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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Zur Geschichte der Theaterleitung Goethes.

mehr als 43 Thaler und auf die Gagen der Gesellschaft genau 2924 Thaler
gefallen. In den glänzendsten, von reichen Einnahmen gestützten Jahren ist man
über fünffache Kostenbeträge nicht hinausgekommen.

Es ist nicht möglich, heute von der großartigen Entwicklung des Goethischen
Theaters in all den Beziehungen zu sprechen, die bei einem so komplizirten
Apparate Beachtung finden müssen. Nur in einer Beziehung will ich es zum
Schluß versuchen, indem ich der materiellen Lage der Träger Goethischcr Ideen,
der der Schauspieler selbst, wenn auch in nicht erschöpfender Weise, näher trete.

Für Goethe war es nicht schwer gewesen, die Kräfte aus allen Teilen
Deutschlands für das Theater zu gewinnen. Schauspieler und Sänger mit sehr
bescheidenen Existenzen hatte Deutschland genug; Weimar zog bereits wegen
seines Namens an, noch mehr versprechend war für den Künstler die Direktion
eines Goethe, der ja am besten wußte, daß er den zu gewinnenden Kräften
goldene Berge nicht versprechen konnte. Die Schauspieler kamen meist in mittel¬
loser, ja dürftiger Lage in Weimar an. Vorschüsse zu entnehmen war an der
Tagesordnung. Die wöchentliche Ablohnnng der "Meurs" konnte die beständige
Finanzkalamität nicht beseitigen, die Direktion sich auf ausgedehntere Zahlungs¬
fristen aber auch nicht einlassen, da die Existenz des Theaters überhaupt fraglich
war. Ein Schauspieler war kein gut situirter Mann, eine wöchentliche Gage
von 5 bis 8 Thalern mußte für alles ausreichen. Garderobegelder kannte man
noch nicht, und wie schon bemerkt, gab es keine Ferien, in denen man zum Gast¬
spiel des Verdienstes wegen hätte auswandern können. Wer die Reise nach
Lauchstädt antrat, erhielt als "Akteur" 19^ Groschen Diäten für die Dauer der
Fahrt, um von den untergeordneten Offizicmten garnicht zu spreche". Zuschüsse
für den Aufenthalt an fremden Orten gab es kaum; einige Bevorzugte werden
auf eine wöchentliche Entschädigung im Betrage von einem Thaler kein besonderes
Gewicht gelegt haben. Freilich hatte Goethe im Anfang eine Reihe problema¬
tischer Existenzen geschaffen; aber man sei auch gerecht, er arbeitete unablässig
an der Besserung der sozialen Stellung aller, welche seiner Kunst dienten. Er
ist es ja, welcher die Schauspielkunst zu Ehren gebracht und dem, der sich ihr
widmet, die Mißachtung von den Schultern genommen hat.

Allerdings nützte er alles aus, was für die Entfaltung des Theaters sich
in irgend einer Beziehung nützlich erwies. Seine Komparserie bestand lange
Zeit im wesentlichen deshalb aus Seminaristen, weil er für die Ausbildung der
Chöre wohl Mittel genug, aber nicht so billige Wege zu der Erreichung seines
Zieles fand, die ihm die Schule gewährte. Der Konflikt, der zwischen Herder
und Goethe dadurch entstand, daß ein Seminarist in Gestalt eines Teufelchcns
in einer Versenkung hängen blieb und sich zum Gaudium des Publikums unter
furchtbaren Kraftanstrengungen seines Schwänzchens entledigte, glich sich als¬
bald aus, nachdem Goethe das Unhaltbare seiner Maßnahmen eingesehen hatte.
Nach dieser Seite hin wurde so vieles in der Goethischen Verwaltung gebessert,


Zur Geschichte der Theaterleitung Goethes.

mehr als 43 Thaler und auf die Gagen der Gesellschaft genau 2924 Thaler
gefallen. In den glänzendsten, von reichen Einnahmen gestützten Jahren ist man
über fünffache Kostenbeträge nicht hinausgekommen.

Es ist nicht möglich, heute von der großartigen Entwicklung des Goethischen
Theaters in all den Beziehungen zu sprechen, die bei einem so komplizirten
Apparate Beachtung finden müssen. Nur in einer Beziehung will ich es zum
Schluß versuchen, indem ich der materiellen Lage der Träger Goethischcr Ideen,
der der Schauspieler selbst, wenn auch in nicht erschöpfender Weise, näher trete.

Für Goethe war es nicht schwer gewesen, die Kräfte aus allen Teilen
Deutschlands für das Theater zu gewinnen. Schauspieler und Sänger mit sehr
bescheidenen Existenzen hatte Deutschland genug; Weimar zog bereits wegen
seines Namens an, noch mehr versprechend war für den Künstler die Direktion
eines Goethe, der ja am besten wußte, daß er den zu gewinnenden Kräften
goldene Berge nicht versprechen konnte. Die Schauspieler kamen meist in mittel¬
loser, ja dürftiger Lage in Weimar an. Vorschüsse zu entnehmen war an der
Tagesordnung. Die wöchentliche Ablohnnng der „Meurs" konnte die beständige
Finanzkalamität nicht beseitigen, die Direktion sich auf ausgedehntere Zahlungs¬
fristen aber auch nicht einlassen, da die Existenz des Theaters überhaupt fraglich
war. Ein Schauspieler war kein gut situirter Mann, eine wöchentliche Gage
von 5 bis 8 Thalern mußte für alles ausreichen. Garderobegelder kannte man
noch nicht, und wie schon bemerkt, gab es keine Ferien, in denen man zum Gast¬
spiel des Verdienstes wegen hätte auswandern können. Wer die Reise nach
Lauchstädt antrat, erhielt als „Akteur" 19^ Groschen Diäten für die Dauer der
Fahrt, um von den untergeordneten Offizicmten garnicht zu spreche». Zuschüsse
für den Aufenthalt an fremden Orten gab es kaum; einige Bevorzugte werden
auf eine wöchentliche Entschädigung im Betrage von einem Thaler kein besonderes
Gewicht gelegt haben. Freilich hatte Goethe im Anfang eine Reihe problema¬
tischer Existenzen geschaffen; aber man sei auch gerecht, er arbeitete unablässig
an der Besserung der sozialen Stellung aller, welche seiner Kunst dienten. Er
ist es ja, welcher die Schauspielkunst zu Ehren gebracht und dem, der sich ihr
widmet, die Mißachtung von den Schultern genommen hat.

Allerdings nützte er alles aus, was für die Entfaltung des Theaters sich
in irgend einer Beziehung nützlich erwies. Seine Komparserie bestand lange
Zeit im wesentlichen deshalb aus Seminaristen, weil er für die Ausbildung der
Chöre wohl Mittel genug, aber nicht so billige Wege zu der Erreichung seines
Zieles fand, die ihm die Schule gewährte. Der Konflikt, der zwischen Herder
und Goethe dadurch entstand, daß ein Seminarist in Gestalt eines Teufelchcns
in einer Versenkung hängen blieb und sich zum Gaudium des Publikums unter
furchtbaren Kraftanstrengungen seines Schwänzchens entledigte, glich sich als¬
bald aus, nachdem Goethe das Unhaltbare seiner Maßnahmen eingesehen hatte.
Nach dieser Seite hin wurde so vieles in der Goethischen Verwaltung gebessert,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/86>, abgerufen am 07.01.2025.