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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei.

Brucghels Werke lassen sich in drei Gruppen scheiden. Die erste umfaßt
Gemälde aus der heiligen Geschichte wie den "Turmbau zu Babel," den
"Bethlehemitischer Kindermord," die "Predigt Johannis des Täufers in der
Wüste," die "Kreuztragung," eine "Schlacht zwischen Jsraeliten und Philistern,"
In der Weise des Pieter Aertsen ist hier das Hauptgewicht auf das Getümmel
der Figuren gelegt, wobei aber der nationale Charakter strenger betont ist. So
wird z. B. der Mord der unschuldigen Kinder in einen vlämischen Dorfe voll¬
zogen, welches dicht mit Schnee bedeckt ist, wie es sich für den nordischen
Winter geziemt. Die zweite Gruppe umfaßt phantastische Darstellungen zum
Teil spukhaften Inhalts, wie das "Jüngste Gericht," den "Sturz der Verdammten"
und die mannichfachen Schilderungen der Höllenqualen, welche seinem Sohne
Pieter (1564--1638), weil er sie häufig kopirte, den Namen Höllenbrueghel
eingetragen haben. Dieser selbst bewegte sich vornehmlich im Baucrngenre und
in figurenreichen Szenen aus der biblischen Geschichte, ohne jedoch zu einer
besondern Originalität zu gelangen. Die dritte Gruppe wird von den Genre¬
bildern aus dem täglichen Leben gebildet, in welchen Brueghel, von biblischer
und klassischer Weisheit erfüllt, als der Sittenprediger seines Volkes auftritt.
Um die Moral seiner Darstellungen recht eindringlich zu machen, beschränkt er
sich bisweilen nicht auf einen Vorgang, den die einheitliche Komposition des
Bildes doch verlangt hätte, sondern er erzählt auf derselben Tasel eine Geschichte
in verschiednen Stadien ihrer Entwicklung. Er will z. B. darauf hinweisen,
daß die unglückliche Manier, den Stein der Weisen zu suchen, schon manches
Hauswesen zerrüttet, schon manche Familie an den Bettelstab gebracht habe.
Dazu braucht er vier Szenen. Auf der rechten Seite des Bildes sitzt der
Alchymist an seinem Studierpulte und glaubt, wie man an seiner freudigen
Miene sehen kann, endlich das Geheimnis der Mischung gefunden zu haben.
Seine Frau setzt, bereits mit verdrossener Miene, den Blasebalg in Bewegung,
um das Feuer unter einem Schmelztiegel anzufachen. Links sitzt der Gold¬
macher, total zerlumpt und mit abgemagertem Gesicht, an dem mit seinen Ge¬
räten voll besetzten Herde, während seine Frau den Geldbeutel umkehrt, um zu
zeigen, daß kein Heller mehr darin vorhanden ist. Im Hintergrunde sind die
Kinder in den leeren Speiseschrank geklettert. Durch ein großes Fenster blickt
man ins Freie, wo sich der letzte Akt dieser Tragikomödie menschlicher Narrheit
abspielt: der Goldmacher und seine Familie suchen in Armenhause ihre Zuflucht.
Fastnachtsaufzüge, Bauernhochzeiten, Schlägereien und Trinkgelage bilden meist
die Motive von Brueghels Genrebildern, soduß sie im großen und ganzen schon
den Kreis beschreiben, in welchem sich auch die vollentwickelte Genrekunst des
siebzehnten Jahrhunderts bewegt.




Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei.

Brucghels Werke lassen sich in drei Gruppen scheiden. Die erste umfaßt
Gemälde aus der heiligen Geschichte wie den „Turmbau zu Babel," den
„Bethlehemitischer Kindermord," die „Predigt Johannis des Täufers in der
Wüste," die „Kreuztragung," eine „Schlacht zwischen Jsraeliten und Philistern,"
In der Weise des Pieter Aertsen ist hier das Hauptgewicht auf das Getümmel
der Figuren gelegt, wobei aber der nationale Charakter strenger betont ist. So
wird z. B. der Mord der unschuldigen Kinder in einen vlämischen Dorfe voll¬
zogen, welches dicht mit Schnee bedeckt ist, wie es sich für den nordischen
Winter geziemt. Die zweite Gruppe umfaßt phantastische Darstellungen zum
Teil spukhaften Inhalts, wie das „Jüngste Gericht," den „Sturz der Verdammten"
und die mannichfachen Schilderungen der Höllenqualen, welche seinem Sohne
Pieter (1564—1638), weil er sie häufig kopirte, den Namen Höllenbrueghel
eingetragen haben. Dieser selbst bewegte sich vornehmlich im Baucrngenre und
in figurenreichen Szenen aus der biblischen Geschichte, ohne jedoch zu einer
besondern Originalität zu gelangen. Die dritte Gruppe wird von den Genre¬
bildern aus dem täglichen Leben gebildet, in welchen Brueghel, von biblischer
und klassischer Weisheit erfüllt, als der Sittenprediger seines Volkes auftritt.
Um die Moral seiner Darstellungen recht eindringlich zu machen, beschränkt er
sich bisweilen nicht auf einen Vorgang, den die einheitliche Komposition des
Bildes doch verlangt hätte, sondern er erzählt auf derselben Tasel eine Geschichte
in verschiednen Stadien ihrer Entwicklung. Er will z. B. darauf hinweisen,
daß die unglückliche Manier, den Stein der Weisen zu suchen, schon manches
Hauswesen zerrüttet, schon manche Familie an den Bettelstab gebracht habe.
Dazu braucht er vier Szenen. Auf der rechten Seite des Bildes sitzt der
Alchymist an seinem Studierpulte und glaubt, wie man an seiner freudigen
Miene sehen kann, endlich das Geheimnis der Mischung gefunden zu haben.
Seine Frau setzt, bereits mit verdrossener Miene, den Blasebalg in Bewegung,
um das Feuer unter einem Schmelztiegel anzufachen. Links sitzt der Gold¬
macher, total zerlumpt und mit abgemagertem Gesicht, an dem mit seinen Ge¬
räten voll besetzten Herde, während seine Frau den Geldbeutel umkehrt, um zu
zeigen, daß kein Heller mehr darin vorhanden ist. Im Hintergrunde sind die
Kinder in den leeren Speiseschrank geklettert. Durch ein großes Fenster blickt
man ins Freie, wo sich der letzte Akt dieser Tragikomödie menschlicher Narrheit
abspielt: der Goldmacher und seine Familie suchen in Armenhause ihre Zuflucht.
Fastnachtsaufzüge, Bauernhochzeiten, Schlägereien und Trinkgelage bilden meist
die Motive von Brueghels Genrebildern, soduß sie im großen und ganzen schon
den Kreis beschreiben, in welchem sich auch die vollentwickelte Genrekunst des
siebzehnten Jahrhunderts bewegt.




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[0674] Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei. Brucghels Werke lassen sich in drei Gruppen scheiden. Die erste umfaßt Gemälde aus der heiligen Geschichte wie den „Turmbau zu Babel," den „Bethlehemitischer Kindermord," die „Predigt Johannis des Täufers in der Wüste," die „Kreuztragung," eine „Schlacht zwischen Jsraeliten und Philistern," In der Weise des Pieter Aertsen ist hier das Hauptgewicht auf das Getümmel der Figuren gelegt, wobei aber der nationale Charakter strenger betont ist. So wird z. B. der Mord der unschuldigen Kinder in einen vlämischen Dorfe voll¬ zogen, welches dicht mit Schnee bedeckt ist, wie es sich für den nordischen Winter geziemt. Die zweite Gruppe umfaßt phantastische Darstellungen zum Teil spukhaften Inhalts, wie das „Jüngste Gericht," den „Sturz der Verdammten" und die mannichfachen Schilderungen der Höllenqualen, welche seinem Sohne Pieter (1564—1638), weil er sie häufig kopirte, den Namen Höllenbrueghel eingetragen haben. Dieser selbst bewegte sich vornehmlich im Baucrngenre und in figurenreichen Szenen aus der biblischen Geschichte, ohne jedoch zu einer besondern Originalität zu gelangen. Die dritte Gruppe wird von den Genre¬ bildern aus dem täglichen Leben gebildet, in welchen Brueghel, von biblischer und klassischer Weisheit erfüllt, als der Sittenprediger seines Volkes auftritt. Um die Moral seiner Darstellungen recht eindringlich zu machen, beschränkt er sich bisweilen nicht auf einen Vorgang, den die einheitliche Komposition des Bildes doch verlangt hätte, sondern er erzählt auf derselben Tasel eine Geschichte in verschiednen Stadien ihrer Entwicklung. Er will z. B. darauf hinweisen, daß die unglückliche Manier, den Stein der Weisen zu suchen, schon manches Hauswesen zerrüttet, schon manche Familie an den Bettelstab gebracht habe. Dazu braucht er vier Szenen. Auf der rechten Seite des Bildes sitzt der Alchymist an seinem Studierpulte und glaubt, wie man an seiner freudigen Miene sehen kann, endlich das Geheimnis der Mischung gefunden zu haben. Seine Frau setzt, bereits mit verdrossener Miene, den Blasebalg in Bewegung, um das Feuer unter einem Schmelztiegel anzufachen. Links sitzt der Gold¬ macher, total zerlumpt und mit abgemagertem Gesicht, an dem mit seinen Ge¬ räten voll besetzten Herde, während seine Frau den Geldbeutel umkehrt, um zu zeigen, daß kein Heller mehr darin vorhanden ist. Im Hintergrunde sind die Kinder in den leeren Speiseschrank geklettert. Durch ein großes Fenster blickt man ins Freie, wo sich der letzte Akt dieser Tragikomödie menschlicher Narrheit abspielt: der Goldmacher und seine Familie suchen in Armenhause ihre Zuflucht. Fastnachtsaufzüge, Bauernhochzeiten, Schlägereien und Trinkgelage bilden meist die Motive von Brueghels Genrebildern, soduß sie im großen und ganzen schon den Kreis beschreiben, in welchem sich auch die vollentwickelte Genrekunst des siebzehnten Jahrhunderts bewegt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/674>, abgerufen am 22.07.2024.