebensversicherungs-
gesellschaften angesehen, von diesem Gedanken zurückgekommen, denn ich mußte
mir sagen, daß es geradezu gewissenlos sein würde, um der paar Prozente
Mehreinkommen willen, welche für mich auf diese Weise zu gewinnen wären,
meinen Erben große Summen zu entziehen und obendrein der National¬
wirtschaft den Schaden zuzufügen, daß ein angesammeltes Kapital wieder
zerstört werde.

Nehmen wir einmal den Prospekt einer sonst wohlberufenen süddeutschen
Nentenversicherungsanstalt, oder auch den Auszug aus derselben, welchen die
Anstalt seit Jahren in allen Journalen und Wochenschriften publizirt. Von
vornherein muß man schon überaus mißtrauisch werden durch den Satz, welcher
besagt, "die Aufnahme sei unabhängig vom Gesundheitszustande." Dieser Satz
ist offenbar auf Erweckung falscher Vorstellungen beim Publikum berechnet,
da er doch nur den Zweck haben kann, diese "Unabhängigkeit vom Gesundheits¬
zustande" als einen dein Publikum gebotenen besondern Vorteil darzustellen,
während der Käufer einer Leibrente doch selbstverständlich der Bank umso er¬
wünschter sein muß, je schlechter sein Gesundheitszustand ist. Stirbt er morgen,
so ist dies der Bank ja am allerliebsten! Warum soll sie sich da auch noch
um den Gesundheitszustand kümmern? Die besondre Hervorhebung dieses
Punktes kann kaum anders als schwindelhaft genannt werden; sie ist eine
Anlockung auf innerlich unwahre, eine bewußte Täuschung des Publikums in
sich schließende Gesichtspunkte hin.

Sehen wir uns nun aber einmal die Grundlagen des Ncntenkaufs selbst
an. Für ein Kapital von 100 Mark wird dem 40 jährigen Manne eine sofort
beginnende Rente von 6 M. 41 Pf., dem 45 jährigen von 6 M. 85 Pf., dem
50jährigen von 7 M. 40 Pf., dem 5ö jährigen von 8 M. 8 Pf., dem 60jährigen
von 8 M. 93 Pf., dem 66jährigen von 10 M. 3 Pf., dem 70 jährigen endlich


Grimzb"ki>n I. 1885. 28
Mißbräuche dos ^'ebensversicherungswesons.

bietet, um auch diesen Zweig großzuziehen, andrerseits sich aufs erbittertste
gegen alle Angriffe (und in der Regelung des Unfallvcrsicherungswesens wurde
nicht mit Unrecht ein solcher erblickt) zur Wehr setzt. Da darf es sich denn
nicht wundern, wenn ein prinzipieller Gegner dieser Kapitalherrschaft auch dem
Lebensversicherungswesen einmal scharf auf die Finger sieht und es in einem
Punkte öffentlich zur Sprache bringt, welcher mit besondrer Deutlichkeit erkennen
läßt, daß wenigstens ein bestimmter Zweig desselben in gröblichster Weise auf
Ausbeutung des Publikums berechnet ist. Mögen andre zusehen, ob es sich
nicht mit andern Zweigen ähnlich verhalte.

Ich meine die Versicherung von Leibrenten. Wiederum ist ja an und für
sich ohne weiteres anzuerkennen, daß diese Versichernngsform in vielen Fällen
einem reellen Bedürfnisse entspricht, und ich selbst (der ich kinderlos bin) habe
mich lange mit dem Gedanken getragen, von einem bestimmten Zeitpunkte ab
einen Teil meiner verfügbaren Mittel auf den Ankauf einer Leibrente zu ver¬
wenden. Aber ich bin, nachdem ich mir die Prospekte der Lebensversicherungs-
gesellschaften angesehen, von diesem Gedanken zurückgekommen, denn ich mußte
mir sagen, daß es geradezu gewissenlos sein würde, um der paar Prozente
Mehreinkommen willen, welche für mich auf diese Weise zu gewinnen wären,
meinen Erben große Summen zu entziehen und obendrein der National¬
wirtschaft den Schaden zuzufügen, daß ein angesammeltes Kapital wieder
zerstört werde.

Nehmen wir einmal den Prospekt einer sonst wohlberufenen süddeutschen
Nentenversicherungsanstalt, oder auch den Auszug aus derselben, welchen die
Anstalt seit Jahren in allen Journalen und Wochenschriften publizirt. Von
vornherein muß man schon überaus mißtrauisch werden durch den Satz, welcher
besagt, „die Aufnahme sei unabhängig vom Gesundheitszustande." Dieser Satz
ist offenbar auf Erweckung falscher Vorstellungen beim Publikum berechnet,
da er doch nur den Zweck haben kann, diese „Unabhängigkeit vom Gesundheits¬
zustande" als einen dein Publikum gebotenen besondern Vorteil darzustellen,
während der Käufer einer Leibrente doch selbstverständlich der Bank umso er¬
wünschter sein muß, je schlechter sein Gesundheitszustand ist. Stirbt er morgen,
so ist dies der Bank ja am allerliebsten! Warum soll sie sich da auch noch
um den Gesundheitszustand kümmern? Die besondre Hervorhebung dieses
Punktes kann kaum anders als schwindelhaft genannt werden; sie ist eine
Anlockung auf innerlich unwahre, eine bewußte Täuschung des Publikums in
sich schließende Gesichtspunkte hin.

Sehen wir uns nun aber einmal die Grundlagen des Ncntenkaufs selbst
an. Für ein Kapital von 100 Mark wird dem 40 jährigen Manne eine sofort
beginnende Rente von 6 M. 41 Pf., dem 45 jährigen von 6 M. 85 Pf., dem
50jährigen von 7 M. 40 Pf., dem 5ö jährigen von 8 M. 8 Pf., dem 60jährigen
von 8 M. 93 Pf., dem 66jährigen von 10 M. 3 Pf., dem 70 jährigen endlich


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[0229] Mißbräuche dos ^'ebensversicherungswesons. bietet, um auch diesen Zweig großzuziehen, andrerseits sich aufs erbittertste gegen alle Angriffe (und in der Regelung des Unfallvcrsicherungswesens wurde nicht mit Unrecht ein solcher erblickt) zur Wehr setzt. Da darf es sich denn nicht wundern, wenn ein prinzipieller Gegner dieser Kapitalherrschaft auch dem Lebensversicherungswesen einmal scharf auf die Finger sieht und es in einem Punkte öffentlich zur Sprache bringt, welcher mit besondrer Deutlichkeit erkennen läßt, daß wenigstens ein bestimmter Zweig desselben in gröblichster Weise auf Ausbeutung des Publikums berechnet ist. Mögen andre zusehen, ob es sich nicht mit andern Zweigen ähnlich verhalte. Ich meine die Versicherung von Leibrenten. Wiederum ist ja an und für sich ohne weiteres anzuerkennen, daß diese Versichernngsform in vielen Fällen einem reellen Bedürfnisse entspricht, und ich selbst (der ich kinderlos bin) habe mich lange mit dem Gedanken getragen, von einem bestimmten Zeitpunkte ab einen Teil meiner verfügbaren Mittel auf den Ankauf einer Leibrente zu ver¬ wenden. Aber ich bin, nachdem ich mir die Prospekte der Lebensversicherungs- gesellschaften angesehen, von diesem Gedanken zurückgekommen, denn ich mußte mir sagen, daß es geradezu gewissenlos sein würde, um der paar Prozente Mehreinkommen willen, welche für mich auf diese Weise zu gewinnen wären, meinen Erben große Summen zu entziehen und obendrein der National¬ wirtschaft den Schaden zuzufügen, daß ein angesammeltes Kapital wieder zerstört werde. Nehmen wir einmal den Prospekt einer sonst wohlberufenen süddeutschen Nentenversicherungsanstalt, oder auch den Auszug aus derselben, welchen die Anstalt seit Jahren in allen Journalen und Wochenschriften publizirt. Von vornherein muß man schon überaus mißtrauisch werden durch den Satz, welcher besagt, „die Aufnahme sei unabhängig vom Gesundheitszustande." Dieser Satz ist offenbar auf Erweckung falscher Vorstellungen beim Publikum berechnet, da er doch nur den Zweck haben kann, diese „Unabhängigkeit vom Gesundheits¬ zustande" als einen dein Publikum gebotenen besondern Vorteil darzustellen, während der Käufer einer Leibrente doch selbstverständlich der Bank umso er¬ wünschter sein muß, je schlechter sein Gesundheitszustand ist. Stirbt er morgen, so ist dies der Bank ja am allerliebsten! Warum soll sie sich da auch noch um den Gesundheitszustand kümmern? Die besondre Hervorhebung dieses Punktes kann kaum anders als schwindelhaft genannt werden; sie ist eine Anlockung auf innerlich unwahre, eine bewußte Täuschung des Publikums in sich schließende Gesichtspunkte hin. Sehen wir uns nun aber einmal die Grundlagen des Ncntenkaufs selbst an. Für ein Kapital von 100 Mark wird dem 40 jährigen Manne eine sofort beginnende Rente von 6 M. 41 Pf., dem 45 jährigen von 6 M. 85 Pf., dem 50jährigen von 7 M. 40 Pf., dem 5ö jährigen von 8 M. 8 Pf., dem 60jährigen von 8 M. 93 Pf., dem 66jährigen von 10 M. 3 Pf., dem 70 jährigen endlich Grimzb»ki>n I. 1885. 28

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/229>, abgerufen am 22.07.2024.