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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Dus Publikum.

geisterungsfcihigen isoliren, sie der Alltäglichkeit entziehen und sie gleichsam in
eine ideale, kunstgeschwüngerte Atmosphäre versetzen, um so den höchsten Grad
der Empfänglichkeit in ihnen zu erregen, sie ganz sich, d. h. Wagners Sich,
diesem alles andre ausschließenden und sich selbst zum All, zum All der Kunst,
ja zum Weltall sich erweiternden Sich zu eigen zu machen. Das ungefähr
war die Theorie Wagners gewesen.

Und die Praxis? Die Praxis gab ihm Recht, nicht wahr? Ohne Zweifel.
Wenn man dem glauben dürfte, was man sah und hörte, wenn man von den
Ach's und Oh's der Bewunderung bis zu den bändereichen Auslegungen und
Variiruugen dieser Ach's und Oh's alles glauben, alles für baare Münze nehmen
durfte, dann hätte der "Meister" Recht behalten. Die große Menge wenigstens,
die große Menge, auf die er in der Zeit seines Werdens, in der Zeit der Er¬
folglosigkeit so viel und weidlich zu schimpfen pflegte, sie hatte zu allem Ja
und Amen gesagt, was er ihr vorzuschwatzen beliebt hatte. Er hatte ja so
Recht -- auch in der Praxis.

Und doch gab es einzelne Leute, die den Kopf schüttelten auch noch nach
dem großen Siege, Leute, die mitten im Tosen des Beifalls ganz leise zu sich
sagten, daß doch nicht alles so sei, wie es sein sollte, Leute, die endlich zu der
klaren Einsicht gelangten, daß selbst in diesem ganz ausnahmsweisen Falle
wieder einmal das Wort gelte, daß die Theorie nicht immer zur Praxis passe,
oder richtiger hier die Praxis zur Theorie.

Daß ich zu diesen wenigen einzelnen, gewiß recht verstockten, möglicherweise
beklagenswerten Leuten gehörte, habe ich mir schon im Eingange dieser Zeilen
zu bemerken erlaubt. Auf mich machte es einen seltsamen, unangenehmen,
mesquinen Eindruck, dieses Baireuth mit allem, was sich während der Fest-
spieltagc dort zutrug. Da lobe ich mir doch die Alltäglichkeit. Sie regt uicht
an, sie begeistert nicht, sie setzt nicht in Kunststimmung, aber sie stört auch-
uicht. Die Alltäglichkeit, und wenn sie auch recht alltäglich ist und für den,
der außer ihr steht, sich auch langweilig, geisttötend, unbequem, ja unerträglich
ausnehmen mag -- man ist sie doch nun einmal gewöhnt. Und dann, wenn sie
dem, der in ihr steckt, auch lieb und wert ist wie ein alter Rock oder ein behaglich
eingerichtetes, gut durchwärmtes Zimmer, mau sehnt sich doch, auch wenn man
der eingefleischteste Philister ist, immer ein bißchen aus ihr hinaus; man ist
nicht abgeneigt, sich auch einmal die Welt von einem andern Standpunkte aus
anzusehen, und da giebt es denn kein bequemeres Mittel, um aus der Alltäg¬
lichkeit hinauszukommen und doch in ihr zu bleiben, körperlich nämlich, als
seinen Geist auf Reisen zu schicken, ein gutes Buch in die Hand zu nehmen oder
ins Theater zu fahren. Wir brauchen uns da garnicht erst zu sammeln; wir
sind nicht zerstreut, kein ungewöhnlicher Eindruck präkkoupirt uus, und das
übrige, die Erhebung, die Begeisterung, das besorgt eben die Kunst


Dus Publikum.

geisterungsfcihigen isoliren, sie der Alltäglichkeit entziehen und sie gleichsam in
eine ideale, kunstgeschwüngerte Atmosphäre versetzen, um so den höchsten Grad
der Empfänglichkeit in ihnen zu erregen, sie ganz sich, d. h. Wagners Sich,
diesem alles andre ausschließenden und sich selbst zum All, zum All der Kunst,
ja zum Weltall sich erweiternden Sich zu eigen zu machen. Das ungefähr
war die Theorie Wagners gewesen.

Und die Praxis? Die Praxis gab ihm Recht, nicht wahr? Ohne Zweifel.
Wenn man dem glauben dürfte, was man sah und hörte, wenn man von den
Ach's und Oh's der Bewunderung bis zu den bändereichen Auslegungen und
Variiruugen dieser Ach's und Oh's alles glauben, alles für baare Münze nehmen
durfte, dann hätte der „Meister" Recht behalten. Die große Menge wenigstens,
die große Menge, auf die er in der Zeit seines Werdens, in der Zeit der Er¬
folglosigkeit so viel und weidlich zu schimpfen pflegte, sie hatte zu allem Ja
und Amen gesagt, was er ihr vorzuschwatzen beliebt hatte. Er hatte ja so
Recht — auch in der Praxis.

Und doch gab es einzelne Leute, die den Kopf schüttelten auch noch nach
dem großen Siege, Leute, die mitten im Tosen des Beifalls ganz leise zu sich
sagten, daß doch nicht alles so sei, wie es sein sollte, Leute, die endlich zu der
klaren Einsicht gelangten, daß selbst in diesem ganz ausnahmsweisen Falle
wieder einmal das Wort gelte, daß die Theorie nicht immer zur Praxis passe,
oder richtiger hier die Praxis zur Theorie.

Daß ich zu diesen wenigen einzelnen, gewiß recht verstockten, möglicherweise
beklagenswerten Leuten gehörte, habe ich mir schon im Eingange dieser Zeilen
zu bemerken erlaubt. Auf mich machte es einen seltsamen, unangenehmen,
mesquinen Eindruck, dieses Baireuth mit allem, was sich während der Fest-
spieltagc dort zutrug. Da lobe ich mir doch die Alltäglichkeit. Sie regt uicht
an, sie begeistert nicht, sie setzt nicht in Kunststimmung, aber sie stört auch-
uicht. Die Alltäglichkeit, und wenn sie auch recht alltäglich ist und für den,
der außer ihr steht, sich auch langweilig, geisttötend, unbequem, ja unerträglich
ausnehmen mag — man ist sie doch nun einmal gewöhnt. Und dann, wenn sie
dem, der in ihr steckt, auch lieb und wert ist wie ein alter Rock oder ein behaglich
eingerichtetes, gut durchwärmtes Zimmer, mau sehnt sich doch, auch wenn man
der eingefleischteste Philister ist, immer ein bißchen aus ihr hinaus; man ist
nicht abgeneigt, sich auch einmal die Welt von einem andern Standpunkte aus
anzusehen, und da giebt es denn kein bequemeres Mittel, um aus der Alltäg¬
lichkeit hinauszukommen und doch in ihr zu bleiben, körperlich nämlich, als
seinen Geist auf Reisen zu schicken, ein gutes Buch in die Hand zu nehmen oder
ins Theater zu fahren. Wir brauchen uns da garnicht erst zu sammeln; wir
sind nicht zerstreut, kein ungewöhnlicher Eindruck präkkoupirt uus, und das
übrige, die Erhebung, die Begeisterung, das besorgt eben die Kunst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/150>, abgerufen am 22.07.2024.