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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Ungehaltene Reden eines Nichtaewähltcn.

in der Lage, den Zusammenhang völlig aufzuklären. Der Tambour Haberstroh
hat den Vorgang seiner Geliebten, der Köchin Karoline, anvertraut, und wir
haben keinen Grund anzunehmen, daß er dein Wesen, welches ihm über alles
teuer ist, einen Bären aufgebunden habe, Karoline hinterbrachte als gute Tochter
die Neuigkeit ihrer Mutter, einer achtbaren Waschfrau, welche dieselbe in voller
Entrüstung noch brühwarm einer Kollegin am Waschkessel mitteilte. Letztere
hielt die Sache für ernst genug, um sofort ihren Mann davon in Kenntnis zu
setzen. Der Mau" ist Barbier, steht also im Dienste der Publizität, ist aber
außerdem entschieden freisinnig. Er begnügte sich daher nicht, allen Kunden zu
erzählen, was sich ereignet hatte, sondern erstattete pflichtmäßig dienstlichen
Rapport an deu Parteichef. Leider ist bei uns die Organisation noch so mangel¬
haft, daß dem Parteichef nicht, wie es in der Ordnung wäre, die Befugnis zu¬
steht, eine Untersuchung einzuleiten und bis zu deren Ausgange den Offizier zu
suspendiren: er mußte also den Umweg über den Kriegsminister nehmen. Sie
sehen also, meine Herren, daß alles seinen vorschriftsmäßigen Weg gegangen
ist. Nun ziehen Sie aber folgendes in Betracht. Der Offizier hat von der
Partei gesprochen, welche thut, was der Kaiser will. Damit kann er nur die
Partei des Abgeordneten Richter gemeint haben, denn eben dieser, der genauer
als irgendeiner (den Kaiser nicht ausgenommen) des Kaisers Willen kennt, der
nur dessen Willen befolgt, der bereit war, mit seinem Leibe das Haus Hohen-
zollern gegen die Attentate des bösen Kanzlers zu schütze", ist bekanntlich die
Verkörperung der freisinnigen Partei. Ihm als Parteimann konnte mithin die
Ansprache jenes Offiziers ganz gelegen sein; allein das Gerechtigkeitsgefühl ist
in ihm mächtiger als der Parteigeist, er selbst überlieferte den Bundesgenossen,
Welcher seine Stellung mißbraucht haben soll, dem Richter, und nicht anders
würde er handeln, wäre jener sein eigner Sohn. Wahrlich, wenn künftig in
den Schulen die Bürgertugend gepriesen wird, muß neben Junius Brutus Eugen
Richter genannt werden! Und keine passendere Legende wüßte ich für eine Me¬
daille, für ein Denkmal zu Ehren des großen Patrioten vorzuschlagen, als jene
öffentliche Anklage des eignen Verbündeten. Ja, meine Herren, es ist Zeit, daß
wir daran denken, unsern großen Rednern noch bei Lebzeiten Denkmäler zu er¬
richten, denn wer weiß, ob die Nachwelt für ihre Verdienste das richtige Ver¬
ständnis haben wird? Ich denke mir z. B, daß eine Doppelherme, Richterund
Windthorst, aus (zarwu-xierrv angefertigt und in allen Volksschule" aufgestellt
Werden sollte. OM-ton-xleM -- Steinpappe -- ist es nötig, Sie darauf auf¬
merksam zu machen, welche sinnigen Beziehungen sich schon ans diesem Namen
ergeben? Und das würde garnicht teuer kommen. Wenn alle unnützen Reden
"ut Artikel der beiden Heroen eingestampft würden, so könnten von dem Brei
unzählige Dvppelbüsten geformt werden, stummberedte Verkttndiger der Wahrheit,
daß Mundwerk und Druckpapier die Elemente der Größe und des Ruhmes sind.

Ich empfehle diesen Gedanken Ihrer wohlwollenden Erwägung.




Ungehaltene Reden eines Nichtaewähltcn.

in der Lage, den Zusammenhang völlig aufzuklären. Der Tambour Haberstroh
hat den Vorgang seiner Geliebten, der Köchin Karoline, anvertraut, und wir
haben keinen Grund anzunehmen, daß er dein Wesen, welches ihm über alles
teuer ist, einen Bären aufgebunden habe, Karoline hinterbrachte als gute Tochter
die Neuigkeit ihrer Mutter, einer achtbaren Waschfrau, welche dieselbe in voller
Entrüstung noch brühwarm einer Kollegin am Waschkessel mitteilte. Letztere
hielt die Sache für ernst genug, um sofort ihren Mann davon in Kenntnis zu
setzen. Der Mau» ist Barbier, steht also im Dienste der Publizität, ist aber
außerdem entschieden freisinnig. Er begnügte sich daher nicht, allen Kunden zu
erzählen, was sich ereignet hatte, sondern erstattete pflichtmäßig dienstlichen
Rapport an deu Parteichef. Leider ist bei uns die Organisation noch so mangel¬
haft, daß dem Parteichef nicht, wie es in der Ordnung wäre, die Befugnis zu¬
steht, eine Untersuchung einzuleiten und bis zu deren Ausgange den Offizier zu
suspendiren: er mußte also den Umweg über den Kriegsminister nehmen. Sie
sehen also, meine Herren, daß alles seinen vorschriftsmäßigen Weg gegangen
ist. Nun ziehen Sie aber folgendes in Betracht. Der Offizier hat von der
Partei gesprochen, welche thut, was der Kaiser will. Damit kann er nur die
Partei des Abgeordneten Richter gemeint haben, denn eben dieser, der genauer
als irgendeiner (den Kaiser nicht ausgenommen) des Kaisers Willen kennt, der
nur dessen Willen befolgt, der bereit war, mit seinem Leibe das Haus Hohen-
zollern gegen die Attentate des bösen Kanzlers zu schütze», ist bekanntlich die
Verkörperung der freisinnigen Partei. Ihm als Parteimann konnte mithin die
Ansprache jenes Offiziers ganz gelegen sein; allein das Gerechtigkeitsgefühl ist
in ihm mächtiger als der Parteigeist, er selbst überlieferte den Bundesgenossen,
Welcher seine Stellung mißbraucht haben soll, dem Richter, und nicht anders
würde er handeln, wäre jener sein eigner Sohn. Wahrlich, wenn künftig in
den Schulen die Bürgertugend gepriesen wird, muß neben Junius Brutus Eugen
Richter genannt werden! Und keine passendere Legende wüßte ich für eine Me¬
daille, für ein Denkmal zu Ehren des großen Patrioten vorzuschlagen, als jene
öffentliche Anklage des eignen Verbündeten. Ja, meine Herren, es ist Zeit, daß
wir daran denken, unsern großen Rednern noch bei Lebzeiten Denkmäler zu er¬
richten, denn wer weiß, ob die Nachwelt für ihre Verdienste das richtige Ver¬
ständnis haben wird? Ich denke mir z. B, daß eine Doppelherme, Richterund
Windthorst, aus (zarwu-xierrv angefertigt und in allen Volksschule» aufgestellt
Werden sollte. OM-ton-xleM — Steinpappe — ist es nötig, Sie darauf auf¬
merksam zu machen, welche sinnigen Beziehungen sich schon ans diesem Namen
ergeben? Und das würde garnicht teuer kommen. Wenn alle unnützen Reden
«ut Artikel der beiden Heroen eingestampft würden, so könnten von dem Brei
unzählige Dvppelbüsten geformt werden, stummberedte Verkttndiger der Wahrheit,
daß Mundwerk und Druckpapier die Elemente der Größe und des Ruhmes sind.

Ich empfehle diesen Gedanken Ihrer wohlwollenden Erwägung.




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[0207] Ungehaltene Reden eines Nichtaewähltcn. in der Lage, den Zusammenhang völlig aufzuklären. Der Tambour Haberstroh hat den Vorgang seiner Geliebten, der Köchin Karoline, anvertraut, und wir haben keinen Grund anzunehmen, daß er dein Wesen, welches ihm über alles teuer ist, einen Bären aufgebunden habe, Karoline hinterbrachte als gute Tochter die Neuigkeit ihrer Mutter, einer achtbaren Waschfrau, welche dieselbe in voller Entrüstung noch brühwarm einer Kollegin am Waschkessel mitteilte. Letztere hielt die Sache für ernst genug, um sofort ihren Mann davon in Kenntnis zu setzen. Der Mau» ist Barbier, steht also im Dienste der Publizität, ist aber außerdem entschieden freisinnig. Er begnügte sich daher nicht, allen Kunden zu erzählen, was sich ereignet hatte, sondern erstattete pflichtmäßig dienstlichen Rapport an deu Parteichef. Leider ist bei uns die Organisation noch so mangel¬ haft, daß dem Parteichef nicht, wie es in der Ordnung wäre, die Befugnis zu¬ steht, eine Untersuchung einzuleiten und bis zu deren Ausgange den Offizier zu suspendiren: er mußte also den Umweg über den Kriegsminister nehmen. Sie sehen also, meine Herren, daß alles seinen vorschriftsmäßigen Weg gegangen ist. Nun ziehen Sie aber folgendes in Betracht. Der Offizier hat von der Partei gesprochen, welche thut, was der Kaiser will. Damit kann er nur die Partei des Abgeordneten Richter gemeint haben, denn eben dieser, der genauer als irgendeiner (den Kaiser nicht ausgenommen) des Kaisers Willen kennt, der nur dessen Willen befolgt, der bereit war, mit seinem Leibe das Haus Hohen- zollern gegen die Attentate des bösen Kanzlers zu schütze», ist bekanntlich die Verkörperung der freisinnigen Partei. Ihm als Parteimann konnte mithin die Ansprache jenes Offiziers ganz gelegen sein; allein das Gerechtigkeitsgefühl ist in ihm mächtiger als der Parteigeist, er selbst überlieferte den Bundesgenossen, Welcher seine Stellung mißbraucht haben soll, dem Richter, und nicht anders würde er handeln, wäre jener sein eigner Sohn. Wahrlich, wenn künftig in den Schulen die Bürgertugend gepriesen wird, muß neben Junius Brutus Eugen Richter genannt werden! Und keine passendere Legende wüßte ich für eine Me¬ daille, für ein Denkmal zu Ehren des großen Patrioten vorzuschlagen, als jene öffentliche Anklage des eignen Verbündeten. Ja, meine Herren, es ist Zeit, daß wir daran denken, unsern großen Rednern noch bei Lebzeiten Denkmäler zu er¬ richten, denn wer weiß, ob die Nachwelt für ihre Verdienste das richtige Ver¬ ständnis haben wird? Ich denke mir z. B, daß eine Doppelherme, Richterund Windthorst, aus (zarwu-xierrv angefertigt und in allen Volksschule» aufgestellt Werden sollte. OM-ton-xleM — Steinpappe — ist es nötig, Sie darauf auf¬ merksam zu machen, welche sinnigen Beziehungen sich schon ans diesem Namen ergeben? Und das würde garnicht teuer kommen. Wenn alle unnützen Reden «ut Artikel der beiden Heroen eingestampft würden, so könnten von dem Brei unzählige Dvppelbüsten geformt werden, stummberedte Verkttndiger der Wahrheit, daß Mundwerk und Druckpapier die Elemente der Größe und des Ruhmes sind. Ich empfehle diesen Gedanken Ihrer wohlwollenden Erwägung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/207>, abgerufen am 22.07.2024.