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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Die antisemitische Episode.

auch zu spät gekommen; denn auf den Sturm war allmählich ruhiges Wetter
und Klärung des Himmels gefolgt. Als Beginn dessen ist die Einbringung
und Durchberatung der Hämelschen Antisemitcninterpellativn im preußischen Ab¬
geordnetenhause zu bezeichnen, welche bewirkte, daß von den verschiedensten Stand¬
punkten die Ansichten über die Judenfrage klar dargelegt wurden, und daß die
Regierung die Erklärung abgab, sie beabsichtige nichts gegen die den Juden zu¬
stehenden Rechte zu thun, womit eine private Erklärung des Reichskanzlers
zusammenfiel, nach welcher derselbe nicht mit dem Antisemitismus sympathisirte.

Noch folgten einige Blitze nach dem Gewitter. Dr. Jungfer gab seine
Schrift "Die Juden unter Friedrich dem Großen" heraus, welche bewies, daß
letzterer den Jsraeliten wenig wohlwollend gegenübergestanden hatte. Dühring
ließ ein Pamphlet vom Stapel, das sich "Die Überschätzung Lessings und dessen
Anwaltschaft für die Juden" nannte, und worin der Beweis versucht wurde,
daß "noch nie eine Nation mit einem Autor so getäuscht worden sei, wie die
deutsche durch die Juden mit Lessing." Ein Anonymus veröffentlichte zuerst
in diesen Blättern, dann ausführlicher in der Schrift "Israel und die Gojim"
Beiträge zum Verständnis der Judenfrage, die reich an wertvollen statistischen
und geschichtlichen Material waren. Ein Herr von Schleinitz wandte sich gegen
dieses Buch, indem er namentlich davor warnen zu müssen glaubte, in allem
Schlechten jüdischen Einfluß zu erblicken. Gegen Stöcker polcmisirten die Prediger
Baumgarten und Kassel in Schriften, die sich viel mit dem religiösen Gebiete
befaßten, neues aber nicht boten.

Unterdes hatte die Einigkeit im radikal judenfeindlichen Lager selbst einen
harten Stoß erlitten. Dr. Förster hatte einem Studenten wiederholt Satis¬
faktion verweigert und war darauf von demselben überfallen und thätlich beleidigt
worden, worauf er seiner Stellung als Leutnant der Reserve verlustig gegangen
war. Ein Nachspiel der Bewegung, und zwar kein erfreuliches, hatte dann das
antisemitische Drama in den Exzessen, die im Sommer 1881 in Pommern gegen
die Juden ausbrachen. Es kam dort in den Orten Argenau, Neustettin, Stettin
und Schivelbeiu zu Zusammenrottungen und Angriffen, welche das Einschreiten
der bewaffneten Macht erforderten und als Landfriedensbruch bestraft werden
mußten. Eine allgemeine und andauernde Beruhigung der Gemüter trat erst
ein, als die Neichstagswcihlen vom Oktober 1881 vorüber und nicht im anti¬
semitischen Geiste ausgefallen waren. Die Bewegung entwickelte sich von da
an mehr aus sich selbst heraus, und eine der Folgen dieser Änderung der Dinge
ist die deutsche Bürgerpartei, die sich bei der letzten Stadtverordnetenwahl in
Berlin bereits in ansehnlicher Stärke zeigte. Es ist um zu hoffen, daß man
sich fortan in mehr Ruhe und Sachlichkeit zu verständigen suchen werde. Nur
so wird verhindert werden, daß die Gegensätze über kurz oder lang abermals
aufeinanderplatzen, und zwar heftiger und gewaltsamer als das erstemal-




Die antisemitische Episode.

auch zu spät gekommen; denn auf den Sturm war allmählich ruhiges Wetter
und Klärung des Himmels gefolgt. Als Beginn dessen ist die Einbringung
und Durchberatung der Hämelschen Antisemitcninterpellativn im preußischen Ab¬
geordnetenhause zu bezeichnen, welche bewirkte, daß von den verschiedensten Stand¬
punkten die Ansichten über die Judenfrage klar dargelegt wurden, und daß die
Regierung die Erklärung abgab, sie beabsichtige nichts gegen die den Juden zu¬
stehenden Rechte zu thun, womit eine private Erklärung des Reichskanzlers
zusammenfiel, nach welcher derselbe nicht mit dem Antisemitismus sympathisirte.

Noch folgten einige Blitze nach dem Gewitter. Dr. Jungfer gab seine
Schrift „Die Juden unter Friedrich dem Großen" heraus, welche bewies, daß
letzterer den Jsraeliten wenig wohlwollend gegenübergestanden hatte. Dühring
ließ ein Pamphlet vom Stapel, das sich „Die Überschätzung Lessings und dessen
Anwaltschaft für die Juden" nannte, und worin der Beweis versucht wurde,
daß „noch nie eine Nation mit einem Autor so getäuscht worden sei, wie die
deutsche durch die Juden mit Lessing." Ein Anonymus veröffentlichte zuerst
in diesen Blättern, dann ausführlicher in der Schrift „Israel und die Gojim"
Beiträge zum Verständnis der Judenfrage, die reich an wertvollen statistischen
und geschichtlichen Material waren. Ein Herr von Schleinitz wandte sich gegen
dieses Buch, indem er namentlich davor warnen zu müssen glaubte, in allem
Schlechten jüdischen Einfluß zu erblicken. Gegen Stöcker polcmisirten die Prediger
Baumgarten und Kassel in Schriften, die sich viel mit dem religiösen Gebiete
befaßten, neues aber nicht boten.

Unterdes hatte die Einigkeit im radikal judenfeindlichen Lager selbst einen
harten Stoß erlitten. Dr. Förster hatte einem Studenten wiederholt Satis¬
faktion verweigert und war darauf von demselben überfallen und thätlich beleidigt
worden, worauf er seiner Stellung als Leutnant der Reserve verlustig gegangen
war. Ein Nachspiel der Bewegung, und zwar kein erfreuliches, hatte dann das
antisemitische Drama in den Exzessen, die im Sommer 1881 in Pommern gegen
die Juden ausbrachen. Es kam dort in den Orten Argenau, Neustettin, Stettin
und Schivelbeiu zu Zusammenrottungen und Angriffen, welche das Einschreiten
der bewaffneten Macht erforderten und als Landfriedensbruch bestraft werden
mußten. Eine allgemeine und andauernde Beruhigung der Gemüter trat erst
ein, als die Neichstagswcihlen vom Oktober 1881 vorüber und nicht im anti¬
semitischen Geiste ausgefallen waren. Die Bewegung entwickelte sich von da
an mehr aus sich selbst heraus, und eine der Folgen dieser Änderung der Dinge
ist die deutsche Bürgerpartei, die sich bei der letzten Stadtverordnetenwahl in
Berlin bereits in ansehnlicher Stärke zeigte. Es ist um zu hoffen, daß man
sich fortan in mehr Ruhe und Sachlichkeit zu verständigen suchen werde. Nur
so wird verhindert werden, daß die Gegensätze über kurz oder lang abermals
aufeinanderplatzen, und zwar heftiger und gewaltsamer als das erstemal-




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/52>, abgerufen am 03.07.2024.