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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Zur Geschichte der Rreuzzeitung.

Schrittes fremde Institutionen aufgedrungen werden. . , . Diesen Tendenzen und
dem zerstörenden Nivellirungstriebe der Zeit gegenüber werden wir die wahren
und geschichtlichen Grundlagen unsers Staats- und Rechtslebens geltend machen.
Wir werden das Recht von oben gegen die willkürliche Rechtsbildung von unten
nach einem nirgend dargethanen, bloß vorgeschützten Rechtswillen, die Obrigkeit
von Gottes Gnaden gegen selbstzusetzende und selbstzuentsetzende Machthaber ver¬
treten, die geltende Rechtsordnung und die dadurch geschützten Interessen gegen
offene und versteckte Gewalt, gegen das Andrängen eines alle Ungleichheit nicht
aufhebenden, sondern umkehrenden Radikalismus verteidigen. Zugleich werden
wir aber in der neuen Ordnung der Dinge, die wir mit ihren Verheißungen
ernst beim Worte nehmen, diejenigen Elemente aufweisen, welche wahre Realität
und Inhalt haben, die lebensfähigen Triebe unter organischer Anknüpfung an
das geschichtlich Gegebene sdie ständische Verfassung^ zu positiven Bildungen und
wirklichen Lebensmächten zu entwickeln und so zu zeigen suchen, wo wahre Frei¬
heit und wahrer Fortschritt liegt,"

Verschiedne Konservative hegten Zweifel ein^ der Zeitgemäßheit und
dem Gelingen des Unternehmens; als aber Mitte Juni die ersten Probe¬
nummern ausgegeben wurden, war der Erfolg sofort gesichert, und man konnte
mit einem Stamme von 3000 Abonnenten beginnen. Die ersten stehenden Mit¬
arbeiter waren die Herren Hermes, Langbein, Hesetiel, Gödsche, Adami und in
gewissem Sinne auch der Präsident von Gerlach. Gelegentlich lieferten Pro¬
fessor Stahl, Dr. Permce und der Herr von Bismarck-Schönhausen Beiträge.
Letzterer war periodisch sehr fleißig, "Während der parlamentarischen Verhand¬
lungen erschien kaum eine Nummer der Kreuzzeitung, welche nicht einen längern
oder kürzern Artikel des Herrn von Bismarck gebracht hätte." Auch der Vor¬
steher der Berliner Sternwarte, Geheimrat Ente, gehörte zu den Freunden des
Blattes und fand nur zu tadeln, daß die Redaktion noch zu höflich sei und die
Menschen für zu klug halte. "Halten Sie die Masse der Menschen, sagte er,
für so dumm, als es Ihnen irgend möglich ist, und Sie werden selbige immer
noch überschätzen."

Inzwischen ging die revolutionäre Zersetzung ihren Lauf und drang sogar
in die obern Kreise ein. Vou gewisser Seite wurde, wie Wagener behauptet,
sehr ernsthaft auf eine Thronentsagung des Königs hingearbeitet, indem man
Leute in die Provinzen schickte, welche Petitionen in diesem Sinne zustande zu
bringen beauftragt waren. Dabei schössen allerlei Vereine und Verbindungen
wie Pilze aus der Erde, darunter auch der Treubund, mit dessen Bestehen und
Tendenz man die Partei der Kreuzzeitung bisher zusammenzubringen gewohnt
war, wogegen unsre Schrift erklärt, dieselbe habe sich zu ihm mehr beobachtend
verhalten und ihn "als einen kleinen Absenker des Freimaurerordens vou Haus
aus mit entschiednen Mißtrauen behandelt." Dagegen unterstützte die Partei
die Bewegung der "zünftlerischen" Handwerker, welche damals vorzüglich in


Zur Geschichte der Rreuzzeitung.

Schrittes fremde Institutionen aufgedrungen werden. . , . Diesen Tendenzen und
dem zerstörenden Nivellirungstriebe der Zeit gegenüber werden wir die wahren
und geschichtlichen Grundlagen unsers Staats- und Rechtslebens geltend machen.
Wir werden das Recht von oben gegen die willkürliche Rechtsbildung von unten
nach einem nirgend dargethanen, bloß vorgeschützten Rechtswillen, die Obrigkeit
von Gottes Gnaden gegen selbstzusetzende und selbstzuentsetzende Machthaber ver¬
treten, die geltende Rechtsordnung und die dadurch geschützten Interessen gegen
offene und versteckte Gewalt, gegen das Andrängen eines alle Ungleichheit nicht
aufhebenden, sondern umkehrenden Radikalismus verteidigen. Zugleich werden
wir aber in der neuen Ordnung der Dinge, die wir mit ihren Verheißungen
ernst beim Worte nehmen, diejenigen Elemente aufweisen, welche wahre Realität
und Inhalt haben, die lebensfähigen Triebe unter organischer Anknüpfung an
das geschichtlich Gegebene sdie ständische Verfassung^ zu positiven Bildungen und
wirklichen Lebensmächten zu entwickeln und so zu zeigen suchen, wo wahre Frei¬
heit und wahrer Fortschritt liegt,"

Verschiedne Konservative hegten Zweifel ein^ der Zeitgemäßheit und
dem Gelingen des Unternehmens; als aber Mitte Juni die ersten Probe¬
nummern ausgegeben wurden, war der Erfolg sofort gesichert, und man konnte
mit einem Stamme von 3000 Abonnenten beginnen. Die ersten stehenden Mit¬
arbeiter waren die Herren Hermes, Langbein, Hesetiel, Gödsche, Adami und in
gewissem Sinne auch der Präsident von Gerlach. Gelegentlich lieferten Pro¬
fessor Stahl, Dr. Permce und der Herr von Bismarck-Schönhausen Beiträge.
Letzterer war periodisch sehr fleißig, „Während der parlamentarischen Verhand¬
lungen erschien kaum eine Nummer der Kreuzzeitung, welche nicht einen längern
oder kürzern Artikel des Herrn von Bismarck gebracht hätte." Auch der Vor¬
steher der Berliner Sternwarte, Geheimrat Ente, gehörte zu den Freunden des
Blattes und fand nur zu tadeln, daß die Redaktion noch zu höflich sei und die
Menschen für zu klug halte. „Halten Sie die Masse der Menschen, sagte er,
für so dumm, als es Ihnen irgend möglich ist, und Sie werden selbige immer
noch überschätzen."

Inzwischen ging die revolutionäre Zersetzung ihren Lauf und drang sogar
in die obern Kreise ein. Vou gewisser Seite wurde, wie Wagener behauptet,
sehr ernsthaft auf eine Thronentsagung des Königs hingearbeitet, indem man
Leute in die Provinzen schickte, welche Petitionen in diesem Sinne zustande zu
bringen beauftragt waren. Dabei schössen allerlei Vereine und Verbindungen
wie Pilze aus der Erde, darunter auch der Treubund, mit dessen Bestehen und
Tendenz man die Partei der Kreuzzeitung bisher zusammenzubringen gewohnt
war, wogegen unsre Schrift erklärt, dieselbe habe sich zu ihm mehr beobachtend
verhalten und ihn „als einen kleinen Absenker des Freimaurerordens vou Haus
aus mit entschiednen Mißtrauen behandelt." Dagegen unterstützte die Partei
die Bewegung der „zünftlerischen" Handwerker, welche damals vorzüglich in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/540>, abgerufen am 24.08.2024.