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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Der Literarische verein in Stuttgart.

Die Literatur über Elisabeth Charlotte wird von Jahr zu Jahr größer,
ihr Charakterbild zu zeichnen ist schon in vielen populären Vorträgen versucht
worden; nichts aber, auch nicht die beiden glänzenden Darstellungen, die Ludwig
Häußer von der ihm so überaus sympathischen Landsmännin gegeben hat,*)
kann die Lektüre ihrer Briefe selbst ersetzen. Es ist ein wahrhaft wohlthuendes
Bild, das wir aus ihnen gewinnen. Wie die Herzogin in ihrem einfach aus¬
gestatteten Gemache sitzt, zumeist mit Schreiben beschäftigt, fast immer im Geiste
bei den Ihren verweilend, das Wohl ihrer Angehörigen und Freunde sorgsam
erwägend, das Herz offen für das Heil und Unheil des Vaterlandes, dabei
allem Guten und Schönen, das sich ihr bietet, bereitwillig sich hingebend, gleich
stark an männlichem Mute wie an weiblichem Zartgefühl, ist sie recht eigentlich
Typus und Abbild einer edeln deutscheu Frau. Dank daher dem Literarischen
Verein, daß auch er dazu beigetragen, die Gestalt dieser deutschen Fürstin unserm
Volke in ungetrübter Klarheit vor Augen zu stellen!

Aber Dank nicht allein für diese Bände! Dank und Anerkennung verdient
das ganze Streben des Literarischen Vereins, von dem wir hier nur einen flüch¬
tigen Überblick geben konnten, bei dem vieles unerwähnt bleiben mußte. In¬
dessen Wollen wir unsre Darstellung nicht schließen, ohne noch einem Wunsche
Ausdruck zu geben, der, wie wir annehmen, gewiß auch bei andern sich geregt
hat, und dessen Erfüllung uns auch im Interesse des Vereins selbst zu liegen
scheint.

Überblickt man das von Keller mitgeteilte Verzeichnis der gegenwärtigen
Mitglieder des Vereins, so nimmt man bald wahr, ein wie großer Teil der¬
selben aus öffentlichen, Vereins- und Schulbibliotheken besteht, wie gering die
Zahl von Privaten ist, die zu den Mitgliedern zählen. Und unter den letztern
befinden sich meist Gelehrte, die nach der Organisation des Vereins genötigt (!)
sind,**) während der Zeit, da ihre für denselben bestimmten Arbeiten gedruckt
werden, Mitglied desselben zu werden. Diese in der That wenig erfreuliche
Erscheinung, welche nur dazu beiträgt, die Veröffentlichungen des Vereins zu
literarischen Seltenheiten zu stempeln, hat freilich ihren sehr natürlichen Grund.
Wieviel Privatleute und Gelehrte sind denn bei uns in der Lage, sich eine
große Reihe von Werken anzuschaffen, die für sie ohne Interesse sind, nur um
die zu erhalten, deren Besitz ihnen wünschenswert erscheint? Noch geringer aber
ist die Zahl derjenigen, die, obwohl thatsächlich ohne alles Interesse, bloß um
damit zu prunken, sich Bücher zulegen, die sie doch nicht lesen. Der Bücher¬
sport ist nun einmal in Deutschland nicht heimisch zu machen, und alles, was




*) Im zweiten Bande seiner Geschichte der rheinischen Pfalz, S. 712 fig., und sodann in
einem Vortrage, abgedruckt in der von Oncken herausgegebenen Geschichte der Reformation.
5*) Vergl. Z 6 der "Grundsätze des literarischen Vereins in Stuttgart bezüglich auf die
Herausgabe." Ferner die 5, 7, 8 und 11 Il.
Der Literarische verein in Stuttgart.

Die Literatur über Elisabeth Charlotte wird von Jahr zu Jahr größer,
ihr Charakterbild zu zeichnen ist schon in vielen populären Vorträgen versucht
worden; nichts aber, auch nicht die beiden glänzenden Darstellungen, die Ludwig
Häußer von der ihm so überaus sympathischen Landsmännin gegeben hat,*)
kann die Lektüre ihrer Briefe selbst ersetzen. Es ist ein wahrhaft wohlthuendes
Bild, das wir aus ihnen gewinnen. Wie die Herzogin in ihrem einfach aus¬
gestatteten Gemache sitzt, zumeist mit Schreiben beschäftigt, fast immer im Geiste
bei den Ihren verweilend, das Wohl ihrer Angehörigen und Freunde sorgsam
erwägend, das Herz offen für das Heil und Unheil des Vaterlandes, dabei
allem Guten und Schönen, das sich ihr bietet, bereitwillig sich hingebend, gleich
stark an männlichem Mute wie an weiblichem Zartgefühl, ist sie recht eigentlich
Typus und Abbild einer edeln deutscheu Frau. Dank daher dem Literarischen
Verein, daß auch er dazu beigetragen, die Gestalt dieser deutschen Fürstin unserm
Volke in ungetrübter Klarheit vor Augen zu stellen!

Aber Dank nicht allein für diese Bände! Dank und Anerkennung verdient
das ganze Streben des Literarischen Vereins, von dem wir hier nur einen flüch¬
tigen Überblick geben konnten, bei dem vieles unerwähnt bleiben mußte. In¬
dessen Wollen wir unsre Darstellung nicht schließen, ohne noch einem Wunsche
Ausdruck zu geben, der, wie wir annehmen, gewiß auch bei andern sich geregt
hat, und dessen Erfüllung uns auch im Interesse des Vereins selbst zu liegen
scheint.

Überblickt man das von Keller mitgeteilte Verzeichnis der gegenwärtigen
Mitglieder des Vereins, so nimmt man bald wahr, ein wie großer Teil der¬
selben aus öffentlichen, Vereins- und Schulbibliotheken besteht, wie gering die
Zahl von Privaten ist, die zu den Mitgliedern zählen. Und unter den letztern
befinden sich meist Gelehrte, die nach der Organisation des Vereins genötigt (!)
sind,**) während der Zeit, da ihre für denselben bestimmten Arbeiten gedruckt
werden, Mitglied desselben zu werden. Diese in der That wenig erfreuliche
Erscheinung, welche nur dazu beiträgt, die Veröffentlichungen des Vereins zu
literarischen Seltenheiten zu stempeln, hat freilich ihren sehr natürlichen Grund.
Wieviel Privatleute und Gelehrte sind denn bei uns in der Lage, sich eine
große Reihe von Werken anzuschaffen, die für sie ohne Interesse sind, nur um
die zu erhalten, deren Besitz ihnen wünschenswert erscheint? Noch geringer aber
ist die Zahl derjenigen, die, obwohl thatsächlich ohne alles Interesse, bloß um
damit zu prunken, sich Bücher zulegen, die sie doch nicht lesen. Der Bücher¬
sport ist nun einmal in Deutschland nicht heimisch zu machen, und alles, was




*) Im zweiten Bande seiner Geschichte der rheinischen Pfalz, S. 712 fig., und sodann in
einem Vortrage, abgedruckt in der von Oncken herausgegebenen Geschichte der Reformation.
5*) Vergl. Z 6 der „Grundsätze des literarischen Vereins in Stuttgart bezüglich auf die
Herausgabe." Ferner die 5, 7, 8 und 11 Il.
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[0572] Der Literarische verein in Stuttgart. Die Literatur über Elisabeth Charlotte wird von Jahr zu Jahr größer, ihr Charakterbild zu zeichnen ist schon in vielen populären Vorträgen versucht worden; nichts aber, auch nicht die beiden glänzenden Darstellungen, die Ludwig Häußer von der ihm so überaus sympathischen Landsmännin gegeben hat,*) kann die Lektüre ihrer Briefe selbst ersetzen. Es ist ein wahrhaft wohlthuendes Bild, das wir aus ihnen gewinnen. Wie die Herzogin in ihrem einfach aus¬ gestatteten Gemache sitzt, zumeist mit Schreiben beschäftigt, fast immer im Geiste bei den Ihren verweilend, das Wohl ihrer Angehörigen und Freunde sorgsam erwägend, das Herz offen für das Heil und Unheil des Vaterlandes, dabei allem Guten und Schönen, das sich ihr bietet, bereitwillig sich hingebend, gleich stark an männlichem Mute wie an weiblichem Zartgefühl, ist sie recht eigentlich Typus und Abbild einer edeln deutscheu Frau. Dank daher dem Literarischen Verein, daß auch er dazu beigetragen, die Gestalt dieser deutschen Fürstin unserm Volke in ungetrübter Klarheit vor Augen zu stellen! Aber Dank nicht allein für diese Bände! Dank und Anerkennung verdient das ganze Streben des Literarischen Vereins, von dem wir hier nur einen flüch¬ tigen Überblick geben konnten, bei dem vieles unerwähnt bleiben mußte. In¬ dessen Wollen wir unsre Darstellung nicht schließen, ohne noch einem Wunsche Ausdruck zu geben, der, wie wir annehmen, gewiß auch bei andern sich geregt hat, und dessen Erfüllung uns auch im Interesse des Vereins selbst zu liegen scheint. Überblickt man das von Keller mitgeteilte Verzeichnis der gegenwärtigen Mitglieder des Vereins, so nimmt man bald wahr, ein wie großer Teil der¬ selben aus öffentlichen, Vereins- und Schulbibliotheken besteht, wie gering die Zahl von Privaten ist, die zu den Mitgliedern zählen. Und unter den letztern befinden sich meist Gelehrte, die nach der Organisation des Vereins genötigt (!) sind,**) während der Zeit, da ihre für denselben bestimmten Arbeiten gedruckt werden, Mitglied desselben zu werden. Diese in der That wenig erfreuliche Erscheinung, welche nur dazu beiträgt, die Veröffentlichungen des Vereins zu literarischen Seltenheiten zu stempeln, hat freilich ihren sehr natürlichen Grund. Wieviel Privatleute und Gelehrte sind denn bei uns in der Lage, sich eine große Reihe von Werken anzuschaffen, die für sie ohne Interesse sind, nur um die zu erhalten, deren Besitz ihnen wünschenswert erscheint? Noch geringer aber ist die Zahl derjenigen, die, obwohl thatsächlich ohne alles Interesse, bloß um damit zu prunken, sich Bücher zulegen, die sie doch nicht lesen. Der Bücher¬ sport ist nun einmal in Deutschland nicht heimisch zu machen, und alles, was *) Im zweiten Bande seiner Geschichte der rheinischen Pfalz, S. 712 fig., und sodann in einem Vortrage, abgedruckt in der von Oncken herausgegebenen Geschichte der Reformation. 5*) Vergl. Z 6 der „Grundsätze des literarischen Vereins in Stuttgart bezüglich auf die Herausgabe." Ferner die 5, 7, 8 und 11 Il.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/572>, abgerufen am 02.10.2024.