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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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dings verhandelten Reinsdorffschen Hochverratsprozesse die Anhänger der Ver¬
urteilten es gewagt haben, die höchsten Richter für den Fall gewissenhafter
Erfüllung der ihnen obliegenden Pflicht mit dein Tode zu bedrohen, so kann,
obgleich bis jetzt der Mörder des Polizeirath Rumpfs noch nicht gefaßt ist, es
keinem Zweifel mehr unterliegen, daß der vorliegende Mord ein Werk der
Anarchisten ist und an dem Opfer in Ausführung der Drohungen wegen seiner
Thätigkeit in dem 1881er Hvchverratsprozesse begangen wurde.

Der Anlaß ist geeignet, sich die Frage vorzulegen: Sind die bestehenden
gesetzlichen Einrichtungen hinreichend, um dem Treiben der Anarchisten mit
Aussicht auf Erfolg entgegenzutreten, und sind insbesondre die im Dienste des
Staates und der Gesellschaft thätigen, ihr Leben jeden Augenblick einsetzenden
Beamten genügend gegen Angriffe geschützt? Die Antwort kann nur lauten:
Nein! durchaus nein! -- Was die letzte Frage betrifft, so ist in dieser Beziehung
gleich an die von dein Polizeipräsidenten von Hergenhahn ausgesetzte Belohnung
von zunächst dreitausend, später zehntausend Mark für Anzeige des Thäters
anzuknüpfen. Solange ein Zeuge weiß, daß er leine Aussicht auf Geheim¬
haltung seines Namens hat, und deshalb nach gemachter Anzeige jeden Augen¬
blick riskiren muß, von den Anhängern des Denunzirten ermordet zu werden,
wird ihn die Aussicht ans Gewinn der ausgesetzten Summe nicht leicht bewegen,
seine sichere Verborgenheit gegen die unsichere Hoffnung auf ungestörten Genuß
des erlangten Gewinnes auf das Spiel zu setzen. Diese Aussicht auf Ge¬
heimhaltung seines Namens in dein zu erwartenden Prozesse kann aber dem
Zeugen nicht eröffnet werden, denn nach der bestehenden Prozeßordnung müssen
nicht nur dem Angeklagten sämtliche Zeugen namhaft gemacht werden, und zwar
nicht erst in der Hanptverhnndlnng, vielmehr schon lange vorher in der An¬
klageschrift, sondern es sind trotz der unter Umstünden gewährten Möglichkeit
der Verhandlung bei geschlossenen Thüren die gesetzlich zulässigen Maßregeln
zur Erwirkung wirklich geheimer Verhandlung so unzureichend, daß von einer
ernstlichen Geheimhaltung irgendeines Beweismittels gegenüber dem Publikum
keine Rede sein kann. Die Borkehrungen zum Schutze der Verbrecher gehen
ja heute noch den Demokraten und dergleichen Leuten nicht weit genug, und
es finden sich bereits Blatter dieser Richtung, welche bei dem vorliegenden
Morde des Polizeirath Rumpfs an dessen "wenig rühmliche Thätigkeit" in dem
genannten Hochverratsprozesse anknüpfen und damit mehr oder weniger deutlich
ihren Lesern zu verstehen geben, wenn auch die Ermordung des Beamten gerade
nicht zu billigen sei, so habe er sich dieselbe doch selbst zuzuschreiben, weil er
in dem genannten Hvchverratsprozesse Mittel zur Erforschung der Wahrheit
angewendet habe, welche sich aus ethischen Gründen nicht rechtfertigen lassen.
Der ermordete Beamte ist schon während des betreffenden Hochverratsprozesses
in der Demokratenpresse vielfach angegriffen worden, und einer der Herren
brachte die Sache sogar im Reichstage zur Sprache. Bei der Neigung eines


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dings verhandelten Reinsdorffschen Hochverratsprozesse die Anhänger der Ver¬
urteilten es gewagt haben, die höchsten Richter für den Fall gewissenhafter
Erfüllung der ihnen obliegenden Pflicht mit dein Tode zu bedrohen, so kann,
obgleich bis jetzt der Mörder des Polizeirath Rumpfs noch nicht gefaßt ist, es
keinem Zweifel mehr unterliegen, daß der vorliegende Mord ein Werk der
Anarchisten ist und an dem Opfer in Ausführung der Drohungen wegen seiner
Thätigkeit in dem 1881er Hvchverratsprozesse begangen wurde.

Der Anlaß ist geeignet, sich die Frage vorzulegen: Sind die bestehenden
gesetzlichen Einrichtungen hinreichend, um dem Treiben der Anarchisten mit
Aussicht auf Erfolg entgegenzutreten, und sind insbesondre die im Dienste des
Staates und der Gesellschaft thätigen, ihr Leben jeden Augenblick einsetzenden
Beamten genügend gegen Angriffe geschützt? Die Antwort kann nur lauten:
Nein! durchaus nein! — Was die letzte Frage betrifft, so ist in dieser Beziehung
gleich an die von dein Polizeipräsidenten von Hergenhahn ausgesetzte Belohnung
von zunächst dreitausend, später zehntausend Mark für Anzeige des Thäters
anzuknüpfen. Solange ein Zeuge weiß, daß er leine Aussicht auf Geheim¬
haltung seines Namens hat, und deshalb nach gemachter Anzeige jeden Augen¬
blick riskiren muß, von den Anhängern des Denunzirten ermordet zu werden,
wird ihn die Aussicht ans Gewinn der ausgesetzten Summe nicht leicht bewegen,
seine sichere Verborgenheit gegen die unsichere Hoffnung auf ungestörten Genuß
des erlangten Gewinnes auf das Spiel zu setzen. Diese Aussicht auf Ge¬
heimhaltung seines Namens in dein zu erwartenden Prozesse kann aber dem
Zeugen nicht eröffnet werden, denn nach der bestehenden Prozeßordnung müssen
nicht nur dem Angeklagten sämtliche Zeugen namhaft gemacht werden, und zwar
nicht erst in der Hanptverhnndlnng, vielmehr schon lange vorher in der An¬
klageschrift, sondern es sind trotz der unter Umstünden gewährten Möglichkeit
der Verhandlung bei geschlossenen Thüren die gesetzlich zulässigen Maßregeln
zur Erwirkung wirklich geheimer Verhandlung so unzureichend, daß von einer
ernstlichen Geheimhaltung irgendeines Beweismittels gegenüber dem Publikum
keine Rede sein kann. Die Borkehrungen zum Schutze der Verbrecher gehen
ja heute noch den Demokraten und dergleichen Leuten nicht weit genug, und
es finden sich bereits Blatter dieser Richtung, welche bei dem vorliegenden
Morde des Polizeirath Rumpfs an dessen „wenig rühmliche Thätigkeit" in dem
genannten Hochverratsprozesse anknüpfen und damit mehr oder weniger deutlich
ihren Lesern zu verstehen geben, wenn auch die Ermordung des Beamten gerade
nicht zu billigen sei, so habe er sich dieselbe doch selbst zuzuschreiben, weil er
in dem genannten Hvchverratsprozesse Mittel zur Erforschung der Wahrheit
angewendet habe, welche sich aus ethischen Gründen nicht rechtfertigen lassen.
Der ermordete Beamte ist schon während des betreffenden Hochverratsprozesses
in der Demokratenpresse vielfach angegriffen worden, und einer der Herren
brachte die Sache sogar im Reichstage zur Sprache. Bei der Neigung eines


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/183>, abgerufen am 22.07.2024.