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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Das sah allerdings wie ein Erfolg für England aus, der diesem eine
schwere Sorge abnahm, nur durfte man ihn nicht zu genau ins Auge fassen.
Die Betreffenden und ihre Hiutcrmcinner hatten, wie Londoner Blätter sich
auszudrücken beliebten, "klein beigegeben" oder, wie man den Ausdruck des
Frohlockens dieser Prcßstimmen, movet in, auch wiedergeben kaun, sie "waren
zu Kreuze gekrochen." Man soll jedoch den Tag nicht vor dem Abend loben,
und dieselben Blätter beachteten dies auch insofern, als sie hinzufügten, die
gemeldete Kapitulation sei etwas sehr verschiednes von der praktischen Aus¬
führung ihrer Bestimmungen. Wir meinen dies auch, und die Leser dieser
Blätter werden das gleiche thun, wenn sie die Angelegenheit mit uns näher
ins Auge fassen. Sie ist dessen, so klein sie auf den ersten Blick erscheinen
mag, keineswegs unwert. Bei der Transvaalfrage ist nicht bloß mit den !Z0-
oder 40 000 Boers der Gebiete im Norden des Vcmlflusses, souderu mit der
Mehrzahl der holländisch sprechenden Bevölkerung aller Staaten und Kolonien
Südafrikas zu rechnen, und es sind hier wohl die Anfänge zu einem Umschwunge
der Dinge zu verzeichnen, ähnlich dem, welcher den britischen Egoismus aus
dein größten Teile Nordamerikas hinauswarf. Für uns Deutsche aber hat
die Sache noch eine besondre Bedeutung, und zwar aus verschiednen Gründen:
die Boers Südafrikas sind als ein Volk holländischen Blutes und Idioms
nahe Verwandte von uns, sie könnten, wenn man ihnen ihr Recht, sich nach
Westen hin auszudehnen, nicht zu beschneiden imstande wäre, einmal Nachbarn
deutscher Kolonien werden, und ihr Land würde der deutschen Auswanderung
für die Zukunft günstige Aussichten bieten, wenn es vor weiterer Anglisiruug
bewahrt bliebe. Aber auch abgesehen hiervon schulden wir ihnen Interesse und
Sympathie, weil sie unerschrockene und beharrliche Vekämpfer der britischen
Selbstsucht gewesen sind und voraussichtlich auch in Zukunft sein werden, jener
heuchlerischen Selbstsucht, welche die besten Teile der Welt unter dem Vorwande,
Zivilisation, Freiheit und Christentum ausbreite!? zu wollen, in ihr Machtgebiet
zu zwingen und dem Geldsack der englischen Kaufleute und Fabrikanten dicust-
und tributpflichtig zu macheu strebt und dabei kein Recht achtet und kein Mittel
verschmäht. Ihr bisher erfolgreicher Widerstand gegen diesen Polypen, der die
Erde mit seinen Armen zu umschlingen und mit seinen Saugnäpfen cmszuznpfeu
sucht, sichert ihnen allein schon unsre volle Achtung und Teilucchme.

Das Land der Boers, früher der "Transvaalstaat," jetzt die "Südafrikanische
Republik" genannt, liegt fern im Nordosten der Kapstadt und westlich von der
Delagoabucht und macht den nördlichsten Teil der Gruppe europäischer Nieder¬
lassungen aus, die in den einst nur von Kaffernstämmen bewohnten Gebieten
des "dunkeln Erdteils" allmählich entstanden sind und teils die Gestalt britischer
Kolonien, teils die von selbständigen Freistaaten haben. Seine Grenze bildet
im Süden der Vaalfluß, dessen andres Ufer zum Oraujcfreistaat gehört, im
Westen die Kalahariwüste mit den fruchtbaren, von freien Kaffern bewohnten


Das sah allerdings wie ein Erfolg für England aus, der diesem eine
schwere Sorge abnahm, nur durfte man ihn nicht zu genau ins Auge fassen.
Die Betreffenden und ihre Hiutcrmcinner hatten, wie Londoner Blätter sich
auszudrücken beliebten, „klein beigegeben" oder, wie man den Ausdruck des
Frohlockens dieser Prcßstimmen, movet in, auch wiedergeben kaun, sie „waren
zu Kreuze gekrochen." Man soll jedoch den Tag nicht vor dem Abend loben,
und dieselben Blätter beachteten dies auch insofern, als sie hinzufügten, die
gemeldete Kapitulation sei etwas sehr verschiednes von der praktischen Aus¬
führung ihrer Bestimmungen. Wir meinen dies auch, und die Leser dieser
Blätter werden das gleiche thun, wenn sie die Angelegenheit mit uns näher
ins Auge fassen. Sie ist dessen, so klein sie auf den ersten Blick erscheinen
mag, keineswegs unwert. Bei der Transvaalfrage ist nicht bloß mit den !Z0-
oder 40 000 Boers der Gebiete im Norden des Vcmlflusses, souderu mit der
Mehrzahl der holländisch sprechenden Bevölkerung aller Staaten und Kolonien
Südafrikas zu rechnen, und es sind hier wohl die Anfänge zu einem Umschwunge
der Dinge zu verzeichnen, ähnlich dem, welcher den britischen Egoismus aus
dein größten Teile Nordamerikas hinauswarf. Für uns Deutsche aber hat
die Sache noch eine besondre Bedeutung, und zwar aus verschiednen Gründen:
die Boers Südafrikas sind als ein Volk holländischen Blutes und Idioms
nahe Verwandte von uns, sie könnten, wenn man ihnen ihr Recht, sich nach
Westen hin auszudehnen, nicht zu beschneiden imstande wäre, einmal Nachbarn
deutscher Kolonien werden, und ihr Land würde der deutschen Auswanderung
für die Zukunft günstige Aussichten bieten, wenn es vor weiterer Anglisiruug
bewahrt bliebe. Aber auch abgesehen hiervon schulden wir ihnen Interesse und
Sympathie, weil sie unerschrockene und beharrliche Vekämpfer der britischen
Selbstsucht gewesen sind und voraussichtlich auch in Zukunft sein werden, jener
heuchlerischen Selbstsucht, welche die besten Teile der Welt unter dem Vorwande,
Zivilisation, Freiheit und Christentum ausbreite!? zu wollen, in ihr Machtgebiet
zu zwingen und dem Geldsack der englischen Kaufleute und Fabrikanten dicust-
und tributpflichtig zu macheu strebt und dabei kein Recht achtet und kein Mittel
verschmäht. Ihr bisher erfolgreicher Widerstand gegen diesen Polypen, der die
Erde mit seinen Armen zu umschlingen und mit seinen Saugnäpfen cmszuznpfeu
sucht, sichert ihnen allein schon unsre volle Achtung und Teilucchme.

Das Land der Boers, früher der „Transvaalstaat," jetzt die „Südafrikanische
Republik" genannt, liegt fern im Nordosten der Kapstadt und westlich von der
Delagoabucht und macht den nördlichsten Teil der Gruppe europäischer Nieder¬
lassungen aus, die in den einst nur von Kaffernstämmen bewohnten Gebieten
des „dunkeln Erdteils" allmählich entstanden sind und teils die Gestalt britischer
Kolonien, teils die von selbständigen Freistaaten haben. Seine Grenze bildet
im Süden der Vaalfluß, dessen andres Ufer zum Oraujcfreistaat gehört, im
Westen die Kalahariwüste mit den fruchtbaren, von freien Kaffern bewohnten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/14>, abgerufen am 22.07.2024.