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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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seiner vollen Freiheit erwacht. Für die Troubadours und die Minnesinger
hatte die Natur nur insofern einen Wert, als sie sich zum Preise der Geliebten,
also rein akademisch ausbeuten ließ. Ebenso ließe,: auch die Begründer der
modernen Malerei, die Brüder van Eyck, und ihre Nachfolger die Blumen nur
aufsprießen, wenn die Madonna mit dem Jesusknaben aus der Wiese saß oder
verehrungswürdige Heilige durch ein freundliches Flußthal schritten. Erst seit
dem sechzehnten Jahrhundert sing mau an, die Natur um ihrer selbst willen
zu lieben, nachdem die allgemeinen Sicherheitszustände soweit befestigt worden
waren, daß der Bürger es wagen durfte, vor die Thore hiucuis- und über Land
zu gehen, ohne von Schnapphähnen aufgegriffen zu werden- Was man damals
im Angesichte dieser neuen Entdeckung empfand, hat keiner der gleichzeitigen
Schriftsteller und Dichter so klar und empfindungsvoll ausgesprochen wie der
mit scharfem Auge rückwärtsblickeude Goethe in seinem großen Nenaissaneedrama,
in welchem Faustens Ofterspazicrgang ihm die Veranlassung giebt, das Erwachen
der Natur zu schildern.

Aber das Gefühl für die unauslöschlichen Reize der freien Natur war bei
den Renaissancemenschen noch so sehr in den ersten Ansängen begriffen, dnß
niemand daran dachte, sich außerhalb der Stadtmauern ein Landhaus zu bauen.
Die Gebäude, welche draußen auf Meiereien und Landgütern aufgerichtet
wurden, behielten schon mit Rücksicht auf die Sicherheit der Bewohner den
burgartigen Charakter des Mittelalters. Höchstens verstieg man sich innerhalb
der städtischen Umfriedigung oder im Schutze der Stadtmauern zur Erbauung von
Gartenhäusern, für welche mau die Vorbilder in Italien kennen gelernt hatte.
Wie die italienischen Kasinos, hatten aber mich die deutschen Gartenhäuser nur
eine provisorische Bestimmung. Für den Zweck unsrer modernen städtischen
Villa, welche auch im Winter bewohnbar sein soll, können sie nicht als Muster
dienen. Den modernen Villentypus geschaffen zu haben, ist das Verdienst der
Nachfolger Schinkels, eines Persius, Hitzig, Lucae u. s. w. Was später nach
dieser Richtung hin gethan worden ist, änderte nichts an dem Typus, sondern
beschränkte sich nur auf praktische Verbesserungen im Innern. Als die deutsche
Renaissance auskam, wurden auch nur die Zierratcn geändert. Mau machte
aus Balkonen und Vorhanden Erker, man schloß die Dachfenster statt mit geraden
Linien mit Spitz- oder Treppengiebcln ab und setzte überall Svitzsüuleu,
Voluten und allerhand ornamentale Schnörkel ans, wo die Monotonie der
architektonischen Linien nach der Ansicht der Vautiiustler eine Unterbrechung
erforderlich machte. Das System blieb jedoch dasselbe.

Ebenso verhält es sich mit den städtischen Wohnhäusern für mehrere Miets¬
parteien und mit den Geschäftshäusern. Für beide Gattungen bietet die deutsche
Renaissance, die Renaissance überhaupt keine Vorbilder. Ihr fehlte vor allen
Dingen jene Möglichkeit, die wir im vorigen Artikel als das charakteristische
Kennzeichen eines besondern Baustils genannt haben, einen Raum so zu über-


seiner vollen Freiheit erwacht. Für die Troubadours und die Minnesinger
hatte die Natur nur insofern einen Wert, als sie sich zum Preise der Geliebten,
also rein akademisch ausbeuten ließ. Ebenso ließe,: auch die Begründer der
modernen Malerei, die Brüder van Eyck, und ihre Nachfolger die Blumen nur
aufsprießen, wenn die Madonna mit dem Jesusknaben aus der Wiese saß oder
verehrungswürdige Heilige durch ein freundliches Flußthal schritten. Erst seit
dem sechzehnten Jahrhundert sing mau an, die Natur um ihrer selbst willen
zu lieben, nachdem die allgemeinen Sicherheitszustände soweit befestigt worden
waren, daß der Bürger es wagen durfte, vor die Thore hiucuis- und über Land
zu gehen, ohne von Schnapphähnen aufgegriffen zu werden- Was man damals
im Angesichte dieser neuen Entdeckung empfand, hat keiner der gleichzeitigen
Schriftsteller und Dichter so klar und empfindungsvoll ausgesprochen wie der
mit scharfem Auge rückwärtsblickeude Goethe in seinem großen Nenaissaneedrama,
in welchem Faustens Ofterspazicrgang ihm die Veranlassung giebt, das Erwachen
der Natur zu schildern.

Aber das Gefühl für die unauslöschlichen Reize der freien Natur war bei
den Renaissancemenschen noch so sehr in den ersten Ansängen begriffen, dnß
niemand daran dachte, sich außerhalb der Stadtmauern ein Landhaus zu bauen.
Die Gebäude, welche draußen auf Meiereien und Landgütern aufgerichtet
wurden, behielten schon mit Rücksicht auf die Sicherheit der Bewohner den
burgartigen Charakter des Mittelalters. Höchstens verstieg man sich innerhalb
der städtischen Umfriedigung oder im Schutze der Stadtmauern zur Erbauung von
Gartenhäusern, für welche mau die Vorbilder in Italien kennen gelernt hatte.
Wie die italienischen Kasinos, hatten aber mich die deutschen Gartenhäuser nur
eine provisorische Bestimmung. Für den Zweck unsrer modernen städtischen
Villa, welche auch im Winter bewohnbar sein soll, können sie nicht als Muster
dienen. Den modernen Villentypus geschaffen zu haben, ist das Verdienst der
Nachfolger Schinkels, eines Persius, Hitzig, Lucae u. s. w. Was später nach
dieser Richtung hin gethan worden ist, änderte nichts an dem Typus, sondern
beschränkte sich nur auf praktische Verbesserungen im Innern. Als die deutsche
Renaissance auskam, wurden auch nur die Zierratcn geändert. Mau machte
aus Balkonen und Vorhanden Erker, man schloß die Dachfenster statt mit geraden
Linien mit Spitz- oder Treppengiebcln ab und setzte überall Svitzsüuleu,
Voluten und allerhand ornamentale Schnörkel ans, wo die Monotonie der
architektonischen Linien nach der Ansicht der Vautiiustler eine Unterbrechung
erforderlich machte. Das System blieb jedoch dasselbe.

Ebenso verhält es sich mit den städtischen Wohnhäusern für mehrere Miets¬
parteien und mit den Geschäftshäusern. Für beide Gattungen bietet die deutsche
Renaissance, die Renaissance überhaupt keine Vorbilder. Ihr fehlte vor allen
Dingen jene Möglichkeit, die wir im vorigen Artikel als das charakteristische
Kennzeichen eines besondern Baustils genannt haben, einen Raum so zu über-


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[0103] seiner vollen Freiheit erwacht. Für die Troubadours und die Minnesinger hatte die Natur nur insofern einen Wert, als sie sich zum Preise der Geliebten, also rein akademisch ausbeuten ließ. Ebenso ließe,: auch die Begründer der modernen Malerei, die Brüder van Eyck, und ihre Nachfolger die Blumen nur aufsprießen, wenn die Madonna mit dem Jesusknaben aus der Wiese saß oder verehrungswürdige Heilige durch ein freundliches Flußthal schritten. Erst seit dem sechzehnten Jahrhundert sing mau an, die Natur um ihrer selbst willen zu lieben, nachdem die allgemeinen Sicherheitszustände soweit befestigt worden waren, daß der Bürger es wagen durfte, vor die Thore hiucuis- und über Land zu gehen, ohne von Schnapphähnen aufgegriffen zu werden- Was man damals im Angesichte dieser neuen Entdeckung empfand, hat keiner der gleichzeitigen Schriftsteller und Dichter so klar und empfindungsvoll ausgesprochen wie der mit scharfem Auge rückwärtsblickeude Goethe in seinem großen Nenaissaneedrama, in welchem Faustens Ofterspazicrgang ihm die Veranlassung giebt, das Erwachen der Natur zu schildern. Aber das Gefühl für die unauslöschlichen Reize der freien Natur war bei den Renaissancemenschen noch so sehr in den ersten Ansängen begriffen, dnß niemand daran dachte, sich außerhalb der Stadtmauern ein Landhaus zu bauen. Die Gebäude, welche draußen auf Meiereien und Landgütern aufgerichtet wurden, behielten schon mit Rücksicht auf die Sicherheit der Bewohner den burgartigen Charakter des Mittelalters. Höchstens verstieg man sich innerhalb der städtischen Umfriedigung oder im Schutze der Stadtmauern zur Erbauung von Gartenhäusern, für welche mau die Vorbilder in Italien kennen gelernt hatte. Wie die italienischen Kasinos, hatten aber mich die deutschen Gartenhäuser nur eine provisorische Bestimmung. Für den Zweck unsrer modernen städtischen Villa, welche auch im Winter bewohnbar sein soll, können sie nicht als Muster dienen. Den modernen Villentypus geschaffen zu haben, ist das Verdienst der Nachfolger Schinkels, eines Persius, Hitzig, Lucae u. s. w. Was später nach dieser Richtung hin gethan worden ist, änderte nichts an dem Typus, sondern beschränkte sich nur auf praktische Verbesserungen im Innern. Als die deutsche Renaissance auskam, wurden auch nur die Zierratcn geändert. Mau machte aus Balkonen und Vorhanden Erker, man schloß die Dachfenster statt mit geraden Linien mit Spitz- oder Treppengiebcln ab und setzte überall Svitzsüuleu, Voluten und allerhand ornamentale Schnörkel ans, wo die Monotonie der architektonischen Linien nach der Ansicht der Vautiiustler eine Unterbrechung erforderlich machte. Das System blieb jedoch dasselbe. Ebenso verhält es sich mit den städtischen Wohnhäusern für mehrere Miets¬ parteien und mit den Geschäftshäusern. Für beide Gattungen bietet die deutsche Renaissance, die Renaissance überhaupt keine Vorbilder. Ihr fehlte vor allen Dingen jene Möglichkeit, die wir im vorigen Artikel als das charakteristische Kennzeichen eines besondern Baustils genannt haben, einen Raum so zu über-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/103>, abgerufen am 22.07.2024.