Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Geschichte der Theaterleitnng Goethes.

der Vorstellungen war schon in Weimar bestimmt. Man brachte in der Regel
schon die gedruckten Theaterzettel für eine ganze Woche mit, weil man Rcper-
toireänderungcn durch unleidliche Capricen, erdichtete oder faktisch bestehende Un¬
päßlichkeiten damals noch nicht kannte; und ich darf nach den auch in dieser
Beziehung erhobenen statistischen Aufstellungen versichern, daß Repertoirestörungen
sich damals um 50 Prozent niedriger als in der heutigen Theatcrverwaltmig
stellten.

Lange Zeit war man gewohnt, in Lauchstädt einige 30 bis 40 Vorstel¬
lungen zu geben, welche bis in den August hineinreichten, und es ergiebt sich
hieraus, daß man verhältnismäßig mit 40 Spieltagen in Lauchstcidt ebensoviel
als in Weimar mit 100 an Erträgen des Theaters erzielte. Dieser Umstand
war jedenfalls maßgebend, daß Goethe das bretterne Schauspielhaus schon nach
10 jähriger Thätigkeit abbrechen und ein neues, größeres auf Regiekosten er¬
bauen ließ. War es, wie man heute sich noch überzeugen kann, von bewun-
dernswerter Einfachheit, so war die ungleich größere Anlage, dem Weimarischen
nachgebildet, hauptsächlich für größern Besuch und Komfort und zur Erzielung
noch größerer Erträge berechnet. Leider schlug die Rechnung fehl. Alsbald
bewirkten die kriegerischen Ereignisse einen Rückgang des Bades, und die Differ¬
enzen, welche Goethe in mehrfacher Beziehung mit der Merseburger Stiftsregieruug
gehabt hatte, ließen es geraten erscheinen, den Kontrakt nicht zu erneuern und
sobald als möglich dem früher ergiebigen Lauchästdt den Rücken zuzuwenden.

Wie angedeutet, versuchte es Goethe 1807, wo Lauchstädt, nur um kon¬
traktlichen Bestimmungen nachzukommen, besucht wurde, mit 25 und 19 Vor¬
stellungen in zwei Abteilungen in Leipzig. War der Ertrag für diese 44 Vor¬
stellungen ein ganz enormer -- er betrug über 8500 Thaler, eine Summe, die
Weimar bei 100 Vorstellungen kaum zur Hälfte erreicht hat --, so wurde Leipzig
mit diesem Besuche doch definitiv aufgegeben. Die Gründe sind mannichfacher
Natur, teils liegen sie klar zu Tage, teils entziehen sie sich noch unsrer Kenntnis.
Vielleicht spielte der Aufwand eine Rolle mit, da trotz der hohen Erträge für
die Saison ein Reingewinn von kaum 100 Thalern übrig blieb.

Es war nicht schwer, alsbald den in Aussicht stehenden beständigen Aus¬
fall durch anderweitige Maßnahmen zu decken. Denn Lauchstädt hatte bereits
gezeigt, daß in dem nahen Halle ein ergiebiger Ersatz gefunden werden müsse.
Die nahen Ortschaften einer an sich reichen Gegend waren im Grunde genommen
für das Go ethische Theater bedeutsamer als Lauchstädt selbst, da die Badegäste
nur nach wenigen Hunderten zu zählen pflegten. Denn während man bei uns
das Theater mehr bei schlechtem Wetter aufsucht, war es in Lauchstädt der
umgekehrte Fall. Die Bewohner umliegender Ortschaften suchten in Lauchstädt
Erholung und Vergnügen, und besonders war es die Masse Hallischer Musen-
söhne, deren Ankunft lange vorher staubige Wolken zu verkünden pflegten. Wer
freilich wollte behaupten, daß die fürsorgliche Universität den zeitraubenden, ver-


Grmzbotm I. 1384. 10
Zur Geschichte der Theaterleitnng Goethes.

der Vorstellungen war schon in Weimar bestimmt. Man brachte in der Regel
schon die gedruckten Theaterzettel für eine ganze Woche mit, weil man Rcper-
toireänderungcn durch unleidliche Capricen, erdichtete oder faktisch bestehende Un¬
päßlichkeiten damals noch nicht kannte; und ich darf nach den auch in dieser
Beziehung erhobenen statistischen Aufstellungen versichern, daß Repertoirestörungen
sich damals um 50 Prozent niedriger als in der heutigen Theatcrverwaltmig
stellten.

Lange Zeit war man gewohnt, in Lauchstädt einige 30 bis 40 Vorstel¬
lungen zu geben, welche bis in den August hineinreichten, und es ergiebt sich
hieraus, daß man verhältnismäßig mit 40 Spieltagen in Lauchstcidt ebensoviel
als in Weimar mit 100 an Erträgen des Theaters erzielte. Dieser Umstand
war jedenfalls maßgebend, daß Goethe das bretterne Schauspielhaus schon nach
10 jähriger Thätigkeit abbrechen und ein neues, größeres auf Regiekosten er¬
bauen ließ. War es, wie man heute sich noch überzeugen kann, von bewun-
dernswerter Einfachheit, so war die ungleich größere Anlage, dem Weimarischen
nachgebildet, hauptsächlich für größern Besuch und Komfort und zur Erzielung
noch größerer Erträge berechnet. Leider schlug die Rechnung fehl. Alsbald
bewirkten die kriegerischen Ereignisse einen Rückgang des Bades, und die Differ¬
enzen, welche Goethe in mehrfacher Beziehung mit der Merseburger Stiftsregieruug
gehabt hatte, ließen es geraten erscheinen, den Kontrakt nicht zu erneuern und
sobald als möglich dem früher ergiebigen Lauchästdt den Rücken zuzuwenden.

Wie angedeutet, versuchte es Goethe 1807, wo Lauchstädt, nur um kon¬
traktlichen Bestimmungen nachzukommen, besucht wurde, mit 25 und 19 Vor¬
stellungen in zwei Abteilungen in Leipzig. War der Ertrag für diese 44 Vor¬
stellungen ein ganz enormer — er betrug über 8500 Thaler, eine Summe, die
Weimar bei 100 Vorstellungen kaum zur Hälfte erreicht hat —, so wurde Leipzig
mit diesem Besuche doch definitiv aufgegeben. Die Gründe sind mannichfacher
Natur, teils liegen sie klar zu Tage, teils entziehen sie sich noch unsrer Kenntnis.
Vielleicht spielte der Aufwand eine Rolle mit, da trotz der hohen Erträge für
die Saison ein Reingewinn von kaum 100 Thalern übrig blieb.

Es war nicht schwer, alsbald den in Aussicht stehenden beständigen Aus¬
fall durch anderweitige Maßnahmen zu decken. Denn Lauchstädt hatte bereits
gezeigt, daß in dem nahen Halle ein ergiebiger Ersatz gefunden werden müsse.
Die nahen Ortschaften einer an sich reichen Gegend waren im Grunde genommen
für das Go ethische Theater bedeutsamer als Lauchstädt selbst, da die Badegäste
nur nach wenigen Hunderten zu zählen pflegten. Denn während man bei uns
das Theater mehr bei schlechtem Wetter aufsucht, war es in Lauchstädt der
umgekehrte Fall. Die Bewohner umliegender Ortschaften suchten in Lauchstädt
Erholung und Vergnügen, und besonders war es die Masse Hallischer Musen-
söhne, deren Ankunft lange vorher staubige Wolken zu verkünden pflegten. Wer
freilich wollte behaupten, daß die fürsorgliche Universität den zeitraubenden, ver-


Grmzbotm I. 1384. 10
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0083" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154966"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur Geschichte der Theaterleitnng Goethes.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_265" prev="#ID_264"> der Vorstellungen war schon in Weimar bestimmt. Man brachte in der Regel<lb/>
schon die gedruckten Theaterzettel für eine ganze Woche mit, weil man Rcper-<lb/>
toireänderungcn durch unleidliche Capricen, erdichtete oder faktisch bestehende Un¬<lb/>
päßlichkeiten damals noch nicht kannte; und ich darf nach den auch in dieser<lb/>
Beziehung erhobenen statistischen Aufstellungen versichern, daß Repertoirestörungen<lb/>
sich damals um 50 Prozent niedriger als in der heutigen Theatcrverwaltmig<lb/>
stellten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_266"> Lange Zeit war man gewohnt, in Lauchstädt einige 30 bis 40 Vorstel¬<lb/>
lungen zu geben, welche bis in den August hineinreichten, und es ergiebt sich<lb/>
hieraus, daß man verhältnismäßig mit 40 Spieltagen in Lauchstcidt ebensoviel<lb/>
als in Weimar mit 100 an Erträgen des Theaters erzielte. Dieser Umstand<lb/>
war jedenfalls maßgebend, daß Goethe das bretterne Schauspielhaus schon nach<lb/>
10 jähriger Thätigkeit abbrechen und ein neues, größeres auf Regiekosten er¬<lb/>
bauen ließ. War es, wie man heute sich noch überzeugen kann, von bewun-<lb/>
dernswerter Einfachheit, so war die ungleich größere Anlage, dem Weimarischen<lb/>
nachgebildet, hauptsächlich für größern Besuch und Komfort und zur Erzielung<lb/>
noch größerer Erträge berechnet. Leider schlug die Rechnung fehl. Alsbald<lb/>
bewirkten die kriegerischen Ereignisse einen Rückgang des Bades, und die Differ¬<lb/>
enzen, welche Goethe in mehrfacher Beziehung mit der Merseburger Stiftsregieruug<lb/>
gehabt hatte, ließen es geraten erscheinen, den Kontrakt nicht zu erneuern und<lb/>
sobald als möglich dem früher ergiebigen Lauchästdt den Rücken zuzuwenden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_267"> Wie angedeutet, versuchte es Goethe 1807, wo Lauchstädt, nur um kon¬<lb/>
traktlichen Bestimmungen nachzukommen, besucht wurde, mit 25 und 19 Vor¬<lb/>
stellungen in zwei Abteilungen in Leipzig. War der Ertrag für diese 44 Vor¬<lb/>
stellungen ein ganz enormer &#x2014; er betrug über 8500 Thaler, eine Summe, die<lb/>
Weimar bei 100 Vorstellungen kaum zur Hälfte erreicht hat &#x2014;, so wurde Leipzig<lb/>
mit diesem Besuche doch definitiv aufgegeben. Die Gründe sind mannichfacher<lb/>
Natur, teils liegen sie klar zu Tage, teils entziehen sie sich noch unsrer Kenntnis.<lb/>
Vielleicht spielte der Aufwand eine Rolle mit, da trotz der hohen Erträge für<lb/>
die Saison ein Reingewinn von kaum 100 Thalern übrig blieb.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_268" next="#ID_269"> Es war nicht schwer, alsbald den in Aussicht stehenden beständigen Aus¬<lb/>
fall durch anderweitige Maßnahmen zu decken. Denn Lauchstädt hatte bereits<lb/>
gezeigt, daß in dem nahen Halle ein ergiebiger Ersatz gefunden werden müsse.<lb/>
Die nahen Ortschaften einer an sich reichen Gegend waren im Grunde genommen<lb/>
für das Go ethische Theater bedeutsamer als Lauchstädt selbst, da die Badegäste<lb/>
nur nach wenigen Hunderten zu zählen pflegten. Denn während man bei uns<lb/>
das Theater mehr bei schlechtem Wetter aufsucht, war es in Lauchstädt der<lb/>
umgekehrte Fall. Die Bewohner umliegender Ortschaften suchten in Lauchstädt<lb/>
Erholung und Vergnügen, und besonders war es die Masse Hallischer Musen-<lb/>
söhne, deren Ankunft lange vorher staubige Wolken zu verkünden pflegten. Wer<lb/>
freilich wollte behaupten, daß die fürsorgliche Universität den zeitraubenden, ver-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grmzbotm I. 1384. 10</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0083] Zur Geschichte der Theaterleitnng Goethes. der Vorstellungen war schon in Weimar bestimmt. Man brachte in der Regel schon die gedruckten Theaterzettel für eine ganze Woche mit, weil man Rcper- toireänderungcn durch unleidliche Capricen, erdichtete oder faktisch bestehende Un¬ päßlichkeiten damals noch nicht kannte; und ich darf nach den auch in dieser Beziehung erhobenen statistischen Aufstellungen versichern, daß Repertoirestörungen sich damals um 50 Prozent niedriger als in der heutigen Theatcrverwaltmig stellten. Lange Zeit war man gewohnt, in Lauchstädt einige 30 bis 40 Vorstel¬ lungen zu geben, welche bis in den August hineinreichten, und es ergiebt sich hieraus, daß man verhältnismäßig mit 40 Spieltagen in Lauchstcidt ebensoviel als in Weimar mit 100 an Erträgen des Theaters erzielte. Dieser Umstand war jedenfalls maßgebend, daß Goethe das bretterne Schauspielhaus schon nach 10 jähriger Thätigkeit abbrechen und ein neues, größeres auf Regiekosten er¬ bauen ließ. War es, wie man heute sich noch überzeugen kann, von bewun- dernswerter Einfachheit, so war die ungleich größere Anlage, dem Weimarischen nachgebildet, hauptsächlich für größern Besuch und Komfort und zur Erzielung noch größerer Erträge berechnet. Leider schlug die Rechnung fehl. Alsbald bewirkten die kriegerischen Ereignisse einen Rückgang des Bades, und die Differ¬ enzen, welche Goethe in mehrfacher Beziehung mit der Merseburger Stiftsregieruug gehabt hatte, ließen es geraten erscheinen, den Kontrakt nicht zu erneuern und sobald als möglich dem früher ergiebigen Lauchästdt den Rücken zuzuwenden. Wie angedeutet, versuchte es Goethe 1807, wo Lauchstädt, nur um kon¬ traktlichen Bestimmungen nachzukommen, besucht wurde, mit 25 und 19 Vor¬ stellungen in zwei Abteilungen in Leipzig. War der Ertrag für diese 44 Vor¬ stellungen ein ganz enormer — er betrug über 8500 Thaler, eine Summe, die Weimar bei 100 Vorstellungen kaum zur Hälfte erreicht hat —, so wurde Leipzig mit diesem Besuche doch definitiv aufgegeben. Die Gründe sind mannichfacher Natur, teils liegen sie klar zu Tage, teils entziehen sie sich noch unsrer Kenntnis. Vielleicht spielte der Aufwand eine Rolle mit, da trotz der hohen Erträge für die Saison ein Reingewinn von kaum 100 Thalern übrig blieb. Es war nicht schwer, alsbald den in Aussicht stehenden beständigen Aus¬ fall durch anderweitige Maßnahmen zu decken. Denn Lauchstädt hatte bereits gezeigt, daß in dem nahen Halle ein ergiebiger Ersatz gefunden werden müsse. Die nahen Ortschaften einer an sich reichen Gegend waren im Grunde genommen für das Go ethische Theater bedeutsamer als Lauchstädt selbst, da die Badegäste nur nach wenigen Hunderten zu zählen pflegten. Denn während man bei uns das Theater mehr bei schlechtem Wetter aufsucht, war es in Lauchstädt der umgekehrte Fall. Die Bewohner umliegender Ortschaften suchten in Lauchstädt Erholung und Vergnügen, und besonders war es die Masse Hallischer Musen- söhne, deren Ankunft lange vorher staubige Wolken zu verkünden pflegten. Wer freilich wollte behaupten, daß die fürsorgliche Universität den zeitraubenden, ver- Grmzbotm I. 1384. 10

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/83
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/83>, abgerufen am 28.09.2024.