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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Es ist nicht schwer zu erraten, wen wir bei diesen Bemerkungen in erster
Linie im Ange haben. Wir meinen niemand anders als Friedrich Pecht in
München, den "deutschen Vasari," und sein Opus: Deutsche Künstler des
19. Jahrhunderts, von dem uns vor wenigen Wochen ein neuer, der
vierte Band, beschert worden ist. Wir sind erstaunt über die Kühnheit, mit
der Pecht bei seinen Leistungen Anspruch auf den Ehrennamen eines "deutschen
Vasari" erhebt, und über die Naivität derer, die ihm denselben zuerkennen.
Sich einen solchen Ruhmestitel beilegen zu können, dazu fehlen dem Münchener
Kritiker fast alle nötigen Vorbedingungen. Nur die Fehler und Mängel des
alten Jtalieners könnte er als Vergleichungsmomente für sich anführen: der
"deutsche Vasari" steht in den vielen historischen Ungenauigkeiten nicht hinter
seinem Vorbilde zurück. Was wir aber an Vasari rühmen, die vollendete Schön¬
heit der Sprache, die treffende Wahrheit, Lebendigkeit und Anmut in der Dar¬
stellung künstlerischer Gegenstände, die Schärfe und Klarheit des Urteils/') das
dürften nur wenige Leser, natürlich mit Ausnahme seiner speziellen Freunde,
in Pechts Küustlerbiographien wiederfinden. schwankend in feinen ästhetischen
Grundanschauungen, mit wunderbarer Geschicklichkeit den im Laufe der Zeit zu
tage getretenen Richtungen sich anpassend, heute voll Lob für einen Künstler,
dessen gleichartige Schöpfungen morgen den herbsten Tadel erfahren -- Ueber,
der literarische Kompagnon Pechts, nennt diese Wandelbarkeit mit einem Bon¬
mot, das niedriger gehängt zu werden verdient, die Fähigkeit, "vorurteilslos und
unverknöchert dem Gange seiner Zeit sich anzuschließen" --, ist sich Pecht bis
heute nicht darüber klar geworden, daß in der Kunstgeschichte wie in aller Ge¬
schichte das Urteilen erst an zweiter oder dritter Stelle kommt und die erste
und wichtigste Aufgabe des Historikers die Feststellung der Thatsachen und ihre
Einreihung in den Gang der Entwicklung ist. Ist dies geschehen, dann gilt es,
dieselben zu begreifen, und erst auf Grund des so gewonnenen Verständnisses
kann ein einigermaßen wertvolles Urteil abgegeben werden. Das ist die Me¬
thode, welche alle großen Geschichtschreiber beobachtet haben, und eine andre
giebt es auch für die Kunstgeschichte nicht. Wir wollen daher nicht hoffen, daß
die Prophezeiung, die Reder neulich in der "Allgemeinen Zeitung" Pecht zu
geben in frcundnachbarlicher Gesinnung für nötig hielt, daß nämlich in Zukunft
der "Vasari des 19. Jahrhunderts" in der allgemeinen Wertschätzung gewinnen
werde, jemals in Erfüllung gehe. Wenn ein fo charakterloses Knnstgeschwätz,
wie es Pecht in seinem neuesten Bande in Anknüpfung an Schinkel und A. von
Werner verführt,**) je als Kunstgeschichte gelten sollte, wäre jede Beschäftigung
mit derselben Verlorne Zeit.




*) Berge. Ludwig Schorn in der Einleitung zu seiner Übersetzung des Vasari.
**) Nicht viel besser ist der von Pecht bearbeitete Abschnitt in Rebers "Geschichte der
neueren deutschen Kunst."
Grenzboten I. 1385. 24

Es ist nicht schwer zu erraten, wen wir bei diesen Bemerkungen in erster
Linie im Ange haben. Wir meinen niemand anders als Friedrich Pecht in
München, den „deutschen Vasari," und sein Opus: Deutsche Künstler des
19. Jahrhunderts, von dem uns vor wenigen Wochen ein neuer, der
vierte Band, beschert worden ist. Wir sind erstaunt über die Kühnheit, mit
der Pecht bei seinen Leistungen Anspruch auf den Ehrennamen eines „deutschen
Vasari" erhebt, und über die Naivität derer, die ihm denselben zuerkennen.
Sich einen solchen Ruhmestitel beilegen zu können, dazu fehlen dem Münchener
Kritiker fast alle nötigen Vorbedingungen. Nur die Fehler und Mängel des
alten Jtalieners könnte er als Vergleichungsmomente für sich anführen: der
„deutsche Vasari" steht in den vielen historischen Ungenauigkeiten nicht hinter
seinem Vorbilde zurück. Was wir aber an Vasari rühmen, die vollendete Schön¬
heit der Sprache, die treffende Wahrheit, Lebendigkeit und Anmut in der Dar¬
stellung künstlerischer Gegenstände, die Schärfe und Klarheit des Urteils/') das
dürften nur wenige Leser, natürlich mit Ausnahme seiner speziellen Freunde,
in Pechts Küustlerbiographien wiederfinden. schwankend in feinen ästhetischen
Grundanschauungen, mit wunderbarer Geschicklichkeit den im Laufe der Zeit zu
tage getretenen Richtungen sich anpassend, heute voll Lob für einen Künstler,
dessen gleichartige Schöpfungen morgen den herbsten Tadel erfahren — Ueber,
der literarische Kompagnon Pechts, nennt diese Wandelbarkeit mit einem Bon¬
mot, das niedriger gehängt zu werden verdient, die Fähigkeit, „vorurteilslos und
unverknöchert dem Gange seiner Zeit sich anzuschließen" —, ist sich Pecht bis
heute nicht darüber klar geworden, daß in der Kunstgeschichte wie in aller Ge¬
schichte das Urteilen erst an zweiter oder dritter Stelle kommt und die erste
und wichtigste Aufgabe des Historikers die Feststellung der Thatsachen und ihre
Einreihung in den Gang der Entwicklung ist. Ist dies geschehen, dann gilt es,
dieselben zu begreifen, und erst auf Grund des so gewonnenen Verständnisses
kann ein einigermaßen wertvolles Urteil abgegeben werden. Das ist die Me¬
thode, welche alle großen Geschichtschreiber beobachtet haben, und eine andre
giebt es auch für die Kunstgeschichte nicht. Wir wollen daher nicht hoffen, daß
die Prophezeiung, die Reder neulich in der „Allgemeinen Zeitung" Pecht zu
geben in frcundnachbarlicher Gesinnung für nötig hielt, daß nämlich in Zukunft
der „Vasari des 19. Jahrhunderts" in der allgemeinen Wertschätzung gewinnen
werde, jemals in Erfüllung gehe. Wenn ein fo charakterloses Knnstgeschwätz,
wie es Pecht in seinem neuesten Bande in Anknüpfung an Schinkel und A. von
Werner verführt,**) je als Kunstgeschichte gelten sollte, wäre jede Beschäftigung
mit derselben Verlorne Zeit.




*) Berge. Ludwig Schorn in der Einleitung zu seiner Übersetzung des Vasari.
**) Nicht viel besser ist der von Pecht bearbeitete Abschnitt in Rebers „Geschichte der
neueren deutschen Kunst."
Grenzboten I. 1385. 24
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[0197] Es ist nicht schwer zu erraten, wen wir bei diesen Bemerkungen in erster Linie im Ange haben. Wir meinen niemand anders als Friedrich Pecht in München, den „deutschen Vasari," und sein Opus: Deutsche Künstler des 19. Jahrhunderts, von dem uns vor wenigen Wochen ein neuer, der vierte Band, beschert worden ist. Wir sind erstaunt über die Kühnheit, mit der Pecht bei seinen Leistungen Anspruch auf den Ehrennamen eines „deutschen Vasari" erhebt, und über die Naivität derer, die ihm denselben zuerkennen. Sich einen solchen Ruhmestitel beilegen zu können, dazu fehlen dem Münchener Kritiker fast alle nötigen Vorbedingungen. Nur die Fehler und Mängel des alten Jtalieners könnte er als Vergleichungsmomente für sich anführen: der „deutsche Vasari" steht in den vielen historischen Ungenauigkeiten nicht hinter seinem Vorbilde zurück. Was wir aber an Vasari rühmen, die vollendete Schön¬ heit der Sprache, die treffende Wahrheit, Lebendigkeit und Anmut in der Dar¬ stellung künstlerischer Gegenstände, die Schärfe und Klarheit des Urteils/') das dürften nur wenige Leser, natürlich mit Ausnahme seiner speziellen Freunde, in Pechts Küustlerbiographien wiederfinden. schwankend in feinen ästhetischen Grundanschauungen, mit wunderbarer Geschicklichkeit den im Laufe der Zeit zu tage getretenen Richtungen sich anpassend, heute voll Lob für einen Künstler, dessen gleichartige Schöpfungen morgen den herbsten Tadel erfahren — Ueber, der literarische Kompagnon Pechts, nennt diese Wandelbarkeit mit einem Bon¬ mot, das niedriger gehängt zu werden verdient, die Fähigkeit, „vorurteilslos und unverknöchert dem Gange seiner Zeit sich anzuschließen" —, ist sich Pecht bis heute nicht darüber klar geworden, daß in der Kunstgeschichte wie in aller Ge¬ schichte das Urteilen erst an zweiter oder dritter Stelle kommt und die erste und wichtigste Aufgabe des Historikers die Feststellung der Thatsachen und ihre Einreihung in den Gang der Entwicklung ist. Ist dies geschehen, dann gilt es, dieselben zu begreifen, und erst auf Grund des so gewonnenen Verständnisses kann ein einigermaßen wertvolles Urteil abgegeben werden. Das ist die Me¬ thode, welche alle großen Geschichtschreiber beobachtet haben, und eine andre giebt es auch für die Kunstgeschichte nicht. Wir wollen daher nicht hoffen, daß die Prophezeiung, die Reder neulich in der „Allgemeinen Zeitung" Pecht zu geben in frcundnachbarlicher Gesinnung für nötig hielt, daß nämlich in Zukunft der „Vasari des 19. Jahrhunderts" in der allgemeinen Wertschätzung gewinnen werde, jemals in Erfüllung gehe. Wenn ein fo charakterloses Knnstgeschwätz, wie es Pecht in seinem neuesten Bande in Anknüpfung an Schinkel und A. von Werner verführt,**) je als Kunstgeschichte gelten sollte, wäre jede Beschäftigung mit derselben Verlorne Zeit. *) Berge. Ludwig Schorn in der Einleitung zu seiner Übersetzung des Vasari. **) Nicht viel besser ist der von Pecht bearbeitete Abschnitt in Rebers „Geschichte der neueren deutschen Kunst." Grenzboten I. 1385. 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/197>, abgerufen am 22.07.2024.