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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Michael Munkacsy.

Munkacsy von der ungarischen Stadt Munkacs angenommen, wo er am
1V, Oktober 1844 zur Welt kam. Sein Vater, ein Beamter, verlor während
der ungarischen Revolution das Leben, und seine Mutter starb ebenfalls so früh,
daß der kleine Michael auf die Fürsorge seines Oheims, des Advokaten Hoeck,
angewiesen war. Als dieser aber sein Vermögen verlor, trat Munkacsy bei einem
Tischler in die Lehre. Sechs Jahre lang blieb er bei diesem Handwerk. Dann
besserte sich die Lage seines Onkels wieder, und Mnnkacsy durfte seiner Neigung
zur Kunst folgen. Er begann seine künstlerische Laufbahn bei einem Maler
namens Szamozy in Gyula und ging dann, nachdem er durch einige Proben
seine Begabung bewiesen hatte, nach Pest, >vo er zwar nicht die Akademie be¬
suchte, aber doch von den damals maßgebenden Künstlern Thau und Ligeti
unterwiesen wurde. Zu einem systematischen Akademiestudinm kam Munkacsy in
Pest nicht. Er malte auf eigne Hand Bilder, und als er sich dadurch eine
kleine Summe erworben hatte, ging er nach Wien zu Rahl, der damals viele
Schüler um sich versammelte und der auch Thans Lehrer gewesen war. Bald
nach Munkacsys Ankunft in Wien starb Rahl, und da kein andrer Meister den
jungen Ungarn an Wien fesselte und er auch keine Aufnahme in die Akademie
fand, so setzte er seinen Wanderstab weiter und ging nach München. Hier
gelang es ihm nicht nur, in die Malklasse der Akademie aufgenommen zu werden,
sondern er fand auch bei dem Kriegsmaler Franz Adam wirksame Förderung.
Für sein erstes Bild, eine Überschwemmung, welche noch in dem idealen Stile
der altern Münchener Schule komponirt war, erhielt er einen von der ungarischen
Regierung ausgesetzten Preis, und dieselbe Auszeichnung wurde ihm noch zwei¬
mal für zwei aus dem ungarischen Volksleben herausgegriffene Genrebilder, die
,,Schmückung einer Braut" und die "Einladung zur Hochzeit," zu teil. Dadurch
gewann er die Mittel, sich in Düsseldorf weiterzubilden, wohin ihn besonders
der Ruf von Kraus und Vautier zog. Nach ihrem Vorbilde wollte er das
wenig gekannte Volksleben seiner Heimat schildern, und nach einigen Versuchen
fand er auch ein sehr dankbares Motiv. Das ungarische Gesetz gestattet es,
daß ein zum Tode Verurteilter vor seiner Hinrichtung von Angehörigen, Ver¬
wandten und Bekannten besucht werden darf. Einen solchen Moment stellte
Munkacsy dar. In dem elenden Kerker eines ungarischen Städtchens sitzt der
Verurteilte an einem Tische, auf welchem seine Mahlzeit, vielleicht seine letzte,
und zwei brennende Kerzen stehen. Er starrt in finsterm Brüten vor sich hin,
während sein Weib und seine Kinder hinter ihm wehklagen. Von der Gasse
sind Männer und Frauen in den halbdunkeln Raum geströmt und mustern den
armen Sünder mit neugierige" oder ängstlichen Blicken. Munkacsy war erst
fünfundzwanzig Jahre alt, als er diese "Letzten Tage eines Verurteilten" vollendete.
Und doch legte er damit bereits den Beweis ab, daß seine Lehrzeit trotz der
Verlornen Jahre seiner Jugend beendigt war. Wir meinen die Lehrzeit im
eigentlichen Sinne des Wortes als die Zeit des Strebens nach technischer Ge-


Michael Munkacsy.

Munkacsy von der ungarischen Stadt Munkacs angenommen, wo er am
1V, Oktober 1844 zur Welt kam. Sein Vater, ein Beamter, verlor während
der ungarischen Revolution das Leben, und seine Mutter starb ebenfalls so früh,
daß der kleine Michael auf die Fürsorge seines Oheims, des Advokaten Hoeck,
angewiesen war. Als dieser aber sein Vermögen verlor, trat Munkacsy bei einem
Tischler in die Lehre. Sechs Jahre lang blieb er bei diesem Handwerk. Dann
besserte sich die Lage seines Onkels wieder, und Mnnkacsy durfte seiner Neigung
zur Kunst folgen. Er begann seine künstlerische Laufbahn bei einem Maler
namens Szamozy in Gyula und ging dann, nachdem er durch einige Proben
seine Begabung bewiesen hatte, nach Pest, >vo er zwar nicht die Akademie be¬
suchte, aber doch von den damals maßgebenden Künstlern Thau und Ligeti
unterwiesen wurde. Zu einem systematischen Akademiestudinm kam Munkacsy in
Pest nicht. Er malte auf eigne Hand Bilder, und als er sich dadurch eine
kleine Summe erworben hatte, ging er nach Wien zu Rahl, der damals viele
Schüler um sich versammelte und der auch Thans Lehrer gewesen war. Bald
nach Munkacsys Ankunft in Wien starb Rahl, und da kein andrer Meister den
jungen Ungarn an Wien fesselte und er auch keine Aufnahme in die Akademie
fand, so setzte er seinen Wanderstab weiter und ging nach München. Hier
gelang es ihm nicht nur, in die Malklasse der Akademie aufgenommen zu werden,
sondern er fand auch bei dem Kriegsmaler Franz Adam wirksame Förderung.
Für sein erstes Bild, eine Überschwemmung, welche noch in dem idealen Stile
der altern Münchener Schule komponirt war, erhielt er einen von der ungarischen
Regierung ausgesetzten Preis, und dieselbe Auszeichnung wurde ihm noch zwei¬
mal für zwei aus dem ungarischen Volksleben herausgegriffene Genrebilder, die
,,Schmückung einer Braut" und die „Einladung zur Hochzeit," zu teil. Dadurch
gewann er die Mittel, sich in Düsseldorf weiterzubilden, wohin ihn besonders
der Ruf von Kraus und Vautier zog. Nach ihrem Vorbilde wollte er das
wenig gekannte Volksleben seiner Heimat schildern, und nach einigen Versuchen
fand er auch ein sehr dankbares Motiv. Das ungarische Gesetz gestattet es,
daß ein zum Tode Verurteilter vor seiner Hinrichtung von Angehörigen, Ver¬
wandten und Bekannten besucht werden darf. Einen solchen Moment stellte
Munkacsy dar. In dem elenden Kerker eines ungarischen Städtchens sitzt der
Verurteilte an einem Tische, auf welchem seine Mahlzeit, vielleicht seine letzte,
und zwei brennende Kerzen stehen. Er starrt in finsterm Brüten vor sich hin,
während sein Weib und seine Kinder hinter ihm wehklagen. Von der Gasse
sind Männer und Frauen in den halbdunkeln Raum geströmt und mustern den
armen Sünder mit neugierige» oder ängstlichen Blicken. Munkacsy war erst
fünfundzwanzig Jahre alt, als er diese „Letzten Tage eines Verurteilten" vollendete.
Und doch legte er damit bereits den Beweis ab, daß seine Lehrzeit trotz der
Verlornen Jahre seiner Jugend beendigt war. Wir meinen die Lehrzeit im
eigentlichen Sinne des Wortes als die Zeit des Strebens nach technischer Ge-


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[0575] Michael Munkacsy. Munkacsy von der ungarischen Stadt Munkacs angenommen, wo er am 1V, Oktober 1844 zur Welt kam. Sein Vater, ein Beamter, verlor während der ungarischen Revolution das Leben, und seine Mutter starb ebenfalls so früh, daß der kleine Michael auf die Fürsorge seines Oheims, des Advokaten Hoeck, angewiesen war. Als dieser aber sein Vermögen verlor, trat Munkacsy bei einem Tischler in die Lehre. Sechs Jahre lang blieb er bei diesem Handwerk. Dann besserte sich die Lage seines Onkels wieder, und Mnnkacsy durfte seiner Neigung zur Kunst folgen. Er begann seine künstlerische Laufbahn bei einem Maler namens Szamozy in Gyula und ging dann, nachdem er durch einige Proben seine Begabung bewiesen hatte, nach Pest, >vo er zwar nicht die Akademie be¬ suchte, aber doch von den damals maßgebenden Künstlern Thau und Ligeti unterwiesen wurde. Zu einem systematischen Akademiestudinm kam Munkacsy in Pest nicht. Er malte auf eigne Hand Bilder, und als er sich dadurch eine kleine Summe erworben hatte, ging er nach Wien zu Rahl, der damals viele Schüler um sich versammelte und der auch Thans Lehrer gewesen war. Bald nach Munkacsys Ankunft in Wien starb Rahl, und da kein andrer Meister den jungen Ungarn an Wien fesselte und er auch keine Aufnahme in die Akademie fand, so setzte er seinen Wanderstab weiter und ging nach München. Hier gelang es ihm nicht nur, in die Malklasse der Akademie aufgenommen zu werden, sondern er fand auch bei dem Kriegsmaler Franz Adam wirksame Förderung. Für sein erstes Bild, eine Überschwemmung, welche noch in dem idealen Stile der altern Münchener Schule komponirt war, erhielt er einen von der ungarischen Regierung ausgesetzten Preis, und dieselbe Auszeichnung wurde ihm noch zwei¬ mal für zwei aus dem ungarischen Volksleben herausgegriffene Genrebilder, die ,,Schmückung einer Braut" und die „Einladung zur Hochzeit," zu teil. Dadurch gewann er die Mittel, sich in Düsseldorf weiterzubilden, wohin ihn besonders der Ruf von Kraus und Vautier zog. Nach ihrem Vorbilde wollte er das wenig gekannte Volksleben seiner Heimat schildern, und nach einigen Versuchen fand er auch ein sehr dankbares Motiv. Das ungarische Gesetz gestattet es, daß ein zum Tode Verurteilter vor seiner Hinrichtung von Angehörigen, Ver¬ wandten und Bekannten besucht werden darf. Einen solchen Moment stellte Munkacsy dar. In dem elenden Kerker eines ungarischen Städtchens sitzt der Verurteilte an einem Tische, auf welchem seine Mahlzeit, vielleicht seine letzte, und zwei brennende Kerzen stehen. Er starrt in finsterm Brüten vor sich hin, während sein Weib und seine Kinder hinter ihm wehklagen. Von der Gasse sind Männer und Frauen in den halbdunkeln Raum geströmt und mustern den armen Sünder mit neugierige» oder ängstlichen Blicken. Munkacsy war erst fünfundzwanzig Jahre alt, als er diese „Letzten Tage eines Verurteilten" vollendete. Und doch legte er damit bereits den Beweis ab, daß seine Lehrzeit trotz der Verlornen Jahre seiner Jugend beendigt war. Wir meinen die Lehrzeit im eigentlichen Sinne des Wortes als die Zeit des Strebens nach technischer Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/575>, abgerufen am 25.08.2024.