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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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bei Sendling hinschlachten, weil sie nicht kaiserlich werden wollten. Ein Jahr¬
hundert später standen die Tiroler auf, um nicht bairisch zu werden, und auch
damals war Baiern der Trabant Frankreichs. Wollte ein Tiroler Poet etwa,
an die Schlacht am Isel anknüpfend, den Baiern zurufen: Wäret ihr doch
damals österreichisch geworden! so würde Herr Hopfen aller Wahrscheinlichkeit
nach entrüstet sein, und doch wäre der eine Wunsch genau soviel wert
wie der andre. Eine retrospektive Politik, welche an die schlimmsten Zeiten
des deutschen Partikularismus mahnt, scheint ans jeden Fall wenig geeignet,
Proselyten zu machen! Versuche er übrigens sein Heil, predige er den Ti¬
rolern selbst den Anschluß an Baiern -- oder nein, versuche ers lieber nicht,
wenn ihm seine gesunden Knochen lieb sind! Und vielleicht ein weniger grober,
aber gewiß ein nicht weniger deutlicher Bescheid würde ihm werden, wenn er
seine Lehre weiter in das Land hineintragen wollte, so weit Deutsche in Öster¬
reich wohnen, von der Etsch bis zum Königsboten, wo die Sachsen so mann¬
haft ihr Deutschtum verteidigen. Es ist noch nicht so weit gekommen, daß
der Dentschösterreichcr letzte Hilfe die "Verzweiflung der Poeten" wäre, und
käme es einmal soweit, dann würde diese ihnen auch nicht viel nützen.

Soviel Worte um ein politisches Gedicht! Haben doch gereimte Leit¬
artikel heutzutage noch weniger zu bedeuten als die gewöhnlichen ungereimten.
In der That würden wir uns nicht dabei aufhalten, wenn nicht Kundgebungen
wie diese die deutsche Sache in Österreich schädigten. Seit siebzehn Jahren
ermüden die "struppigen Karyatidenhäupter" nicht, die Deutschen hierzulande
als schlechte Österreicher zu verdächtigen. Je mehr sie selbst auf dem Kerbholze
haben, desto munterer schwärzen sie diejenigen an, welche niemals über die
Grenze geschickt haben und jetzt allein noch den österreichischen Staatsgedanken
hochhalten. Das schöne Wort Preußenseuche taucht immer wieder auf und
macht, so unglaublich das klingt, noch häufig einen gewissen Eindruck. Es
giebt keine deutschen Jrredentisten in Österreich, auch jetzt noch nicht, wo die
verbündeten Slawen sich herausnehmen dürfen, die Deutschen wie Eindringlinge
zu behandeln; wer politischen Verstand hat, muß sich sagen, daß Deutschland
für einen neuen Zuwachs an fremdartigen, wenig disziplinirten Elementen, an
katholischer Bevölkerung, an Staatsschuld sich höflich bedanken würde; die
deutsche Regierung hat keinen Zweifel darüber bestehen lassen, daß sie im
eigensten Interesse Österreich groß und stark zu sehen wünscht -- thut nichts,
ein Rest von Mißtrauen ist noch von 1866 her übriggeblieben. Und nun kommen
unsre guten Freunde daher und stoßen in die Trompete, wie zu einem neuen
deutschen Kriege!

Wenn Tschechen und Polen aus dergleichen unverständigen Phantasien
Kapital zu schlagen suchen, so kann man sie mit Verachtung strafe". Doch es
giebt natürliche und hochwichtige Bundesgenossen der deutschen Partei, welche
erfahruugsmüßig leicht scheu zu machen sind.


^.usU'i^ehe res.

bei Sendling hinschlachten, weil sie nicht kaiserlich werden wollten. Ein Jahr¬
hundert später standen die Tiroler auf, um nicht bairisch zu werden, und auch
damals war Baiern der Trabant Frankreichs. Wollte ein Tiroler Poet etwa,
an die Schlacht am Isel anknüpfend, den Baiern zurufen: Wäret ihr doch
damals österreichisch geworden! so würde Herr Hopfen aller Wahrscheinlichkeit
nach entrüstet sein, und doch wäre der eine Wunsch genau soviel wert
wie der andre. Eine retrospektive Politik, welche an die schlimmsten Zeiten
des deutschen Partikularismus mahnt, scheint ans jeden Fall wenig geeignet,
Proselyten zu machen! Versuche er übrigens sein Heil, predige er den Ti¬
rolern selbst den Anschluß an Baiern — oder nein, versuche ers lieber nicht,
wenn ihm seine gesunden Knochen lieb sind! Und vielleicht ein weniger grober,
aber gewiß ein nicht weniger deutlicher Bescheid würde ihm werden, wenn er
seine Lehre weiter in das Land hineintragen wollte, so weit Deutsche in Öster¬
reich wohnen, von der Etsch bis zum Königsboten, wo die Sachsen so mann¬
haft ihr Deutschtum verteidigen. Es ist noch nicht so weit gekommen, daß
der Dentschösterreichcr letzte Hilfe die „Verzweiflung der Poeten" wäre, und
käme es einmal soweit, dann würde diese ihnen auch nicht viel nützen.

Soviel Worte um ein politisches Gedicht! Haben doch gereimte Leit¬
artikel heutzutage noch weniger zu bedeuten als die gewöhnlichen ungereimten.
In der That würden wir uns nicht dabei aufhalten, wenn nicht Kundgebungen
wie diese die deutsche Sache in Österreich schädigten. Seit siebzehn Jahren
ermüden die „struppigen Karyatidenhäupter" nicht, die Deutschen hierzulande
als schlechte Österreicher zu verdächtigen. Je mehr sie selbst auf dem Kerbholze
haben, desto munterer schwärzen sie diejenigen an, welche niemals über die
Grenze geschickt haben und jetzt allein noch den österreichischen Staatsgedanken
hochhalten. Das schöne Wort Preußenseuche taucht immer wieder auf und
macht, so unglaublich das klingt, noch häufig einen gewissen Eindruck. Es
giebt keine deutschen Jrredentisten in Österreich, auch jetzt noch nicht, wo die
verbündeten Slawen sich herausnehmen dürfen, die Deutschen wie Eindringlinge
zu behandeln; wer politischen Verstand hat, muß sich sagen, daß Deutschland
für einen neuen Zuwachs an fremdartigen, wenig disziplinirten Elementen, an
katholischer Bevölkerung, an Staatsschuld sich höflich bedanken würde; die
deutsche Regierung hat keinen Zweifel darüber bestehen lassen, daß sie im
eigensten Interesse Österreich groß und stark zu sehen wünscht — thut nichts,
ein Rest von Mißtrauen ist noch von 1866 her übriggeblieben. Und nun kommen
unsre guten Freunde daher und stoßen in die Trompete, wie zu einem neuen
deutschen Kriege!

Wenn Tschechen und Polen aus dergleichen unverständigen Phantasien
Kapital zu schlagen suchen, so kann man sie mit Verachtung strafe». Doch es
giebt natürliche und hochwichtige Bundesgenossen der deutschen Partei, welche
erfahruugsmüßig leicht scheu zu machen sind.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/68>, abgerufen am 22.07.2024.