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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Zur Geschichte der Rreuzzeitung.

eindringlicher gestalten," Und in dem andern Schreiben heißt es: "Das Gegenteil
der silbenstecherischen Auslegung öder Verfassung?) ist nicht das Resultat, daß
jeder in der Auslegung soviel Recht hat als sein Gegner, auch nicht das Auf¬
lösen der Frage in große Interessen u. dergl. Sondern das Gegenteil der
silbenstecherischen Auslegung sans liberaler Seite) ist rechte staatsrechtliche Aus¬
legung, auf welche wir uns allerdings einlassen müssen, was auch die Kosaken
dazu sagen mögen. Wir dürfen nie am Recht -- i, s, am konkreten Willen
Gottes -- verzweifeln, weder daran, ihn zuerkennen, noch daran, ihn geltend
zu machen. Seien Sie nicht allzu russisch, vermeiden Sie auch den Schein
davon. Wir müssen freie Männer bleiben auf unserm ewigen Fundamente.
Mit dem Absolutismus des Zaren können wir nicht shmpathisiren. Wir haben
noch ganz andre Gegner und Leser als das vuIZus der liberalen Zeitungen."
Nicht ohne eine gewisse Berechtigung rühmt Wagener daraufhin die Leiter der
Partei als Männer, welche die Rückkehr zu dem früheren, unhaltbar gewordnen
patriarchalischen Absolutismus verhindert und die rechten Wege angegeben haben,
um die Machtfülle der Krone Preußen auch unter den veränderten Verhältnissen
und nach dem Wechsel der Szenerie nicht bloß aufrecht zu erhalten, sondern
sogar zu steigern" -- ein Verdienst, welches vor allem Bismarck zukommt, wie
man in der neuen Schrift von Moritz Busch "Unser Reichskanzler" ausführlich
und nahezu erschöpfend nachgewiesen findet. "Daß wir, fügt Wagener hinzu,
im Anbeginn hier und dort eine etwas extreme Haltung einnahmen, beruhte
auf der Lehre vom Hebel. Um das gegenüberstehende Extrem zu heben,
mußten wir uns anfangs auf das äußerste Ende setzen, doch war es niemals
unsre Absicht, dort zu verbleiben." Die Opposition der Kreuzzeitung bei der
Frage des Schulaufsichtsgesetzes und später gehört nicht hierher, da Wagener
in dieser Zeit fich längst von der Leitung des Blattes zurückgezogen hatte.

Bald nach dem Austritt des Herrn von Manteuffel und der Verlegung
der Landtagssitzungeu nach Brandenburg wurde Wagener aufgefordert, die
Kreuzzeitung hinfort in der Richtung zu leiten, daß der Konstitutionalismus
wieder beseitigt und die Rückkehr zum früheren patriarchalischen Regimente an¬
gebahnt würde. Führer der Partei, von welcher dies ausging, war ein früherer
sehr namhafter preußischer Minister. Wagener aber wies dieses Verlangen "auf
der Stelle" zurück, indem er "entscheidenden Wert darauf legte, das Vertrauen
in das Wort des Königs nicht zu erschüttern," und indem er sich überzeugt hatte,
"daß die wurmstichige preußische Bureaukratie kein zuverlässiges Piedestnl sür
die preußische Königskrone mehr bilde, und daß die innere Heilkraft des könig¬
lichen Preußen das beste zur Genesung thun werde." Je unbequemer die
Kreuzzeitung ihren demokratischen Gegnern wurde, desto mehr bestrebten diese
sich, sie zu verdächtigen und lahmzulegen: "Zahlreiche Denunziationen und
Untersuchungen, deren Zahl einmal gleichzeitig dreißig betrug, Travestien und
Nachäffungen, die aus Frankfurt a. M. importirt wurden, falsche Extra-


Zur Geschichte der Rreuzzeitung.

eindringlicher gestalten," Und in dem andern Schreiben heißt es: „Das Gegenteil
der silbenstecherischen Auslegung öder Verfassung?) ist nicht das Resultat, daß
jeder in der Auslegung soviel Recht hat als sein Gegner, auch nicht das Auf¬
lösen der Frage in große Interessen u. dergl. Sondern das Gegenteil der
silbenstecherischen Auslegung sans liberaler Seite) ist rechte staatsrechtliche Aus¬
legung, auf welche wir uns allerdings einlassen müssen, was auch die Kosaken
dazu sagen mögen. Wir dürfen nie am Recht — i, s, am konkreten Willen
Gottes — verzweifeln, weder daran, ihn zuerkennen, noch daran, ihn geltend
zu machen. Seien Sie nicht allzu russisch, vermeiden Sie auch den Schein
davon. Wir müssen freie Männer bleiben auf unserm ewigen Fundamente.
Mit dem Absolutismus des Zaren können wir nicht shmpathisiren. Wir haben
noch ganz andre Gegner und Leser als das vuIZus der liberalen Zeitungen."
Nicht ohne eine gewisse Berechtigung rühmt Wagener daraufhin die Leiter der
Partei als Männer, welche die Rückkehr zu dem früheren, unhaltbar gewordnen
patriarchalischen Absolutismus verhindert und die rechten Wege angegeben haben,
um die Machtfülle der Krone Preußen auch unter den veränderten Verhältnissen
und nach dem Wechsel der Szenerie nicht bloß aufrecht zu erhalten, sondern
sogar zu steigern" — ein Verdienst, welches vor allem Bismarck zukommt, wie
man in der neuen Schrift von Moritz Busch „Unser Reichskanzler" ausführlich
und nahezu erschöpfend nachgewiesen findet. „Daß wir, fügt Wagener hinzu,
im Anbeginn hier und dort eine etwas extreme Haltung einnahmen, beruhte
auf der Lehre vom Hebel. Um das gegenüberstehende Extrem zu heben,
mußten wir uns anfangs auf das äußerste Ende setzen, doch war es niemals
unsre Absicht, dort zu verbleiben." Die Opposition der Kreuzzeitung bei der
Frage des Schulaufsichtsgesetzes und später gehört nicht hierher, da Wagener
in dieser Zeit fich längst von der Leitung des Blattes zurückgezogen hatte.

Bald nach dem Austritt des Herrn von Manteuffel und der Verlegung
der Landtagssitzungeu nach Brandenburg wurde Wagener aufgefordert, die
Kreuzzeitung hinfort in der Richtung zu leiten, daß der Konstitutionalismus
wieder beseitigt und die Rückkehr zum früheren patriarchalischen Regimente an¬
gebahnt würde. Führer der Partei, von welcher dies ausging, war ein früherer
sehr namhafter preußischer Minister. Wagener aber wies dieses Verlangen „auf
der Stelle" zurück, indem er „entscheidenden Wert darauf legte, das Vertrauen
in das Wort des Königs nicht zu erschüttern," und indem er sich überzeugt hatte,
„daß die wurmstichige preußische Bureaukratie kein zuverlässiges Piedestnl sür
die preußische Königskrone mehr bilde, und daß die innere Heilkraft des könig¬
lichen Preußen das beste zur Genesung thun werde." Je unbequemer die
Kreuzzeitung ihren demokratischen Gegnern wurde, desto mehr bestrebten diese
sich, sie zu verdächtigen und lahmzulegen: „Zahlreiche Denunziationen und
Untersuchungen, deren Zahl einmal gleichzeitig dreißig betrug, Travestien und
Nachäffungen, die aus Frankfurt a. M. importirt wurden, falsche Extra-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/542>, abgerufen am 24.08.2024.